Kreisky-Sekretär Petritsch im Interview: "Österreich war gefährdet"
INTERVIEW: ROBERT BUCHACHER
profil: Nach dem missglückten Anschlag auf das Heimatmuseum in Völkermarkt 1979 war klar, dass die Täter jugoslawische Geheimagenten waren. Sie und der Chef des Verfassungsdienstes, Ludwig Adamovich, sollen danach mit jugoslawischen Diplomaten, darunter Sloweniens Geheimdienst-Chef Milan Ribica, beraten haben, wie man Jugoslawien nach dieser Blamage aus der Patsche helfen könnte. Ist das wahr? Wolfgang Petritsch: Davon kann keine Rede sein. "Aus der Patsche helfen“ wäre auf dieser Ebene gar nicht möglich gewesen. In dem politischen Gespräch ging es darum, die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen.
profil: War Ihnen bewusst, dass Ihnen ein Geheimdienstmann gegenübersaß? Petritsch: Bei Kontakten mit kommunistischen Staaten sind wir grundsätzlich davon ausgegangen, dass jedes Wort, das dort gesprochen wurde, beim Geheimdienst landete. Es gehörte durchaus zu Kreiskys Strategie, bei solchen Kontakten sehr offen zu sein. Jeder Versuch, eine Geheimdiplomatie zu entwickeln, wäre schiefgegangen, weil man sich damit dem Gegenüber ausgeliefert hätte.
profil: Ein hoher Ex-Agent des jugoslawischen Geheimdienstes verlieh Kreisky das Prädikat "unser bester Mann“. Wie lässt sich das erklären? Petritsch: Man muss grundsätzlich äußerst vorsichtig sein, wenn es um die Selbstdarstellung eines Ex-Geheimdienstmitarbeiters geht. Wir haben es ja mit der DDR erlebt, dass in später bekannt gewordenen Dokumenten unglaublich übertrieben wurde. Eine flott dahingesagte Phrase "unser bester Mann“ ist gerade aus diesen Kreisen sehr bekannt.
profil: Wie gefährlich war die ungelöste Minderheitenfrage? Petritsch: Als Außenpolitiker sah Kreisky die internationale Dimension des Konflikts. Die Signatarmächte des Staatsvertrags, insbesondere die Sowjetunion, hatten die Möglichkeit sich einzubringen, wenn es zu Vertragsverletzungen kam. Deshalb war es Kreiskys Bemühen, die noch offenen Punkte des Staatsvertrags endlich zu erfüllen. Das muss im großen Zusammenhang des Kalten Krieges gesehen werden.
profil: Aber Kreisky scheiterte damit. Petritsch: Ja, aufgrund einer eklatanten politischen Fehleinschätzung. Weder er noch SPÖ-Landeshauptmann Hans Sima erkannten die Sprengkraft der Volksgruppenfrage.
Kreisky hatte zu Tito ein gutes persönliches und politisches Verhältnis
profil: Hat man im Kabinett Kreisky geahnt, dass der jugoslawische Geheimdienst hinter den Bombenanschlägen in Kärnten steckte? Petritsch: Es gab Vermutungen und Indizien in diese Richtung, aber nicht die "smoking gun“. Und wäre das der Fall gewesen, hätte man sich vorstellen können, zu welcher Eskalation das in der Kärntner politischen Situation und Stimmung geführt hätte.
profil: Die "smoking gun“ gab es, aber man wollte sie nicht finden. Petritsch: Dazu kann ich nichts sagen, weil ich damit nicht befasst war. Aber wenn es um solche Fragen ging, mahnte Kreisky zu großer Vorsicht und Umsicht.
profil: Wie sah Kreisky die "Polarka“-Dokumente? War ihm die Nähe der UDBA zum KGB bekannt? Petritsch: Es gab verschiedene Hinweise, dass die sensible geostrategische Situation Österreichs in Gefahr war, weil wir durch Staatsvertrag und Neutralität gemeinsam mit der Schweiz eine Barriere mitten durch das NATO-Gebiet zwischen Italien und Deutschland bildeten, was den Sowjets wie dem Westen ein Dorn im Auge war. Eine Eskalation mit Jugoslawien hätte diese sensible geopolitische Situation gefährdet. Jugoslawien hatte damals eine der stärksten Armeen der Welt und war ein wesentlicher Machtfaktor in der Region. Zwar kritisch gegenüber der Sowjetunion, zugleich gab es aber mit Moskau enge Kontakte - ich nehme an, auch auf der Ebene der Geheimdienste.
profil: Konnte Kreisky mit Tito? Petritsch: Er hatte zu Tito ein gutes persönliches und politisches Verhältnis. Wesentlicher als die Kärntner Frage war dabei die vorbildhafte Zusammenarbeit beider Länder im Helsinki-Prozess (Entspannungspolitik im Rahmen der KSZE, heute: OSZE, Anm.). Kreisky wollte sich diese Zusammenarbeit nicht durch innerjugoslawische nationale Eigeninteressen zerstören lassen und setzte auch im Hinblick auf die Entspannungspolitik auf die Erfüllung des Staatsvertrags. Er sagte immer, wir müssen alles unternehmen, damit uns diese Sache nicht aus der Hand gleitet. Kreisky hatte schon in der Südtirolfrage versucht, politisch den Humus für terroristische Anschläge abzugraben. Ähnlich war das auch in Kärnten, wo es darum ging, dass es keine Todesopfer gab.
profil: Die hätte es leicht geben können. Petritsch: Keine Frage. Das war eine äußerst schwierige Gratwanderung. Nach dem ersten Todesopfer nimmt jeder Konflikt eine neue, negative Qualität an. Das zu verhindern war ein ganz wesentlicher Impetus von Kreiskys Politik.
Zur Person
Wolfgang Petritsch, 67, war Kreisky-Sekretär (1977 bis 1983), Botschafter in Belgrad (1997 bis 1999), Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina (1999 bis 2002), danach Österreichs UN-Botschafter in Genf, Botschafter bei der OECD in Paris und Lehrbeauftragter in Harvard.