Kronzeuge gegen Kurz & Co.: Thomas Schmid packt aus
Thomas Schmid war im Machtgefüge von Sebastian Kurz und dessen „neuer ÖVP“ ein wichtiger Faktor. Sein Einfluss reichte weit über das ÖVP-regierte Finanzministerium hinaus, wo er ab 2013 Kabinettschef war, ab 2015 auch Generalsekretär (ehe er 2019 an die Spitze der Staatsholding ÖBAG kam, ein Job, von dem er 2021 wieder zurücktrat).
Jetzt ist Thomas Schmid ein wichtiger Faktor bei den Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Sebastian Kurz und dessen Umfeld. Im Kern geht es dabei um den Verdacht des Amtsmissbrauchs, der falschen Beweisaussage und der Bestechlichkeit. Kurz hat sämtliche Vorwürfe bisher immer bestritten, es gilt die Unschuldsvermutung.
Laut einer am Dienstag veröffentlichen Presseaussendung der WKStA hatte sich Schmid – er wird im weitläufigen „Casinos“-Verfahrenskomplex seit 2019 als einer von mittlerweile 45 Beschuldigten geführt – der Staatsanwaltschaft im April 2022 als Kronzeuge angeboten und sich ab Juni 15 ganztägigen Einvernahmen gestellt. Ob er tatsächlich Kronzeugenstatus erhält, will die WKStA erst beurteilen, wenn er einen entsprechenden Antrag gestellt hat – was noch nicht geschehen ist. Aufgrund einer „möglichen Ermittlungsgefährdung“ seien die Vernehmungsprotokolle zunächst von der Akteneinsicht ausgenommen gewesen, schreibt die WKStA in ihrer Aussendung. Das bedeutet, dass keiner der weiteren Beschuldigten oder deren Anwälte darüber informiert wurden. Bis jetzt. Am Dienstag wurde das Material zum Ermittlungsakt genommen und war damit auch allen Verfahrensbeteiligten außerhalb der Justiz zugänglich.
profil liegen die Einvernahmeprotokolle vor. Betont sei, dass für sämtliche Beschuldigte in vollem Umfang die Unschuldsvermutung gilt. Aussagen Schmids zu einzelnen Personen entsprechen der Protokollierung im Rahmen der Beschuldigtenvernehmungen. Für diese gilt – anders als für Zeugenaussagen – keine Wahrheitspflicht. Sollten die Ermittler Schmid allerdings beim Lügen ertappen, würde das seine Chance auf den begehrten Kronzeugenstatus aber wohl deutlich schmälern.
Warum Schmid jetzt auspackt
Gleich am Beginn seiner ersten Einvernahme bei der WKStA hielt Schmid fest: „Wir haben Dinge gemacht, die nicht in Ordnung waren. Ich möchte das auch für mein weiteres Fortkommen und für mein familiäres Umfeld aufarbeiten und bin zu dem Schluss gekommen, dass, um einen Schlussstrich ziehen zu können, ich an dieser Aufarbeitung mitwirken möchte.“
Schmid gab zu Protokoll, dass es nach seinem Ausscheiden bei der ÖBAG Vorkommnisse gegeben habe, durch die er den Eindruck gewonnen hätte, benutzt zu werden. Diese Geschehnisse haben – Schmid zufolge – mit dem früheren Bundeskanzler zu tun: „Sebastian Kurz hat mich rund um den Zeitpunkt der Hausdurchsuchungen im Oktober 2021 angerufen und mir gesagt, ich müsse jetzt eine schriftliche Stellungnahme abgeben, wonach er nichts von all diesen verfahrensgegenständlichen Vorwürfen wisse und ich die ganze Schuld auf mich nehmen solle. Nach dem von mir geschilderten Telefonat habe ich mein Handy abgedreht, weil Kurz sehr insistierte und nachfragte, was nun mit der Stellungnahme sei. Ich bin auf ‚Tauchstation‘ gegangen. Kurz hat mich in dieser Zeit mehrfach angerufen und er wollte ein Treffen in der Politischen Akademie in Meidling ausmachen.“
Wir haben Dinge gemacht, die nicht in Ordnung waren. Ich möchte das auch für mein weiteres Fortkommen und für mein familiäres Umfeld aufarbeiten und bin zu dem Schluss gekommen, dass, um einen Schlussstrich ziehen zu können, ich an dieser Aufarbeitung mitwirken möchte.
Treffen mit Kurz
Bei diesem – Schmid zufolge – letzten persönlichen Treffen mit Kurz dürfte, sofern man dem ehemaligen ÖBAG-Chef Glauben schenkt, die allseitige Paranoia schon weit fortgeschritten gewesen sein: „Ich habe davor mit Blümel telefoniert und ihn gefragt, ob er wisse, was Kurz wolle und ob dieser verwanzt sei. Blümel teilte mir mit, dass auch Kurz ihn angerufen habe und gefragt habe, ob ich verwanzt sei. Blümel hat dann gemeint, wenn wir schon so weit sind, dass es dann ohnehin schwierig wird.“
Das Treffen habe dann einige Zeit nach diesen Telefonaten stattgefunden, gab Schmid zu Protokoll: „Kurz und ich haben alleine gesprochen; soweit ich mich erinnern kann, wurde er von seinem Chauffeur hingebracht. Kurz hat mir zunächst gesagt, er sei mir nicht böse. Ich habe ihm mitgeteilt, dass ich selbst nicht gewusst hätte, dass diese Backups (Anm.: der Handy-Chats) überhaupt noch existieren. Es gab dann in diesem Gespräch zwei Schlüsselsätze, nach denen ich mir gedacht habe ‚der spinnt‘. Es war nämlich so, dass Kurz sein eigenes politisches Fortkommen damit verknüpft hat, dass sonst die ÖVP und auch das ganze Land den Bach hinunter gehen werden. Er hat zu mir gesagt, ich solle ihm das ‚Kastl‘ herausgeben, damit meinte er meine Chats und das Backup. Er meinte, er müsse sich um diese Chats jetzt selber kümmern, weil sonst die ÖVP und das ganze Land den Bach hinunter gehen. Ich solle ihm die Box so schnell wie möglich geben, damit er schauen kann, was da noch alles oben ist, einerseits betreffend die ÖVP und ihn selbst und andererseits auch, was hinsichtlich anderer Personen, insbesondere politischer Mitbewerber im Kontext zum herannahenden Untersuchungsausschuss zu finden sein könnte.“
Letztlich habe er sich entschlossen, die Chats nicht zu übergeben und keine Erklärung zu unterschreiben, wonach er die gesamte Schuld auf sich nehme, erzählte Schmid den Ermittlern: „Kurz hat mich nach dem Gespräch aber noch sehr oft angerufen. Ich habe aber nicht abgehoben und auch nicht zurückgerufen.“ Schmid fasste zusammen: „Ich möchte die Verantwortung für das übernehmen, was ich gemacht habe, möchte aber nicht das Bauernopfer für diejenigen sein, die versuchen, sich jetzt an mir abzuputzen und mir alles alleine umzuhängen. Das ist nicht nur Sebastian Kurz, sondern das sind auch andere, wie etwa andere Finanzminister, unter denen ich gearbeitet habe und worauf ich später noch im Detail eingehen werde.“
Ich möchte die Verantwortung für das übernehmen, was ich gemacht habe, möchte aber nicht das Bauernopfer für diejenigen sein, die versuchen, sich jetzt an mir abzuputzen und mir alles alleine umzuhängen.
Das Sündenregister
Dann gab Schmid den Ermittlern überblicksmäßig zu Protokoll, zu welchen Tatvorwürfen er „die Verantwortung übernehmen“ werde:
Die Affäre um – vom Finanzministerium bezahlte – Studien zugunsten der ÖVP?
„Die im Akt dargestellte Verdachtslage trifft im Wesentlichen zu.“
Die Vorwürfe in Zusammenhang mit einem Steuernachlass für den Unternehmer Siegfried Wolf? „Die im Akt dargestellte Verdachtslage trifft ebenfalls zu.“
Der Verdacht rund um eine politisch motivierte Finanzamts-Postenbesetzung in Oberösterreich?
„Die im Akt dargestellte Verdachtslage trifft ebenfalls zu.“
Der Umgang mit Finanzinterna zum früheren SPÖ-Wahlkampfberater Tal Silberstein?
„Die im Akt dargestellte Verdachtslage trifft ebenfalls zu.“
Die Vorgänge rund um eine Vorstandsbestellung bei den Casinos Austria (Casag)?
Diesbezüglich war Schmid nicht geständig: „Ich werde zu diesem Faktum voll umfassend aussagen und meine Wahrnehmungen voll umfassend schildern. Ich kenne aber keinen FPÖ-Novomatic-Deal. Ich bin mir in diesem Zusammenhang keiner strafrechtlichen Verantwortung oder strafrechtlichen Schuld bewusst.“
Der Vorwurf der falschen Beweisaussage vor dem Untersuchungsausschuss?
Auch hier sah Schmid keine strafrechtliche Schuld bei sich, sondern verwies darauf, dass ihm seine Erinnerung einen Streich gespielt habe: „Ich war damals der Meinung, dass DDr. Fuchs eingebunden war, weil er als Staatssekretär so stark präsent war wie kein Staatssekretär zuvor in meiner Tätigkeit.“
Zu Vorwürfen in Zusammenhang mit Gernot Blümel und einer Handy-Nachricht des damaligen Novomatic-Chefs Harald Neumann bezüglich eines Steuerproblems in Italien meinte Schmid, er werde dazu umfassend aussagen, könne aber „nicht so viel dazu beitragen“. Ebenfalls umfassend aussagen würde er in Bezug auf den Verdacht der Falschaussage gegen Sebastian Kurz und dessen ehemaligen Kabinettschef.
Neue Erkenntnisse
In der Folge umriss Schmid grob mehrere weitere Punkte, die – so sie den Tatsachen entsprechen – bisher nicht bekannt gewesen waren:
Erstens: Schmid erläuterte genauer die Verwendung von Ressourcen des Finanzministeriums für parteipolitische Zwecke der ÖVP. „Ich habe die ÖVP und Kurz aus dem BMF heraus gefördert, die Ressourcen des BMF genutzt, um das Fortkommen der ÖVP unter Sebastian Kurz zu unterstützen“, gab Schmid zu Protokoll: „Im Wissen, dass Inserate des BMF nicht zu Wahlkampfzwecken der ÖVP geschaltet oder bezahlt werden dürfen, hat das BMF rund um den Wahlkampf 2017 Inserate in allen Medien geschaltet. Fleischmann (Anm.: der frühere Pressesprecher von Kurz) sagte, dass die Inserate des BMF auf ‚Kurz zu buchen‘ sind. Damit meinte er, dass Kurz vorgeben konnte, welche Themen und welche mediale Berichterstattung als Gegenleistung dafür in der Mediengruppe ‚Österreich‘ platziert würde.“
Zweitens: Schmid schilderte den angeblichen Versuch der Chefs der Mediengruppe „Österreich“, Wolfgang und Helmuth Fellner, zu mehr Inseratenschaltungen zu gelangen: In seiner Zeit als ÖBAG-Vorstand hätten die Fellners darauf verwiesen, dass Schmid nun ja „Zugriff auf alle Unternehmen mit staatlicher Beteiligung hätte. Wolfgang Fellner formulierte dann, ich könne ja über einen in der ÖBAG zu installierenden Art Generalsekretär Zugriff auf alle Unternehmen mit Staatsbeteiligung nehmen und diesen anschaffen, für welche Kampagnen in welcher Höhe in der Mediengruppe ‚Österreich‘ Inserate geschalten werden sollen.“ Dies sei jedoch nicht umgesetzt worden.
Drittens: Schmid zufolge intervenierte auch der heutige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei ihm. „Mag. Sobotka intervenierte bei mir – meiner Erinnerung nach in der Zeit als Spindelegger noch Minister war oder Schelling in der Anfangsphase – dahingehend, dass er mir mitteilte, dass es betreffend des Alois-Mock-Institut oder die Alois-Mock-Stiftung (das weiß ich nicht mehr genau) sowie die Erwin-Pröll-Stiftung Steuerprüfungen gäbe und dass das nicht sein könne. Es sei zu erledigen. Ich habe diese Information im BMF entweder an Kabinettsmitarbeiter oder an Sektionschefs weitergegeben. Es ist dann im Sinne von Mag. Sobotka erledigt worden.“
Viertens: Schmid berichtete über zwei Postenbesetzungen in der Finanz, bei denen von vornherein festgestanden sei, wer zum Zug kommen sollte. „Beides waren Wünsche des Ministers Schelling.“
Fünftens: Kurz habe ihn ersucht, an einen Unternehmer heranzutreten, um eine von der Industriellenvereinigung finanzierte Plattform ins Leben zu rufen, welche die schwierige Situation von Unternehmern in Österreich öffentlichkeitswirksam darlegen sollte. „Hintergrund war der, dass zu diesem Zeitpunkt Kurz die wirtschaftliche Lage in Österreich schlecht darstellen wollte in der öffentlichen Wahrnehmung, um die Notwendigkeit eines Wechsels und eines Neubeginns darzustellen.“ Der Unternehmer sei jedoch „befremdet“ gewesen und habe das Ersuchen abgelehnt.
Sechstens: Schmid berichtete über ein Telefonat mit Kurz, bei dem der damalige Kanzler sehr aufgebracht darüber gewesen sei, dass ein FPÖ-Vertreter eine koalitionär paktierte Postenbesetzung bei den ÖBB nicht vollziehen würde. Eigentlich hätte die Managerin Valerie Hackl eine Position bei der Bahn bekommen sollen, eine andere Bewerberin habe jedoch den Vorzug erhalten. „Meiner Erinnerung nach wurde das dann so gelöst, dass Valerie Hackl dann auf Betreiben von Sebastian Kurz eine Vorstandsposition bei der Austro Control bekam. Hintergrund ist meiner Wahrnehmung nach der, dass sie damals schon die Lebensgefährtin von Rainer Nowak (Anm.: Chefredakteur der Tageszeitung ‚Die Presse‘) war und Kurz Nowak einen Gefallen tun wollte, um medialen ‚goodwill‘ sicherzustellen.“
Bestechungsverdacht gegen Benko
Nach dieser Tour d‘Horizon gingen die Ermittler mit Schmid dann bezüglich einzelner Vorwürfe ins Detail. Die gesamten Protokolle umfassen mehr als 400 Seiten. profil wird diese in den kommenden Tagen auswerten und umfassend berichten.
Eine erste unmittelbare Folge der Aussagebereitschaft Schmids zeigte sich bereits am Dienstag: Die WKStA führte mehrere Hausdurchsuchungen durch – eine davon bei einer Firma des vom Immobilienunternehmer René Benko gegründeten Signa-Konzerns. Gegen Benko wird nunmehr wegen Bestechungsverdachts ermittelt. Er soll – so die Verdachtslage – Schmid einen hoch dotierten Job im Gegenzug für dessen Unterstützung in einer Steuerangelegenheit in Aussicht gestellt haben. Benkos Anwalt äußerte sich vorerst nicht zu diesem Vorwurf.