Das Handy der Nation
Ausgangspunkt sind die seit 2019 laufenden Ermittlungen rund um die Casinos Austria und einen mutmaßlichen FPÖ-Novomatic-Deal. Damals wurden die Chats von Thomas Schmid sichergestellt, die zusätzliche Hinweise in zahlreiche Richtungen lieferten. Zu Handy-Nachrichten, die potenziell strafrechtlich relevant waren, gesellten sich solche, die politisch von Bedeutung waren. Darunter fanden sich Perlen wie „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“ (Kurz an Schmid im Juni 2016), „kriegst eh alles was du willst“ (Kurz an Schmid im März 2019) und „Ich liebe meinen Kanzler“ (Schmid an Kurz ebenfalls im März 2019).
Nicht zuletzt waren es auch die Schmid-Chats, die bei der WKStA den Verdacht aufkeimen ließen, das Finanzministerium könnte zugunsten der Kurz-ÖVP mit Steuergeldern Inserate und passende Umfrageergebnisse der Meinungsforscherin Sabine Beinschab (Stichwort: „Beinschab-Tool“) bei Medien der „Österreich“-Gruppe platziert haben. Diesbezügliche Hausdurchsuchungen im Oktober 2021 im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Zentrale läuteten das Ende der Ära Kurz ein. Im Dezember 2021 musste der Kanzler den Hut nehmen.
In Folge der damaligen Razzien kam auch im Ermittlungsverfahren ein Stein nach dem anderen ins Rollen. Zunächst entschied sich Meinungsforscherin Beinschab dazu, mit der WKStA zu kooperieren und Kronzeugenstatus anzustreben. Danach, im Frühjahr 2022, setzte Thomas Schmid ebenfalls diesen Schritt. Er begann auszupacken, wurde tagelang einvernommen. Und der WKStA gelang es, diesen ermittlungstaktischen Coup über Monate hinweg geheim zu halten. Nicht einmal Schmids ursprünglicher Anwalt war eingeweiht.
Mit der Zeit füllten Schmids Aussagen Hunderte Seiten. Er lieferte nicht nur weiterführende Informationen zu bereits bestehenden Verdachtslagen, sondern wies die Ermittler auch auf mögliche weitere illegale Vorgänge hin – ein nicht unwesentlicher Punkt, wenn es um die Frage geht, ob jemand rechtlich gesehen als Kronzeuge infrage kommt. Und nur in diesem Fall winkt Straffreiheit. Wäre ihm der Status verweigert worden, hätte Schmid wohl das Schicksal gedroht, als weitgehend geständiger Angeklagter vor Gericht zu landen. Umso unangenehmer für ihn, dass die Justiz zwei Jahre für diese Entscheidung gebraucht hat.
Im Herbst 2022 wurden Schmids belastende Aussagen erstmals bekannt, als auf deren Basis weitere Hausdurchsuchungen stattfanden. Im Dezember 2022 stellte der frühere Spitzenbeamte und ÖBAG-Chef formell einen Kronzeugenantrag. Und dann begann für ihn eine lange Zitterpartie.
Vonseiten anderer Beschuldigter wurde wenig ausgelassen, um Schmid als Kronzeuge zu verhindern. Es gab zahlreiche Versuche, seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Einerseits, indem die von ihm getätigten Aussagen auf mögliche Widersprüche abgeklopft wurden. Andererseits auch auf einer persönlichen Ebene. Einer der Mitbeschuldigten wies die WKStA zum Beispiel darauf hin, dass er Schmid einst vor Drogenkonsum gewarnt hatte – ein entsprechendes Ermittlungsverfahren wurde zwischenzeitlich wegen Verjährung eingestellt. Und der Mitbeschuldigte hielt sich auch mit Details aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich Schmids nicht zurück, die bis dahin keinen Eingang in den Ermittlungsakt gefunden hatten und keinerlei strafrechtliche Relevanz aufweisen.
Attacken durch Kurz
Regelrecht mit der Brechstange versuchte es Sebastian Kurz. Er präsentierte öffentlichkeitswirksam das Transkript eines Telefonats mit Schmid, das er im Oktober 2021 heimlich aufgezeichnet hatte und in dem die beiden über das Ermittlungsverfahren sprachen. Kurz sah sich durch die Aussagen Schmids im Telefonat entlastet. Dem widersprach Schmid später in einer Einvernahme: Er habe vermutet, dass das Telefonat aufgezeichnet werden könnte. Er habe Kurz praktisch nur die damalige gemeinsame Verteidigungslinie bestätigt und alles kleingeredet.
Weitere schwere Attacken gegen die Glaubwürdigkeit Schmids setzte es dann im Dezember 2023 vor Gericht. Kurz musste sich damals wegen des Vorwurfs der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss des Nationalrats verantworten. Dabei ging es unter anderem um Postenbesetzungen im staatsnahen Bereich. Schmid war von diesem Vorwurf selbst nicht betroffen, jedoch zentraler Zeuge im Verfahren. Es kam zu einem heißen Match. Letztlich zauberte die Kurz-Verteidigung sogar noch eidesstattliche Erklärungen zweier russischer Geschäftsleute aus dem Hut. Diese sollten – knapp zusammengefasst – bestätigen, dass Schmid ihnen gegenüber bei einem Treffen angegeben habe, unter dem Druck der Staatsanwaltschaft unwahr ausgesagt zu haben.
Die Einvernahmen der Russen per Video-Schaltung aus Moskau wurden zum Spektakel. Die belastenden Angaben ließen sich jedoch nicht aufrechterhalten. Das vorläufige Ende vom Lied: Der Richter sah Thomas Schmid als „grundsätzlich glaubwürdig“ an, die eidesstattlichen Erklärungen der Russen nicht – und Kurz wurde erstinstanzlich zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Der Ex-Kanzler bestreitet sämtliche Vorwürfe und hat Rechtsmittel eingelegt, eine Entscheidung darüber ist noch offen. Allen muss jedoch seither klar sein, dass Thomas Schmid auch in der extremen Stresssituation eines Gerichtsverfahrens nicht unter den Attacken der Gegenseite einknickt.
Aus Sicht der WKStA ist das sicher ein Pluspunkt, wenn es um die Frage geht, ob Schmid auch in möglichen künftigen Gerichtsprozessen als Kronzeuge standhält. Die Ermittler haben ihn lange zappeln lassen. Es dauerte von Dezember 2022 bis März 2024 bis die WKStA ihren Teil der Prüfung des Kronzeugenantrags abgeschlossen hatte. Danach musste dieser noch von der Oberstaatsanwaltschaft und vom Justizministerium bestätigt werden – und wurde zur Nachbesserung noch einmal an die WKStA zurückgeschickt. Die lange Dauer hat schon Vermutungen ausgelöst, die Entscheidung könnte bis zur nächsten Regierung auf sich warten lassen – wenn möglicherweise dann ein ÖVP-Justizminister das Ressort führt, das bisher von der Grünen Ministern Alma Zadić geleitet wird.
Rechtsanwalt Roland Kier, der Schmid seit dessen Entschluss, Kronzeuge werden zu wollen, vertritt, zeigte sich erfreut über die Entscheidung: Der Rechtsstaat meine es ernst mit der Korruptionsbekämpfung, hieß es in einer Aussendung seiner Kanzlei. Auch Regierungskriminalität werde in Österreich effektiv verfolgt, die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden gewürdigt. Dass es innerhalb und außerhalb des Verfahrens durchaus Gegenwind gegeben habe, sei allgemein bekannt. Kier hält fest: „Die Justiz dient weder Partikularinteressen noch den Mächtigen. Sie ist allein dem Gesetz verpflichtet. Die Gewährung des Kronzeugenstatus für meinen Mandanten Thomas Schmid ist damit auch eine Bewährung des Rechtsstaats.“
profil hat den prominenten Strafverteidiger Johannes Zink um eine Einschätzung gebeten, was sich aus der Entscheidung ableiten lässt: „Ich bin überzeugt davon, dass es bei
allen großen Wirtschaftsstrafsachen potenzielle Kronzeugen gibt, die aber aufgrund der Gemengelage und der bisherigen Erfahrungen keinen besonderen Anreiz spürten, mögliche Taten aufzuzeigen. Das hat sich mit dem heutigen Tag erledigt. Ich rechne damit, dass wir in Zukunft mehr Kronzeugen und Kronzeuginnen in Österreich erleben werden.“
Zink verweist darauf, dass es sich um ein „umfassendes und komplexes“ Verfahren handle, weshalb es nachvollziehbar sei, dass die Bearbeitung eines Kronzeugenantrags einige Zeit dauere: „Die Justiz sollte sich aber insgesamt darum bemühen, in solchen Fällen schneller zu werden.“ Der Antragsteller und die von seinen Aussagen betroffenen Personen hätten einen Anspruch darauf, möglichst rasch Klarheit zu bekommen.
In den Causen um Kurz und Co. gibt es diese Klarheit jetzt. In den kommenden Monaten und Jahren wird man sehen, was es für die Verfahren und allenfalls vor Gericht bedeutet.