Kucher zu Rot-Schwarz: „Wenn sich ÖVP an christlichsoziale Werte erinnert“
SPÖ-Klubchef Philip Kucher über Bedingungen für eine Neuauflage der Großen Koalition, die Problemfälle in seiner Partei und seine Ansätze gegen die Gesundheitsmisere.
Herr Kucher, wir möchten Ihnen drei Zitate vorlesen: „Die ÖVP muss endlich in Opposition geschickt werden.“ „Die ÖVP macht Politik für Millionenkonzerne und Superreichen.“ „Die ÖVP ist die Partei der Leistungsfeindlichkeit“. Von wem stammen die Aussagen?
Kucher
Vielleicht ist innerhalb der ÖVP jemand über die Weihnachtsfeiertage kritisch in sich gegangen und hat sich in Selbstreflexion geübt. Es wäre ein guter Schritt in die richtige Richtung.
Sie stammen alle von der SPÖ. Jetzt wurden aber in den letzten Wochen Stimmen in der Partei laut, die sich eine Koalition mit der ÖVP sehr gut vorstellen können. Sie sich auch?
Kucher
Ich bin nicht der Berater der Österreichischen Volkspartei, aber wenn sich die ÖVP wieder an gewisse christlichsoziale Werte erinnert, dann wird es definitiv auch mit ihr Gespräche geben.
Im Dezember haben Sie gesagt: „Eine Stimme für die ÖVP ist eine Stimme für Kickl als Kanzler.“ Aber ist sie nicht auch eine Stimme für die große Koalition – und damit für die wahrscheinlichste Regierungsbeteiligung der SPÖ?
Kucher
Wenn man sich die Entwicklungen in Niederösterreich, in Oberösterreich, in Salzburg anschaut: Alle, die glauben, dass sich die ÖVP nicht wieder den Freiheitlichen an den Hals wirft, glauben wahrscheinlich auch an das Christkind. Wenn Schwarz-Blau eine Mehrheit hat, dann wird die ÖVP ganz sicher Herbert Kickl zum Bundeskanzler machen.
Es gibt innerhalb der SPÖ aber durchaus Personen, die deutlicher als Sie für diese Option sind – Georg Dornauer zum Beispiel.
Kucher
Ich weiß, dass Koalitionsspielereien immer spannend sind, aber ich glaube wirklich, dass wir jetzt jeden Tag dafür nutzen müssen, dass wir Vertrauen zurückgewinnen, dass wir unterwegs sind und dass wir mit den Menschen in Österreich über unsere Themen, zum Beispiel über den Kampf gegen die Teuerung, diskutieren. Und wenn wir das Vertrauen bekommen, dann werden sich gewisse Fragen am Wahltag vielleicht gar nicht stellen.
Wenn Sie schon beim Zustand der SPÖ sind: Vor sieben Monaten wurde Pamela Rendi-Wagner an der SPÖ-Spitze abgelöst. Inwiefern steht die SPÖ jetzt besser da als noch vor dem letzten Sommer?
Kucher
Es ist kein Geheimnis, dass wir unsere internen Debatten sehr transparent geführt haben. Aber nach diesen schwierigen Monaten haben wir die Partei neu aufgestellt. Wir haben neue Strukturen und Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen, und haben einen deutlichen Zuwachs an neuen Mitgliedern. Wir sind jetzt mit Andreas Babler als Bundesparteivorsitzendem bereit, Verantwortung für die Zukunft Österreichs zu übernehmen.
Seit Bablers Amtsantritt haben sich einige Funktionäre Fehltritte geleistet, Stichwort Kleingarten-Causa, und zuletzt fiel ein Nationalrat mit einem ungustiösen Posting auf, das Vergewaltigungen verharmloste. In keinem Fall hat Andreas Babler durchgegriffen. Wie stark ist er als Parteichef?
Kucher
Er ist am Parteitag eindrucksvoll bestätigt worden. Bei all den Dingen, die Sie angesprochen haben, hat es ganz klare Worte von ihm gegeben.
Aber keine Taten.
Kucher
Er ist jemand, der nichts beschönigt, sondern ganz klar sagt, wie er sich den Kurs der Sozialdemokratie vorstellt. Selbstverständlich ist die Botschaft von ihm in den einzelnen Fällen sehr deutlich kommuniziert worden und auch entsprechend angekommen.
Kommen wir noch einmal auf Georg Dornauer zurück. Sie haben im Parlament den Rücktritt von Wolfgang Sobotka gefordert. Dornauer verteidigt ihn jetzt. Wie geht sich das aus?
Kucher
Ich habe mit Georg Dornauer darüber noch nicht sprechen können.
Dornauer findet weiters den Cofag-U-Ausschuss „nicht zielführend“ und „sinnlos“. Auch die Wiener SPÖ war eher skeptisch, weil sie befürchtet hatte, der U-Ausschuss werde eher der FPÖ in die Karten spielen.
Kucher
Dass die Untersuchungsausschüsse in Österreich polarisieren und es Kritik am Umgang miteinander gibt, das teile ich persönlich auch. Aber konkret zur Cofag: Wenn man hier von einer Summe von 15 Milliarden Euro Steuergeld spricht und wir jetzt erfahren, dass es Milliardäre in Österreich gibt, die oft noch Millionen nachgeworfen bekommen haben, dann ist es die Verpflichtung einer Oppositionspartei, hier Kontrolle einzufordern. Das darf alles keine Frage der Parteitaktik sein, sondern es muss eine Frage der Glaubwürdigkeit sein.
Wie glaubwürdig ist es, dass die SPÖ gleichzeitig auf Neuwahlen noch vor dem Sommer drängt, die Befragungen im U-Ausschuss aber frühestens im März beginnen – und sich dann im U-Ausschuss ja gar nicht mehr so viel ausgehen wird?
Kucher
Wenn die Sozialdemokratie in Zukunft die Regierungsverantwortung übernehmen wird, können Sie sicher sein, dass die lückenlose Aufklärung sichergestellt sein wird. Grundsätzlich erleben wir tagtäglich, dass ÖVP und Grüne inzwischen längst die Arbeit eingestellt haben. Jeder Tag, wo diese Koalition weiterwurschtelt, ist ein verlorener Tag für die Republik.
Bleiben wir noch kurz beim U-Ausschuss. Geladen sein wird auch Alfred Gusenbauer, es gibt manche in der SPÖ, die seinen Parteiausschluss fordern. Sie auch?
Kucher
Wer mich kennt, weiß, dass mir die Geschäftsbeziehungen von Alfred Gusenbauer überhaupt nicht taugen. Aber er hat seit fünfzehn Jahren keine Funktion mehr in der Sozialdemokratie, er muss sich selbst in den Spiegel schauen können.
Ich bin nicht der Berater der Österreichischen Volkspartei, aber wenn sich die ÖVP wieder an gewisse christlichsoziale Werte erinnert, dann wird es definitiv auch mit ihr Gespräche geben.
Sie gehören zu den schärfsten Kritikern der Gesundheitspolitik der aktuellen Regierung, skizzieren viele Probleme. Welche Lösungsansätze haben Sie?
Kucher
Wir haben viele Baustellen und eine Reihe von mittelfristigen Maßnahmen, die man dringend angehen müsste. Es ist eine Kernforderung der Sozialdemokratie, dass wir die Zahl der Medizinstudienplätze deutlich ausweiten müssen, ÖVP und Grüne blockieren das leider. Außerdem braucht es eine echte Pflegeoffensive, einen österreichweit einheitlichen Gesamtvertrag und kurzfristig werden wir auch mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Dazu ein konkretes Beispiel: Die ÖGK hat 2023 einen prognostizierten Abgang von 386 Millionen Euro und der Finanzminister feiert sich dafür, dass es in Zukunft in Summe 240 Millionen Euro für die ÖGK geben soll. Das reicht noch nicht einmal, um die Kosten zu decken, geschweige denn um eine gleich gute Gesundheitsversorgung für alle zu garantieren.
Wie viel würden Sie zuschießen?
Kucher
ÖVP und FPÖ haben der Bevölkerung eine zusätzliche Patientenmilliarde versprochen und es wäre jetzt Aufgabe der Regierung dafür zu sorgen, dass wir diese Milliarde in Summe jedenfalls bekommen.
Wird das reichen?
Kucher
Wir reden von einer zusätzlichen Milliarde pro Jahr.
Sie wollen das ja mittels einer Erbschaftssteuer finanzieren. Es stellt sich jedoch auch die Frage: Sollten Sie in die Regierung kommen, werden sich all Ihre geplanten Maßnahmen wohl kaum in einer Legislaturperiode ausgehen. Gerade bei den zusätzlichen Studienplätzen, die Sie fordern, werden die ersten Ärzt:innen erst weitaus später fertig werden. Riskiert man nicht die Enttäuschung der Wähler:innen, wenn man etwas verspricht, das in einer Legislaturperiode gar nicht umgesetzt werden kann?
Kucher
Danke, das ist einer der zentralsten Punkte, es braucht natürlich ein Bündel an Maßnahmen, die einerseits kurzfristig und andererseits mittelfristig wirken werden. Aber wenn wir heute nicht handeln, dann sind wir in zehn Jahren wirklich in einer dramatischen Situation. Wir haben die Zahlen vorliegen: Die Hälfte aller Kassenärzte ist über 55 Jahre alt und damit in einigen Jahren im pensionsfähigen Alter. Jeder Tag, wo sich die Regierung nicht bewegt, ist ein verlorener Tag für die Gesundheit der österreichischen Bevölkerung.
Anfang des Jahres gab es jedoch eine Gutmeldung: Für 100 zusätzliche Kassenstellen gibt es 300 interessierte Ärzt:innen. ÖGK-Vizeobmann Andreas Huss hat nun vorgeschlagen, die geplanten Stellen auf 200 zu verdoppeln. Wäre das etwas, das sie befürworten würden?
Kucher
Jede zusätzliche Kassenstelle ist wichtig und richtig und gut investiertes Geld. Aber es wird deutlich mehr brauchen, zum Beispiel im Bereich der gynäkologischen Versorgung, oder im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und natürlich in der Allgemeinmedizin. Wir brauchen einen österreichweiten Gesamtvertrag, und dafür braucht die ÖGK die notwendigen finanziellen Rahmenbedingungen.
Sie wollen ja nicht nur mehr Geld im Gesundheitsbereich, sondern auch eine Erhöhung des Salärs von Pflegemitarbeitenden, mehr Bildungspersonal – und das alles mit der Erbschaftssteuer finanzieren. Wie soll sich das ausgehen?
Kucher
Wir haben unser Modell für ein gerechteres Steuersystem in Österreich vorgelegt, weil nicht einzusehen ist, dass wir im Europa-Vergleich sehr hohe Steuern auf Arbeit haben, aber Millionenerbschaften gar nicht besteuert werden. Das ist einfach ungerecht. Einen Teil dessen, den Sie ansprechen, wird man mit der Erbschaftssteuer gegenfinanzieren, für andere Teile werden wir ein Wahlprogramm mit konkreten Finanzierungsvorschlägen vorlegen.
„Alle, die glauben, dass sich die ÖVP nicht wieder den Freiheitlichen an den Hals wirft, glauben wahrscheinlich auch an das Christkind.“
Eine Vermögens- und Erbschaftssteuer ist die Maximalforderung. Angenommen, Sie treten in Koalitionsverhandlungen mit den Neos oder der ÖVP. Welche der beiden Steuern wäre Ihnen wichtiger und auf welche könnten Sie ansatzweise verzichten?
Kucher
Die Neos haben ja inzwischen unsere Position übernommen und gesagt, sie könnten sich auch Erbschaftssteuern vorstellen. Und wenn die ÖVP von Leistung redet, dann werden sie ja hoffentlich die echten Leistungsträger meinen, und das sind die Menschen, die arbeiten gehen.
Welche der beiden Steuern ist der SPÖ wichtiger?
Kucher
Wir als Sozialdemokratische Partei machen uns dafür stark, dass es mehr Verteilungsgerechtigkeit in Österreich gibt. Und wir werden natürlich dafür kämpfen und versuchen, sozusagen andere Fraktionen auch zu überzeugen. Mich würde beispielsweise interessieren, wie die Freiheitlichen dazu stehen. Die reden irgendwas vom kleinen Mann, aber sind die ersten, die Milliardensteuerzuckerl herschenken – auf Kosten des kleinen Mannes und der kleinen Frau.
Und wenn ein möglicher Koalitionspartner sagen würde, sie hätten im Gegenzug gerne die Lohnnebenkosten reduziert: Wäre das ein denkbarer Abtausch?
Kucher
Die Frage ist, was unter Lohnnebenkosten verstanden wird. Wir wollen Steuern auf Arbeit senken, und Investitionen in den Gesundheits- und Pflegebereich möglich machen. Ich kann definitiv ausschließen, dass die SPÖ sich an einer Regierung beteiligen wird, in der es kein gerechteres Steuersystem und nicht mehr Geld für Gesundheit und Pflege geben wird.
Die Grünen schummeln sich da einfach durch und tun so, als würde ohnehin einiges weitergehen, aber wenn sie sich nicht einmal mehr im Bereich Klimaschutz durchsetzen können, dann ist es in Österreich wirklich an der Zeit, dass wir in Neuwahlen gehen.
Man hatte den Eindruck, dass die SPÖ im Sommer in puncto Klimaschutz ziemlich angedrückt hat: Da gab es die Forderung nach Tempo 100, auch ein Verbot für Privatjets wurde diskutiert. Mittlerweile scheint es, als hätten Sie ein bisschen zurückgeschraubt. Ist das so?
Kucher
Wir bekennen uns ganz klar zum Klimaschutz und fordern von der Regierung auch ein konkretes Klimaschutzgesetz ein. Das fehlt seit über drei Jahren, da haben sich die Grünen nicht durchsetzen können. Ich glaube aber, dass man die Menschen mitnehmen muss, und da braucht es konkrete Maßnahmen. Wir stellen diese Fragen: Wo sind denn die tausenden jungen Fachkräfte, die dann in Zukunft die Photovoltaikanlagen montieren werden? Wo investieren wir denn im Bereich der Lehrberufe? Außerdem muss man den Klimaschutz ganzheitlich und als soziale Frage sehen.
Es gibt aber doch einige neue Förderschienen, beispielsweise für E-Autos.
Kucher
Das ist ein Fleckerlteppich, der bei vielen Menschen einfach nicht ankommt. Die Grünen schummeln sich da einfach durch und tun so, als würde ohnehin einiges weitergehen, aber wenn sie sich nicht einmal mehr im Bereich Klimaschutz durchsetzen können, dann ist es in Österreich wirklich an der Zeit, dass wir in Neuwahlen gehen.
Angenommen, es läuft bei den Nationalratswahlen gut für die SPÖ. Es würde zu Rot-Schwarz kommen, und Sie blieben Klubobmann. Wer aus der ÖVP wäre denn hier ihr Lieblingspendant als ÖVP-Klubobmann?
Kucher
Ich glaube nicht, dass mein Einfluss in der ÖVP so groß ist, dass ich mir dort die Spitzenpositionen aussuchen kann. Aber mit August Wöginger und einigen anderen komme ich ganz gut aus.