Kultusgemeinde-Präsident Deutsch: "Wir dürfen uns nicht fürchten"
INTERVIEW: HERBERT LACKNER
profil: Herr Präsident, haben Sie derzeit Angst hier in Wien? Oskar Deutsch: Nein. Die Situation ist auf der ganzen Welt gefährlich, und sie wird immer gefährlicher, die Abstände zwischen den Anschlägen werden immer kürzer, und es kann auch ein Anschlag in Österreich passieren. Aber wir dürfen uns nicht fürchten. Das ist es ja, was die Terroristen wollen.
profil: Sie haben vergangenen Herbst davor gewarnt, dass durch die Flüchtlingswelle Antisemitismus importiert werden könnte. Ist das Ihrer Meinung nach eingetroffen? Deutsch: Man darf nicht verallgemeinern, aber unter den Flüchtlingen sind Leute, die durch ihre Erziehung zu Antisemiten geworden sind. Kein Mensch wird als Antisemit geboren, aber in den arabischen Ländern werden schon Kinder in den Schulen zu Antisemitismus und Antizionismus erzogen. Und was man als Kind lernt, ist nur schwer aus dem Kopf hinauszubringen.
profil: Ihre Prognose scheint dennoch nicht eingetroffen zu sein. Laut dem jetzt veröffentlichten Antisemitismus-Bericht hat es 2015 nur zwei tätliche Übergriffe gegen Juden oder jüdische Einrichtungen gegeben. Im Jahr davor waren es noch neun. Deutsch: Dem kann ich nicht zustimmen. Wir können viele der Vorfälle, über die man uns informiert, nicht zuordnen. Und es gab viel mehr Berichte als früher.
profil: Da geht es aber meist um Internet-Postings. Die kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von Flüchtlingen. Deutsch: Da geht es nicht nur um Postings, sondern auch darum, dass die Kinder vor unseren Schulen angebrüllt und angepöbelt werden. Beim letzten Plenum der Kultusgemeinde hat ein Vertreter der religiösen Juden berichtet, dass es fast alltäglich sei, dass ihre Kinder im 2. Bezirk angestänkert werden. Und zwar von Leuten - ich sage das mit aller Vorsicht -, die aussehen wie Ausländer.
Wenn Leute vor dem Krieg flüchten, muss ihnen geholfen werden; kommen sie aus ökonomischen Gründen, besteht keine Verpflichtung, sie aufzunehmen.
profil: Sie haben im vergangenen November nach der FPÖ als Erster gemeint, Österreich sei bei der Flüchtlingsaufnahme an seinen Kapazitätsgrenzen angelangt. Das ist auch in der Kultusgemeinde nicht auf volle Zustimmung gestoßen. Deutsch: Wenn Leute vor dem Krieg flüchten, muss ihnen geholfen werden; kommen sie aus ökonomischen Gründen, besteht keine Verpflichtung, sie aufzunehmen. Diese Menschen kommen aus ganz anderen Kulturen, sie haben einen ganz anderen Zugang zum Leben. Wenn es uns in Deutschland und Österreich nicht gelingt, sie wirklich zu integrieren, haben wir ein Problem. Man wird sehr viel Geld in die Hand nehmen müssen, um sie zur Demokratie und allem, was dazugehört, zu erziehen. Und man muss ihnen den Antisemitismus austreiben, etwa, indem man sie ins ehemalige KZ Mauthausen führt und sie mit dem Holocaust konfrontiert.
profil: Das könnte man auch mit etlichen Österreichern machen. Deutsch: Der rechte Antisemitismus ist in Österreich zur Zeit eher ruhig. In Deutschland schaukeln sich der islamische Antisemitismus und der rechte Antisemitismus gegenseitig auf.
profil: FPÖ-Obmann Strache und seine Parteifreunde fahren immer wieder nach Israel, um dort von jedem Antisemitismus-Verdacht reingewaschen zu werden. Gefällt Ihnen das? Deutsch: Auch ein blindes Huhn findet einmal ein Korn, und wenn diese Leute Israel positiv beurteilen, soll man sie nicht daran hindern. Aber wenn in der FPÖ immer noch viele Vertreter dem Rechtsradikalismus nahe kommen, wenn in einer FPÖ-nahen Zeitung KZ-Häftlinge verunglimpft werden und Herr Strache diesem Blatt ein Interview gibt, dann kann er mir tausendmal sagen, wie wichtig ihm Israel ist. Es ist nicht glaubhaft.
profil: Warum hat Norbert Hofer im Wahlkampf Ihrer Meinung nach diese Räuberpistole vom Anschlag am Tempelberg erzählt, dem er ganz nahe gewesen sei? Deutsch: Ich verstehe, dass die FPÖ die Anerkennung Israels sucht, damit westliche Staaten nicht protestieren, sollte Hofer Bundespräsident werden. Aber warum man sich mit Storys, die nicht stimmen, behelfen muss, das müssen Sie ihn selbst fragen.
profil: Die Kultusgemeinde gibt die Zahl der österreichischen Juden mit 8000 an. Ich habe den Eindruck, dass es weit mehr sind. Deutsch: Wir schätzen, dass es etwa 13.000 Juden in Österreich gibt, aber 8000 sind Mitglieder der Kultusgemeinde. Die meisten von ihnen wohnen in Wien.
profil: Die Kultusgemeinde hatte einmal den Plan, innerhalb von zehn Jahren 10.000 jüdische Zuwanderer nach Österreich zu holen. Gilt der weiterhin? Deutsch: Den Plan gibt es, damit die eben nur aus 8000 Mitgliedern bestehende Gemeinde am Leben bleibt. Und die Leute kommen ja auch. Sie kommen vor allem wegen der guten Infrastruktur, die Wien bietet: jüdische Kindergärten, Schulen, Altersheime, Sporteinrichtungen, koschere Supermärkte. Viele Juden kommen aus Deutschland, wo es das in dieser Vielfalt in keiner Stadt gibt. Es ist leider sehr schwierig, die Kriterien der Rot-weiß-rot-Karte für Zuwanderer zu erfüllen. Es ist viel leichter, als Flüchtling nach Österreich zu kommen.
profil: Wir diskutieren über türkische Gegengesellschaften. In der Wiener Leopoldstadt gibt es eine "jüdische Gegengesellschaft" mit eigenen Lokalen, eigenen Geschäften und praktisch keinem Kontakt mit der "Mehrheitsbevölkerung". Deutsch: Viele in Wien lebende Juden sind aus ganz unterschiedlichen Ländern zugewandert. Sie haben ihre eigenen Rituale, ihre eigenen religiösen Gebräuche. Wir wollen, dass das so bleibt. Das soll nicht verlorengehen. Aber diese Leute sind Teil der österreichischen Gesellschaft.
profil: Würden Sie es gern sehen, dass sich eines Ihrer Kinder einen nichtjüdischen Ehepartner sucht? Deutsch: Das würde ich nicht wollen.
profil: Würde ich einem Katholiken dieselbe Frage stellen, und er würde sagen: "Ich will nicht, dass mein Sohn eine Jüdin heiratet", würden wir beide ihn wohl einen Antisemiten nennen. Deutsch: Die Juden sind überall, wo sie auftreten, eine Minderheit. Es gibt nur 14 Millionen Juden auf der Welt, wir müssen diese Identität erhalten. Aber am Ende des Tages können Sie den Kindern ohnehin sagen, was Sie wollen: Wenn sie verliebt sind, ist ihnen die Religion egal. Das passiert immer wieder.
profil: Halten Sie sich persönlich an das jüdische Regelwerk? Deutsch: Ich halte die Sabbat-Regeln ein.
profil: Die sind ja sehr streng. Man darf am Samstag nichts tragen, nicht einmal die eigenen Haustorschüssel, man darf keinen Kinderwagen schieben und auf keinen Klingelknopf drücken. Deutsch: Darum haben wir ja in Wien vor fünf Jahren einen Eruv eingerichtet.
profil: Was ist ein Eruv? Deutsch: Das ist eine von einer fiktiven Mauer umgebene Zone, in der viele dieser Regeln nicht gelten (Anmerkung: In Wien verläuft diese fiktive Mauer etwa entlang des Gürtels bis zur Donau. Der Eruv umfasst also die Bezirke 1 bis 9 sowie den 20.Bezirk.). Darum sehen Sie ja heute am Sabbat viele Familien, die einen Kinderwagen schieben. Das hat es vor fünf Jahren noch nicht gegeben. Eruvim gibt es übrigens nicht nur in Israel, sondern in fast allen amerikanischen Großstädten, in London und Antwerpen.
Bis auf die Jerusalem-Frage sind alle Fragen lösbar. Wie man das mit Jerusalem macht - da fehlt mir jede Vorstellung.
profil: Zu Israel: Wie gefällt Ihnen der neue Verteidigungsminister Avigdor Liebermann? Deutsch: Ich werde zu israelischen Politikern weder eine positive noch negative Meinung abgeben, so auch nicht zu Liebermann.
profil: Liebermann sei ein Rassist und Faschist, schreiben nicht nur ausländische Zeitungen, sondern auch israelische. Deutsch: Ich würde mir wünschen, dass es in allen Ländern dieser Region so demokratisch zugeht wie in Israel, dass man jeden Politiker kritisieren kann, ohne dass man eingesperrt wird, wie es gerade in der Türkei passiert.
profil: Israel ist ein ganz normaler Staat und muss wie jeder andere Staat Kritik hinnehmen, ohne dass man den Kritiker gleich einen Antisemiten nennt. Deutsch: Natürlich. Aber wenn Leute immer nur das kleine Israel kritisieren und keinen der vielen Schurkenstaaten dieser Welt, dann sagt das schon etwas. In Israel selbst herrscht jedenfalls, wie in jedem demokratischen Land, eine ausgeprägte Kritikkultur.
profil: Auch die Freunde Israels im Westen sehen die Siedlungspolitik als eines der großen Hindernisse für eine Friedensregelung. Wollen Sie das bestreiten? Deutsch: Israel hat immer Land für Frieden gegeben, und das würde man auch jetzt tun. Aber Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas hat sofort Gaza an die Hamas, eine Terrororganisation, verloren, er hat keine Kontrolle über die eigenen Gebiete. Bis auf die Jerusalem-Frage sind alle Fragen lösbar. Wie man das mit Jerusalem macht - da fehlt mir jede Vorstellung.
profil: Und wie bekommen Sie die Siedler wieder aus dem Westjordanland hinaus? Deutsch: Man hat sie auch aus Gaza hinausbekommen. Das war nicht leicht, es war nicht schön - ich hab die Bilder noch im Kopf -, aber es war möglich. Aber mit wem machen Sie Frieden? Wer garantiert, dass von einem neuen Palästinenserstaat Frieden ausgeht? Das kann keiner, schon gar nicht Mahmud Abbas. Man kann so lange nicht Frieden machen, solange nicht Sicherheit für Israel garantiert wird.
profil: Die derzeitige israelische Regierung macht allerdings nicht den Eindruck, als sei sie erpicht auf neue Friedensverhandlungen. Deutsch: Es geht doch um die Menschen. Viele in Israel sind müde von diesem Konflikt, Eltern wollen ihre Kinder nicht mehr zum Militär schicken, sie wollen ihren Frieden haben. Aber einen Frieden in Sicherheit.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft hier in Österreich muss alles tun, damit es in den Moscheen keine Hasspredigten gibt.
profil: Haben Sie schon die neue Staatssekretärin Muna Duzdar getroffen? Deutsch: Ja, wir haben uns schon getroffen.
profil: Die Kultusgemeinde war über ihre Bestellung ja nicht recht glücklich, weil ihre Eltern Palästinenser sind. Deutsch: Es gab keine Reaktion der Kultusgemeinde auf ihre Bestellung, einzelne Gemeindemitglieder haben reagiert. Frau Duzdar hat sich bei mir gemeldet und wir hatten ein interessantes und konstruktives Gespräch.
profil: Ist es auch um den Nahen Osten gegangen? Deutsch: Nein. Hätten wir das Nahost-Problem gelöst, hätten wir Sie schon darüber informiert.
profil: Das Deutsch/Duzdar Abkommen - würde gut klingen. Worum ist es wirklich gegangen? Deutsch: Frau Duzdar ist in der Regierung für Kultusfragen zuständig, und wir haben über ihre Initiative gegen Hassparolen im Internet geredet. Ich habe dann die Gefahr, die von islamistischem Antisemitismus ausgeht, angesprochen. Meine Message an die Staatssekretärin war, dass die moderaten Muslime in der ganzen Welt aufstehen und sagen müssen: Das geht nicht. Und die Islamische Glaubensgemeinschaft hier in Österreich muss alles tun, damit es in den Moscheen keine Hasspredigten gibt. Wenn wir Juden oder Christen das sagen, nimmt man uns nicht ernst. Das müssen die moderaten Moslems tun, sie müssen ihr Schweigen beenden.
profil: In der Kultusgemeinde gab es vor der Bundespräsidentenwahl heftige Diskussionen, weil Sie keine Wahlempfehlung für Alexander Van der Bellen abgegeben haben ... Deutsch:... aber ich habe drei Tage vor der Wahl in der "Presse" einen Artikel geschrieben, in dem ich fünf Voraussetzungen für einen Bundespräsidenten formuliert habe, den ich wählen würde.
profil: Den Artikel habe ich gelesen, aber die fünf Punkte waren sehr allgemein gehalten, die treffen bald auf jemanden zu. Deutsch: Nicht auf Norbert Hofer. Ich habe bei allen Veranstaltungen und Diskussionen klar gesagt, wen ich wähle. Nach außen hin habe ich es nicht gesagt, weil es die gute Tradition der Kultusgemeinde ist, keine Wahlempfehlung abzugeben. Keiner meiner Vorgänger hat das gemacht.
profil: Halten Sie die Wahlwiederholung für gerechtfertigt? Deutsch: Ich habe diese Entscheidung nicht verstanden. Wenn man einfach die Stimmen noch einmal ausgezählt hätte, hätte das genügt. Es wäre genau dasselbe Ergebnis herausgekommen.
profil: Dennoch wird es auch diesmal keine Wahlempfehlung geben? Deutsch: Jeder, der mich fragt, wird eine Antwort bekommen. Antifaschismus, Humanismus und noch einiges mehr - das sind die Voraussetzungen für einen Kandidaten. Und da ist ja wohl relativ klar, wen man wählt.
OSKAR DEUTSCH, 53, Der gebürtige Wiener studierte an der Wirtschaftsuniversität und ist Geschäftsführer einer familieneigenen Kaffee-Handelsgesellschaft. Deutsch wurde 2012 zum Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde gewählt und ist auch Vorsitzender des jüdischen Sportclubs Maccabi Wien.