Flüchtlinge auf einem Boot vor der Insel Lesbos im September 2015

Kurskorrektur

Die Balkanroute wurde zum Symbol für ein Umdenken in der Asylkrise.

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Angela Merkel war ernsthaft verstimmt, und ihr Ärger richtete sich gegen ein Nachbarland, mit dem sich die Deutschen normalerweise blendend verstehen: Österreich. Am 29. Februar 2016 hatte die deutsche Kanzlerin einen Soloauftritt in der Talkshow "Anne Will", und Merkel nützte die Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge noch einmal klarzumachen. "Wenn der eine seine Grenze definiert, muss der andere leiden. Das ist nicht mein Europa", erklärte sie. Fünf Tage vorher hatte in Wien eine Konferenz stattgefunden, an der neun Länder Osteuropas und der Gastgeber teilnahmen. Nicht eingeladen waren Deutschland und Griechenland. Einstimmig beschlossen wurde in der Wiener Hofburg die Schließung der sogenannten Balkanroute -also des Landwegs von Griechenland bis nach Mitteleuropa, über den pro Tag Zigtausende Flüchtlinge mehr oder weniger unkontrolliert nach Österreich und Deutschland oder weiter nach Schweden strömten. Als Angela Merkel im Fernsehstudio Platz nahm, war die Zahl der illegalen Einreisen -auch in Deutschland -bereits drastisch gesunken. Es war die erste Atempause seit fast einem halben Jahr. Doch Merkel blieb bei ihrem Credo: Die Flüchtlingskrise lasse sich nur gemeinsam lösen, nicht durch Maßnahmen einzelner Mitgliedsländer.

Wie sich herausstellen sollte, war das ein Irrtum. Die Schließung der Balkanroute funktionierte. In der EU finden sich kaum noch hochrangige Politiker, die den alten Zustand wiederherstellen möchten. "Ich bin Österreich dankbar für seine Initiative", erklärte etwa CDU-Staatssekretär Jens Spahn im Herbst vergangenen Jahres. Ohne Gegenmaßnahmen wäre die Situation vermutlich eskaliert. Zwischen 5. September und 31. Dezember 2015 wurden in Österreich exakt 677.487 illegal eingereiste Personen aufgegriffen. Allein zwischen Jahresanfang 2016 und Mitte Februar kamen auf den griechischen Inseln weitere 80.000 Menschen an -die allermeisten mit dem Plan, nach Mitteleuropa weiterzureisen. Ende Jänner reagierte Österreich mit dem Beschluss einer Obergrenze von 37.500 Asylanträgen pro Jahr. Andere Länder auf der Route folgten. Das sorgte für einen ersten Rückgang. Ende Februar, also noch bevor das EU-Türkei-Abkommen in Kraft trat, gingen die Zahlen markant nach unten.

Viele Experten hatten vorhergesagt, dass die Flüchtlinge einfach andere Wege nach Europa finden würden. Doch die Statistik bestätigt das nicht: Im gesamten Jahr 2016 gab es in Österreich nur noch 160.000 Aufgriffe, zwischen 1. Jänner und 15. Februar 2017 waren es rund 3900.

Um die Schleuserbandenwirksamer zu bekämpfen, müssen wir ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen

Die Balkanroute ist nicht komplett dicht, das wäre gar nicht machbar. Deutlich mehr Sorgen bereitet den österreichischen Behörden aktuell aber das Grenzgebiet zu Italien, wo pro Tag zwischen 100 und 150 Flüchtlinge aufgegriffen werden. Es handle sich jedoch nicht um Menschen, die sonst über Griechenland gekommen wären, sagt Gerald Tatzgern, Chef des Bundeskriminalamts. "Die Flüchtlinge stammen vorwiegend aus Somalia, Eritrea, Nigeria, einige auch aus Marokko. Syrer und Afghanen sind fast keine dabei."

Am meisten verändert hat sich in den vergangenen Monaten der politische Diskurs über die Asylkrise. Noch im Spätherbst 2015 galt vor allem in Deutschland die Sprachregelung, dass man Flüchtlinge nicht aufhalten könne, schon gar nicht durch Grenzzäune. Mittlerweile ist klar: Doch, das geht, und zwar ohne Gewaltanwendung. Immer mehr Politiker plädieren dafür, im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge erst gar nicht nach Europa zu bringen, sondern zurück nach Afrika. "Um die Schleuserbandenwirksamer zu bekämpfen, müssen wir ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen", erklärte jüngst Thomas Oppermann, Fraktionschef der SPD im Deutschen Bundestag.

Rosemarie Schwaiger