Kurz versenkt Schüssels Privatisierungs-Philosophie
Wolfgang Schüssel ist kein Romantiker. Auch einen Hang zum Pathos werden dem ehemaligen Kanzler nicht viele nachsagen. Aber es gibt ein Thema, bei dem Schüssels Coolness Pause macht. Wenn es um die Privatisierung von Staatsbetrieben ging, geriet er schnell ins Schwärmen. "Die Unternehmen werden aus den Fesseln und Fängen der Politik befreit", erklärte Schüssel einmal. Ein andermal versprach er: "Da liegt viel Musik drinnen für den Standort Österreich." Bereits erfolgte Verkäufe hielt er grundsätzlich für Geniestreiche - auch wenn die Opposition völlig anderer Meinung war: "Weil wir privatisiert haben, sind die Unternehmenswerte gestiegen. Erst die Privatisierung hat die Fantasie der Anleger beflügelt", sagte er etwa im Jahr 2005 bei einem Festakt der damaligen Verstaatlichtenholding ÖIAG.
Lange hatte Wolfgang Schüssel seine Vorstellungen nicht wie gewünscht umsetzen können, weil die SPÖ im Weg stand. Mit dem Amtsantritt von Schwarz-Blau im Februar 2000 gab es endlich keine Hindernisse mehr. "Mehr privat, weniger Staat", Schüssels politisches Lebensthema, wurde Programm. In den fast sieben Jahren der von ihm geführten Regierung wechselten Unternehmen und Unternehmensanteile der Republik im Wert von über 7,5 Milliarden Euro den Besitzer. Die SPÖ tobte, und beileibe nicht alle Privatisierungen erwiesen sich im Nachhinein als Jackpot für die Volkswirtschaft. Aber im Prinzip hatte alles seine Ordnung: Einer rechtskonservativen Regierung muss daran gelegen sein, den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft im Land zu verringern. So steht es in jedem politikwissenschaftlichen Lehrbuch.
Fragt sich bloß, warum Sebastian Kurz jetzt so überhaupt keine Lust zeigt, Wolfgang Schüssels Herzensprojekt fortzusetzen. Im Regierungsprogramm kommt das Wort "Privatisierung" kein einziges Mal vor. Im Finanzministerium heißt es auf Nachfrage, dass "derzeit keine Privatisierungen geplant" seien. Die jüngsten Aktivitäten von Finanzminister Hartwig Löger scheinen in Richtung "mehr Staat" zu gehen. Vor ein paar Wochen kündigte Peter Löscher, Aufsichtsratsvorsitzender des Öl- und Gaskonzerns OMV, seinen Rückzug aus dem Kontrollgremium an. Begründung: Das Vorhaben der Regierung, die Beteiligungen "wieder stärker unter direkte staatliche Kontrolle zu bringen". In der Tat sei vorgesehen, das Beteiligungsmanagement künftig etwas aktiver anzugehen, sagt Jim Lefebre, Sprecher des Finanzministers. Was das genau heißt? "Aktives Beteiligungsmanagement bedeutet, dass die Staatsholding ÖBIB in den Unternehmen über die Aufsichtsorgane wieder stärker ihre Verantwortung wahrnimmt."
Nach außen reagierte die Regierung auf die Kritik von Löscher, immerhin der ehemalige Siemens-CEO, cool. Intern wurde es allerdings als Brüskierung verbucht, dass ein Aufsichtsratsvorsitzender öffentlich Kritik an seinem Eigentümer äußert.
Gesetzesnovelle
Hebel für die "stärkere staatliche Kontrolle" ist eine Gesetzesnovelle zur ÖBIB, der Österreichischen Bundes- und Industriebeteiligungen GmbH. Die ÖBIB als ÖIAG-Ersatz wurde von Rot-Schwarz 2015 erfunden - und erwies sich im Betrieb als Fehlkonstruktion. ÖBIB-Chefin Martha Oberndorfer (ihr Vertrag lief im Juni aus) hatte bisweilen Probleme, überhaupt Informationen aus den teilstaatlichen Unternehmen zu erhalten. Denn die ÖBIB ist nicht in deren Aufsichtsräten vertreten und damit im Vergleich zu ihren Miteigentümern aus Mexiko (bei der Telekom Austria) und Abu Dhabi (bei der OMV) sogar schlechter gestellt.
Nun soll mit dieser Selbstentmachtung Schluss sein. Die Novelle zum ÖIAG-Gesetz, das die ÖBIB regelt, ist fertig. Die Eckpunkte: Zu den neun Beteiligungen kommen die Staatsanteile am Verbund sowie die Bundesimmobilien Gesellschaft - die BIG verwaltet 2100 staatliche Liegenschaften im Wert von elf Milliarden Euro - hinzu. Überdies soll aus der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) wieder eine Aktiengesellschaft (AG) werden. Ziel ist es, wie Finanzminister Löger jüngst in Alpbach kundtat, "eine direkte Steuerungs- und Managementbasis für den Bund" zu gewährleisten.
In der Praxis soll der Vorstand der ÖBIB möglichst bald den Aufsichtsratsvorsitz bei den Beteiligungskonzernen übernehmen. Laut Lögers Gesetzesentwurf wird dieser Vorstand nur aus einer einzigen Person bestehen. Die naheliegende Begründung: Auch die ÖBIB neu wird als reine Holding wie derzeit nur über zwei Dutzend Angestellte verfügen. Ein Zweier-Vorstand würde der gebotenen Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit widersprechen und Öffentlichkeit und Opposition aufscheuchen.
Laut profil-Informationen dürfte die ÖVP die Rechnung allerdings ohne ihren Koalitionspartner gemacht haben. Denn die FPÖ scheint nicht gewillt, die ÖBIB neu einfach durchzuwinken. Derzeit liegt das Papier zur Abstimmung bei den beiden Regierungskoordinatoren, den Ministern Gernot Blümel (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ).
Als absoluter Favorit für den Top-Posten gilt der derzeitige Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid. Daneben werden dem FPÖ-Abgeordneten Axel Kassegger Ambitionen nachgesagt. Auch die Unternehmerin Antonella Mei-Pochtler wurde in den Medien als neue ÖBIB-Chefin gehandelt.
Wunderwuzzi gesucht
Wie schon bei den früheren Besetzungen bei ÖIAG und ÖBIB stellt sich auch nun die Frage nach dem Anforderungsprofil für den Spitzenjob. Eigentlich braucht es einen Wunderwuzzi, der sowohl Erfahrung im Management eines Industriekonzerns als auch in der Politik besitzt. Ein Spitzenbeamter aus dem Finanzministerium mit Kabinettserfahrung wie Schmid oder auch ein langgedienter Abgeordneter mit Wirtschaftserfahrung wie Kassegger besitzen zweifellos die notwendige Gewandtheit für den politischen Part des ÖBIB-Chefpostens. Allerdings muss der zukünftige Verstaatlichten-Chef auch gegen schwergewichtige CEOs wie OMV-Boss Rainer Seele oder Post-Chef Georg Pölzl im Infight bestehen.
Aus ÖVP und FPÖ heißt es, über Personalbesetzungen werde erst am Schluss entschieden. Zunächst wolle man den Gesetzgebungsprozess abwarten. Laut dem aktuellen Zeitplan soll die ÖBIB neu noch im Dezember im Parlament beschlossen werden, vorausgesetzt die FPÖ segnet den Ein-Personen-Vorstand ab. Der mögliche türkis-blaue Kompromiss: Die FPÖ verzichtet auf den Zweier-Vorstand, erhält aber zu einem späteren Zeitpunkt eine Spitzenfunktion bei der ÖBIB. Passende neue Posten gäbe es wohl: So plant Finanzminister Löger die Einrichtung eines Zukunftsfonds in der ÖBIB. Dieser soll aus den Dividenden von Post, OMV & Co. gespeist werden und sich nach dem Vorbild des norwegischen Staatsfonds an heimischen Hightech-Unternehmen beteiligen. Um den Wirtschaftsstandort zu stärken, so die offizielle Begründung; um den Ausverkauf an die Chinesen zu verhindern, so die inoffizielle.
So sinnvoll staatliche Beteiligungen an Schlüsselindustrien auch sein mögen -"mehr privat, weniger Staat" sieht definitiv anders aus. Warum wird Österreichs viel gescholtene Rechtsregierung ausgerechnet bei diesem Thema zum Linksabweichler?
Im Vergleich zu den 1980er-Jahren, als ganze Industriezweige in Staatsbesitz waren (und Milliardenverluste erwirtschafteten) nehmen sich die Besitztümer der Republik mittlerweile zwar bescheiden aus. Aber es ist abseits der ÖBIB-Beteiligungen, der BIG und dem Verbund noch einiges übrig: etwa Bundesforste, ASFINAG und ÖBB.
Viele dieser Preziosen würde auch der eifrigste Privatisierer nicht anrühren. So denkt in der ÖVP derzeit niemand daran, den Personen- oder Güterverkehr der Bundesbahnen zu verkaufen. Auch eine Aufsplittung der Telekom Austria in eine staatliche Infrastrukturgesellschaft und eine private Betreibergesellschaft steht nicht zur Debatte.
Manche Aufgaben wie die Finanzierung von Schiene und Straße muss der Staat selbst erledigen. Aber unter den Beteiligungen des Bundes finden sich einige, von denen man sich ohne Herzschmerz trennen könnte. Zum Beispiel hält die Republik über die ÖBIB 33,24 Prozent an der Casinos Austria AG. Das sei schon etwas seltsam, meint Michael Böheim vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo): "Man kann nicht auf der einen Seite für den Schutz der Menschen vor Spielsucht eintreten und auf der anderen Seite ein Geschäft mit dem Glücksspiel machen." Böheim war vor nunmehr acht Jahren Autor eine Studie, die weitere Privatisierungen zur Entlastung des Budgets empfahl.
"Keine Aktivitäten der Politik"
Würden sämtliche Beteiligungen auf die Sperrminorität von 25 Prozent reduziert, brächte das 25 Milliarden Euro, so das Wifo im Jahr 2010. Michael Böheim sieht keinen Grund, von den damaligen Überlegungen abzurücken: "Es gab auf diesem Gebiet seither keine Aktivitäten der Politik. Deshalb sind die Schlussfolgerungen unserer Studie nach wie vor gültig." Dass die schwarz-blaue Regierung diesbezüglich nichts unternimmt, hält er für bemerkenswert. "Man sollte sich einmal grundsätzlich überlegen, wie viele Anteile von welchem Unternehmen der Staat halten soll, und die anderen verkaufen." Mit den Erlösen könnte der Finanzminister dann die Staatsschuld reduzieren, empfiehlt der Experte.
Eher überraschend anderer Meinung ist Bernhard Felderer, früher Chef des Instituts für Höhere Studien und scheidender Präsident des Fiskalrats. Sein ganzes Berufsleben lang hat Felderer die hohe Schuldenlast der Republik kritisiert und Gegenmaßnahmen gefordert. Dennoch hielte er es jetzt für falsch, mit den Einnahmen aus Beteiligungsverkäufen Kredite zu tilgen. "Das wäre ein ganz schlechtes Geschäft", findet Felderer. "Es ist klüger, über ein hohes Wachstum die Schuldenquote zu verringern." Eben das ist im Vorjahr bereits passiert, wie die Statistik Austria jüngst berichten konnte. Österreichs Staatsfinanzen sind derzeit so gesund wie lange nicht. Erstmals seit 1997 sanken die Schulden nicht nur in Prozent des BIP, sondern auch in absoluten Zahlen.
Privatisierungen seien derzeit als Thema einfach nicht so wichtig, wie sie einmal waren, meint Bernhard Felderer. "Vieles wurde ja schon verkauft. Sicher könnte man zum Beispiel in der Stromwirtschaft noch etwas machen. Aber die Frage ist, ob das Österreich viel nützen würde. Ich glaube nicht." Es sei besser, sich jetzt mit dem Sozialstaat und seinen Anreizen zu beschäftigen, findet der Professor.
Unbarmherziger ist die Opposition. NEOS-Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn hält den Austriafirst-Zugang des Finanzministers für verfehlt: "Das ist ein ganz alter wirtschaftspolitischer Stil."