Diplomatie auf Österreichisch: Wladimir Putin und Wolfgang Schüssel im Jahr 2001.
profil-Morgenpost

Land der Putin-Versteher

Wie die österreichische Politik – trotz aller Warnsignale – gezielt die Nähe zu Russland gesucht und gepflegt hat.

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Emil Brix ist erfahrener Diplomat und wählt als solcher seine Worte zweifellos mit Bedacht. Umso bemerkenswerter sind die jüngsten Aussagen des Leiters der Diplomatischen Akademie und früheren Botschafters in Moskau im profil-history-podcast meiner Kollegin Christa Zöchling.

Mit Blick auf die äußerst guten Beziehungen Österreichs zum russischen Präsidenten Wladimir Putin in den vergangenen zwei Jahrzehnten analysiert Brix: „Die Devise war: Wir arbeiten mit dem dortigen Regime möglichst eng zusammen, weil uns das wirtschaftliche Vorteile bringt und es uns ermöglicht, eine größere Rolle zu spielen, als es sonst dem kleinen Österreich möglich wäre.“ Man müsse diesbezüglich dem damaligen ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel „eine gewisse Verantwortung zuschreiben“. Es sei „ein bewusster Schritt hin zu Putin“ gewesen: „Das ist ihm nicht nur passiert.“

„Moralisches Staatsversagen“

In den Jahren nach Schüssel bestimmte eine ganze Reihe weiterer Putin-Versteher den außenpolitischen und wirtschaftlichen Kurs Österreichs mit. Christa Zöchling zeichnet in der aktuellen Ausgabe von profil im Detail nach, wie die österreichische Spitzenpolitik Putins Regime über zwanzig Jahre hinweg schöngeredet hat – dies trotz aller Warnsignale. Offenbar glaubte man, gute Geschäfte machen zu können, begab sich dabei jedoch in eine Abhängigkeit, die nun umso schwieriger beendet werden kann. Zöchling beschreibt ein „moralisches Staatsversagen“ und kommt zu dem Schluss: „Eine Entschuldigung wäre fällig.“ Den gesamten Artikel finden Sie auch im ePaper.

Von einer Entschuldigung ist bis dato freilich nichts zu hören. Stattdessen werden zunehmend Stimmen laut, die die Sinnhaftigkeit der Sanktionen gegen Russland in Folge des Angriffs auf die Ukraine in Zweifel ziehen. Dabei würden die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen das Putin-Regime sehr wohl massiv treffen, meinen die Yale-Ökonomen Jeffrey Sonnenfeld und Steven Tian im profil-Interview mit Siobhán Geets. Ihre Einschätzung: „Russlands Wirtschaft implodiert gerade.“ 

Dramatisch verkalkuliert

Was hingegen die innerstaatliche Umsetzung der Russland-Sanktionen betrifft, hüllt sich die Regierung weitgehend in Schweigen. profil hat über die vergangenen Monate diesbezüglich viel recherchiert. Eines lässt sich sagen: Besonders durchschlagskräftig scheinen die Behörden nicht zu sein, wenn es etwa um das „Einfrieren“ von Immobilien geht, die dem Umfeld sanktionierter Oligarchen zugerechnet werden können. In einigen Fällen reicht es offenbar aus, dass formell ein naher Verwandter als Eigentümer eingetragen ist, damit eine bestimmte Luxus-Immobilie nicht unter die Sanktionen fällt. Umgehungsmechanismen ist Tür und Tor geöffnet.

Abhängigkeiten beenden ist immer schmerzhaft. Ein Rückfall in die Zeit der – scheinbar gemütlichen – austro-russischen Hochzeitswalzer-Diplomatie wäre jedoch fatal. Jene, die dies herbeisehnen, haben auch früher schon gedacht, Putin wäre berechenbar – und sich dabei dramatisch verkalkuliert.

Haben Sie eine schöne Woche!

Stefan Melichar

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.