Warum die Landeshauptleute so gut wie nichts falsch machen können
Johanna Mikl-Leitner war eine höchst umstrittene, viel kritisierte Innenministerin. Günther Platter galt als ein in fachlicher und jeder anderen Hinsicht überforderter Verteidigungs- und später Innenminister. Peter Kaiser stand lange im Ruf, für einen Politiker zu nett, zu verkopft und zu langweilig zu sein.
Mit der Prognose, dass ausgerechnet diese Persönlichkeiten zu den Helden des Politikfrühlings 2018 avancieren würden, hätte man vor ein paar Jahren noch die Lacher auf seiner Seite gehabt. Aber wie sich zeigte, wurde das Trio massiv unterschätzt. Seit Johanna Mikl-Leitner Landeshauptfrau in Niederösterreich ist, zweifelt niemand mehr an ihrer Eignung für das Metier. Günther Platter, der Landeschef in Tirol, muss sich schon lange nicht mehr vorhalten lassen, dass er kein Akademiker, sondern gelernter Buchdrucker und Ex-Polizist ist. Peter Kaiser geht zwar nach wie vor nicht als Stimmungskanone durch, mittlerweile gilt sein zurückhaltendes Naturell aber als höchst charmant – quasi eine Wunderwaffe im Kampf um die Sympathien der Kärntner.
Was ist da passiert? Wie konnten diese drei Persönlichkeiten ihr Ansehen dermaßen steigern? Haben sie vielleicht alle ein besonderes Talent, das lange brachlag und erst im zweiten Anlauf entdeckt wurde? Anzunehmen ist das nicht. Mikl-Leitner, Platter und Kaiser sind in ihrem Auftreten und ihren Eigenarten grundverschieden. Dass alle drei jüngst furiose Wahlsiege einfuhren, lässt sich also schwerlich mit einer gemeinsamen Spezialbegabung erklären. Wahrscheinlicher ist, dass die Erfolge der Politiker mehr mit den Besonderheiten des Amts zu tun haben: Es gibt einfach sehr wenig, was man als Landeshauptmann oder -frau falsch machen kann.
In Niederösterreich, Tirol und Kärnten sei die Aufgabe zuletzt sogar noch etwas einfacher gewesen als gewöhnlich, sagt der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer: „Ich würde da nicht von einem Wahlkampf, sondern eher von einem Wahlgang reden.“ In allen drei Ländern seien durch den Wegfall oder das Schwächeln diverser Konkurrenten (etwa des Team Stronach in Niederösterreich und der Grünen in Kärnten) so viele Stimmen auf dem Markt gewesen, dass den Regenten gar nichts anderes übrig blieb, als haushoch zu siegen. Dazu kam eine handzahme Opposition. „Die politischen Gegner wollten erkennbar kein Porzellan zerschlagen“, erklärt Bachmayer.
Spitzenpolitik gilt als unmenschliche Branche, in der man rasant altert und nie sicher sein kann, die nächsten paar Monate beruflich zu überleben. Die Mitbewerber machen einem das Leben schwer, die Medien lauern auf jeden kleinen Fehler, die Wähler sind undankbar und launisch. Wie schnell aus einem gefeierten Superstar ein gedemütigter Verlierer werden kann, zeigte sich zuletzt am Beispiel des SPÖ-Chefs. Christian Kern bereut sicher schon lange, dass er seinen angenehmen Job bei den ÖBB für die Vorhölle namens Politik aufgegeben hat.
Zum Glück gibt es in dieser stürmischen See eine Insel, auf der immer die Sonne scheint. Wer einmal Landeshauptmann oder Landeshauptfrau geworden ist, muss sich um seine Zukunft für gewöhnlich keine Sorgen mehr machen. Es gab Urnengänge mit unangenehmen Überraschungen, das schon. Doch bei über 140 Landtagswahlen seit 1945 wurden nur achtmal Landeshauptleute aus dem Amt geschubst. Das Risiko, eine Wahl so krachend zu verlieren, dass anschließend der Job weg ist, liegt also bei etwa 5,5 Prozent.
Im Normalfall wird die Dauer der Amtszeit nur von der eigenen Lebensplanung begrenzt. Wenn der Wiener Bürgermeister Michael Häupl demnächst seinen Job an Michael Ludwig übergibt, wird er 24 Dienstjahre auf dem Buckel haben. Der Niederösterreicher Erwin Pröll demissionierte nach 25 Jahren, der Oberösterreicher Josef Pühringer nach 22. Auch der Burgenländer Hans Niessl ist mit etwas mehr als 17 Jahren Amtszeit kein blutiger Anfänger mehr. Man muss vor Charisma nicht schier bersten, um in diesem Genre auf Dauer zu reüssieren. Das findet jedenfalls Anneliese Ratzenböck, Ehefrau des früheren oberösterreichischen Landeshauptmanns Josef Ratzenböck (Amtszeit von 1977 bis 1995). In der Biografie ihres Gatten wird sie wie folgt zitiert: „Es hat nichts Hervorstechendes an ihm gegeben. Ich muss sagen, dass ich den Erstbesten geheiratet habe, und in der Rückschau war er der Beste.“
Auch wenn es oft anders wirkt: Sonderlich mächtig sind die Landeshauptleute nicht. Fast alle wichtigen Kompetenzen liegen beim Bund. In den Ländern wird hauptsächlich administriert, exekutiert und repräsentiert. So gesehen war die von einigen Beobachtern beklagte Themenarmut in den jüngsten Wahlkämpfen systemimmanent. Worüber soll man sich streiten, wenn es dann eh keine Handhabe gibt, Dinge nachhaltig zu verändern? Wendelin Weingartner, einst Landeshauptmann in Tirol, hat die Diskrepanz zwischen Sein und Schein einmal so beschrieben: „Die Leute glauben, man ist für alles zuständig. In Wirklichkeit kann man ihnen oft nur zuhören und Präsenz signalisieren.“
Die Arbeit eines Landeschefs ist zeitraubend und oft genug anstrengend, aber nicht sonderlich kompliziert. Man eröffnet Kindergärten, Kreisverkehre und Seniorenwohnheime, hält Festreden, ist Ehrengast bei Kulturveranstaltungen und spendet Trost, wenn es irgendwo gebrannt, zu viel geregnet oder über die Maßen geschneit hat. Vor allem aber können Markus Wallner, Thomas Stelzer, Johanna Mikl-Leitner und Kollegen Geld ausgeben, ohne es vorher den Bürgern abknöpfen zu müssen. Das erledigt netterweise der Finanzminister. Der heimische Föderalismus ist so konstruiert, dass 95 Prozent der Steuern vom Bund eingehoben werden. Über den Finanzausgleich bekommen die Länder dann ohne weitere Anstrengungen ihren Anteil. So wird sichergestellt, dass sich nur die Bundespolitik unbeliebt macht, während die Landeshauptleute bei Bedarf als Wohltäter auftreten können.
Eine grundlegende Reform des Föderalismus steht seit Jahrzehnten auf der politischen Agenda. Da sich die Länder natürlich gegen jede Änderung ihrer komfortablen Position sträuben, kam es nie dazu. Der bereits erfolgte oder demnächst bevorstehende Generationswechsel in Niederösterreich, Oberösterreich und Wien sollte die Umsetzung dieses Projekts eigentlich erleichtern. Das war zumindest die Hoffnung. Doch mit jedem Erdrutschsieg bei einer Landtagswahl werden die Chancen kleiner. „Ich fürchte, es wird wieder sehr still um die Bundesstaatsreform werden“, glaubt Meinungsforscher Bachmayer. „Die Länder sind jetzt gestärkt und werden alles ablehnen, was ihre Macht einschränkt.“
Justizminister Josef Moser war in seinem früheren Leben als Präsident des Rechnungshofes ein äußerst beherzter Kritiker der Bundesländer gewesen. Unter anderem hinterließ er ein Konvolut mit 1007 Empfehlungen für eine vernünftigere Verteilung der Aufgaben auf Bund und Länder. Mittlerweile geht er das Problem deutlich vorsichtiger an. Wie von den Landeshauptleuten gewünscht, werde es bald ein Paket mit Vorschlägen zur Entwirrung der Kompetenzen geben, versprach Moser jüngst bei einem gemeinsamen Auftritt mit Günther Platter.
Die nächste und für dieses Jahr letzte Landtagswahl steht am 22. April in Salzburg auf dem Programm. ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer kann den Sekt für die Party am Wahlabend bereits kalt stellen; ordentliche Zugewinne sind ihm sicher. Auch in Salzburg werden die Grünen stark verlieren, das Team Stronach hat sich aufgelöst. Es gibt also sehr viele heimatlose Stimmen, die wenigstens zum Teil bei der Partei des Amtsinhabers landen werden. Aktuelle Umfragen sehen die ÖVP bei etwa 34 Prozent, das wäre ein Plus von fünf Prozentpunkten. Vielleicht wird das Ergebnis auch deutlich besser. „Ich bin zuversichtlich, dass es gut laufen wird“, sagt Haslauer: „Die Leute sind zufrieden mit unserer Arbeit, und es gibt einen Trend zu Stabilität und Sicherheit.“
Bevor er selbst ins Chefbüro einziehen konnte, hatte Hauslauer neun Jahre lang als Stellvertreter der extrem beliebten Landeshauptfrau Gabi Burgstaller gedient. Erst der Finanzskandal ermöglichte 2013 den politischen Farbwechsel. In fünf Jahren ist der spröde Jurist den Salzburgern genauso ans Herz gewachsen wie einst die quirlige Burgstaller. Bei einer Direktwahl käme Haslauer aktuell locker auf eine Zweidrittelmehrheit.
Die Liebe der Wähler hängt offenbar mehr am Amt als an der Person. Das musste auch Erwin Pröll zur Kenntnis nehmen. Im Jänner hatte der Meinungsforscher Peter Hajek die Niederösterreicher gefragt, wie sehr ihnen der langjährige Landesvater fehle. Ergebnis: Nur zehn Prozent vermissen Pröll sehr.