Interview
Christopher Drexler: „Vielleicht wäre Kickl besser Werbetexter geblieben“
Steiermarks Landeshauptmann Christopher Drexler im Interview über die „Aufholjagd“der ÖVP und Herbert Kickl als „Hasspopulisten“.
Von Iris Bonavida
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Die ÖVP lag bei der EU-Wahl in vier Bundesländern auf Platz eins. In Tirol begründete es die Landespartei damit, dass die Bevölkerung eine klare Kante zur FPÖ schätzt. In Niederösterreich feierte die ÖVP ihre Mobilisierungskraft. Hat Ihrem Bundesland beides gefehlt?
Drexler
Wir haben auch eine sehr klare Position zu Herbert Kickl und der FPÖ, auch wenn wir in der Steiermark einen respektvollen Umgang miteinander pflegen. Ohne irgendwelche Kollegen korrigieren zu wollen, aber wenn wir die Europawahl nicht mit der Ausnahmewahl 2019 nach Ibiza vergleichen, sondern mit 2014, haben wir relativ das beste Ergebnis aller ÖVP-Bundesländer. Im Vergleich zu 2014 haben wir genau 0,0 Prozent verloren.
Jetzt mussten Sie aber einen besonderen statistischen Trick bemühen.
Drexler
Es ist kein Trick. 2019 war eine Sondersituation, wir haben weit über dem Schnitt dazugewonnen. Jetzt liegen wir etwas unter dem Schnitt. Aber das Ergebnis am Sonntag war für unsere Funktionärinnen und Funktionäre durchaus eine Motivation. Eine Aufholjagd ist möglich, im Bund und in der Steiermark ist alles offen.
Trotzdem ist im Heimatbundesland von Spitzenkandidat Reinhold Lopatka die ÖVP nicht auf Platz eins.
Drexler
Die Steiermark ist eben nicht so ein Stammwähler-Land wie Niederösterreich oder Wien, sondern hat die mobilste Wählerschaft Österreichs.
Umso erschreckender eigentlich für Sie vor der Landtagswahl im Herbst.
Drexler
Das ist nicht erschreckend, das ist nur herausfordernd. Und diese Herausforderung nehme ich gerne an. Ich sehe uns auf einem guten Weg in Richtung Platz eins, und ich werde mit einer Politik der Vernunft dafür kämpfen.
Ist die FPÖ zur besseren Volkspartei geworden?
Drexler
Wenn man den Begriff Volkspartei politologisch betrachtet, kann man derzeit von drei Volksparteien in Österreich sprechen. Ich glaube aber nicht, dass die FPÖ im Sinne der Österreichischen Volkspartei zur besseren Volkspartei geworden ist. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir dem Kickl-Spuk aus Verschwörungserzählungen, Russlandfreundlichkeit und einer Verrohung der politischen Kultur Einhalt gebieten können.
Ist es ein Kickl-Spuk oder ein FPÖ-Spuk?
Drexler
Kickl treibt die Radikalisierung höchstpersönlich voran. Vielleicht wäre er besser Werbetexter geblieben, denn mittlerweile scheint er ja an seine eigenen Verschwörungen zu glauben.
Nehammer nennt Kickl einen Rechtsextremen. Sie auch?
Drexler
Ich bin bei solchen Begrifflichkeiten immer außerordentlich vorsichtig. Ich würde ihn als Verschwörungs- und Hasspopulisten bezeichnen.
Die FPÖ hat bei der EU-Wahl die meisten Stimmen von der ÖVP geholt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Drexler
Die ÖVP hat unter Sebastian Kurz viele Stimmen von der FPÖ geholt. Manche – zugegeben, viele – wandern wieder zurück. Das zeigt, dass viele Wählerinnen und Wähler für uns ansprechbar wären. Insofern ist es wichtig, vernünftige Positionen klar und kantig zu formulieren. Zum Beispiel in der Migrationspolitik. So haben Wähler ein Angebot für vernünftige Politik, ohne gleich die Umarmung von Wladimir Putin und diverseste Verschwörungserzählungen mitzuwählen.
Das impliziert, dass es bis jetzt nicht gemacht wurde.
Drexler
Es wurde und wird gemacht. Reinhold Lopatka hat es im Rahmen seiner Wahlbewegung gut auf den Punkt gebracht – wir treten an, um Probleme zu lösen. Andere leben von den Problemen.
Aber wenn Sie Lopatka als Beweis anführen, ist doch das Wahlergebnis der Gegenbeweis.
Drexler
Die ÖVP ist über den Erwartungen geblieben, also kann man eine gewisse Aufholjagd attestieren. Aber man muss natürlich diese klaren Botschaften verstärken. Im Migrationsbereich haben wir Probleme, die Menschen erwarten sich klare Lösungsvorschläge. Ich fordere zum Beispiel schon lange ein strengeres Staatsbürgerschaftsrecht.
Sie wollen die Wartefrist für Staatsbürgerschaften von sechs auf zehn Jahre erhöhen. Aber diese kürzere Frist hat die ÖVP für integrierte Menschen mitbeschlossen, die Deutsch sprechen und sich ehrenamtlich engagieren. Warum sollten ausgerechnet sie länger warten?
Drexler
Die Staatsbürgerschaft ist der Abschluss eines Integrationsbemühens. In den letzten eineinhalb Jahren wurden in der Steiermark mit Abstand am meisten Menschen aus Syrien und Afghanistan eingebürgert. Just jene Nationen, die für Probleme verantwortlich sind, die viele Bürgerinnen und Bürger zu ihrer kritischen Haltung zur Migration bringen.
Aber noch mal, es geht um besonders integrationswillige Menschen.
Drexler
Wir sehen, dass diese Integrations-Qualitätskontrolle offenbar nicht klaglos funktioniert. Es braucht auch keinen Multiple-Choice-Test als Prüfung, sondern ein echtes Integrations- und Wertegespräch, um zu zeigen, dass man die Werte unserer Gesellschaft internalisiert hat: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit.
Die ÖVP verlor auch viele Stimmen an das Nichtwähler-Lager. Ist es nicht alarmierend für Sie, dass Menschen lieber zu Hause bleiben, als die ÖVP zu wählen?
Drexler
Es wäre unredlich, zu behaupten, dass wir in den letzten Jahren nicht eine Vertrauenskrise gehabt hätten. Stichwort U-Ausschüsse, Chats und dergleichen. Es ist nur verständlich, dass manche, die niemand anderen wählen wollen, diesmal zu Hause geblieben sind. Um sie müssen wir uns ganz besonders bemühen.
Und wie?
Drexler
Durch vernünftige Politik sowie eine unantastbare Redlichkeit im politischen Handeln. Also möglichst keine Skandale produzieren, Transparenz und Objektivität in den Entscheidungen. Ich könnte auch dazu gute, steirische Politik sagen.
In einer Umfrage der „Kleinen Zeitung“ liegen Sie in der fiktiven Landeshauptmann-Wahl gleichauf mit Mario Kunasek von der FPÖ. Wie kann der Landeshauptmann schlechter als ein Mann abschneiden, gegen den Korruptionsermittlungen laufen?
Drexler
Wir haben gerade in den letzten Tagen gesehen, dass manche Umfragen irreführend sein können. Ich kenne auch welche, bei denen die fiktive Direktwahl deutlich zu meinen Gunsten ausschlägt.
Sind das Umfragen der ÖVP?
Drexler
Ja. Aber ich möchte nicht die Umfragen im Frühjahr gewinnen, sondern die Landtagswahlen im Herbst.
Trotzdem kann man nicht leugnen, dass die FPÖ in der Steiermark trotz des Finanzskandals breite Zustimmung hat, oder empfinden Sie es anders?
Drexler
Es ist klar, dass wir ein Duell um Platz eins bei der Landtagswahl im Herbst haben. Dass der FPÖ-Finanzskandal so wenig verfängt, ist verwunderlich. Aber wir werden sehen, was die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt ergeben. Auch für Mario Kunasek und seine Kollegen gilt die Unschuldsvermutung.
In der Steiermark zogen Unwetter eine Spur der Verwüstung durch das Land. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die betroffenen Gebiete besuchen?
Drexler
Wenn man in die verzweifelten Augen von Betroffenen sieht, ist man zuallererst tief berührt. Daraus zieht man sofort die Motivation, rasch Hilfe anzubieten. Mir geht aber auch die unglaubliche Einsatzbereitschaft in unserem Land durch den Kopf. In einer Zeit, in der so viel von Spaltung die Rede ist, ein ermutigendes Signal.
Wenn Sie dann wieder in der Grazer Burg sitzen, geht Ihnen dann durch den Kopf: Es bräuchte einen Klimaschutz-Gipfel, keinen Auto-Gipfel?
Drexler
Ein Auto-Gipfel kann ja ein integrativer Bestandteil eines KlimaGipfels sein.
Im jüngsten Fall, zu dem Kanzler Karl Nehammer auch Sie eingeladen hat, war das aber nicht so.
Drexler
Kein Mensch würde bestreiten, dass der Klimaschutz die Herausforderung unserer Zeit ist, auch wenn man über die Maßnahmen unterschiedlicher Meinung sein kann. Wir sind noch immer das einzige Bundesland, das flächendeckend Vorrangzonen für Photovoltaikanlagen ausgewiesen hat. Wir haben unter den alpinen Bundesländern die meisten Windkraftanlagen und setzen bei der Wohnbauförderung auf thermische Sanierung.
Die Steiermark hat allerdings 2022 so viel Hektar Boden verbraucht und verbaut, wie die Regierung in ganz Österreich in einem Jahr verbrauchen wollte.
Drexler
Womit wir aber nicht an der Spitze Österreichs gelegen sind.
Aber auf Platz zwei.
Drexler
Ein sorgsamer Umgang mit der Ressource Boden muss selbstverständlich sein. Bei dieser Debatte muss man genau hinsehen. Auch dringend nötiger sozialer Wohnbau ist Bodenversiegelung – selbst die Koralmbahn, auch wenn sie ein klimarelevantes Projekt ist. Es muss auch Raum für wirtschaftliche Entwicklung gegeben. Die Kunst der Politik ist es, unterschiedliche Ziele unter einen Hut zu bringen. Extrempositionen können da nicht abgebildet sein.
Sind die 2,5 Hektar Bodenverbrauch pro Tag im Regierungsprogramm eine Extremposition?
Drexler
Ich glaube, dass dieses nationale Ziel die Dynamik zu sehr einschränkt, ja. Kommt es dann zu einem Verteilungsstreit unter den Gemeinden, wer für ein dringend benötigtes Projekt noch wie viele Quadratmeter verbrauchen kann?
Die Regierung muss bald einen EU-Kommissar oder Kommissarin nominieren. Soll die ÖVP darüber entscheiden?
Drexler
Jedenfalls.
Wer soll es werden?
Drexler
Es gibt eine Reihe geeigneter Persönlichkeiten. Aber ich habe zeit meines Lebens Namedropping als schädlich empfunden.
Fotos: Alexandra Unger
Christopher Drexler
Der 53-Jährige ist seit 2022 Landeshauptmann und ÖVP-Chef in der Steiermark. Davor war er als Landesrat für verschiedene Ressorts zuständig, unter anderem für Gesundheit, Kultur und Wissenschaft. Die steirische Landtagswahl im Herbst wird seine erste als Spitzenkandidat sein, er übernahm das Landeshauptmann-Amt von Hermann Schützenhöfer.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.