Landeshauptmann Platter beschuldigt Kurz in Causa Ischgl
Was wird bleiben vom Ischgl-Skandal? Vom "Ground Zero" der Virusverbreitung im deutschsprachigen Raum? Von internationalen Negativschlagzeilen? Von eineinhalb Jahren Ermittlungen und 15.000 Aktenseiten?
Staatsanwaltschaft führt fünf Personen als Beschuldigte
Es ist ein streng geheimer "Vorhabensbericht", in dem steht, ob die Staatsanwaltschaft Anklage erheben - oder das Verfahren einstellen will. Wie profil erfuhr, verließ der vertrauliche Bericht vergangenen Mittwoch die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck und traf im Bundesministerium für Justiz ein. In Wien fällt die Entscheidung. Das ist Usus, wenn Strafsachen brisant oder die Beschuldigten prominent sind. Fünf Personen führt die Innsbrucker Staatsanwaltschaft mit Abschluss der mehr als einjährigen Ermittlungen als Beschuldigte. Darunter sind Tirols höchster Beamter-Landesamtsdirektor Herbert Forster - und der für Ischgl verantwortliche Bezirkshauptmann von Landeck, Markus Maaß. Dazu kommen zwei weitere Beamte der BH Landeck sowie der Ischgler Bürgermeister Werner Kurz.
Vieles lief in Ischgl schief: Warnungen aus Island wurden ignoriert, die Ansteckungsgefahr in Après-Ski-Bars heruntergespielt, Lokale zu lang offengelassen. Für die Staatsanwaltschaft Innsbruck blieb am Ende aber vor allem eine Frage strafrechtlich relevant: Wer war für das Abreisechaos des 13. März 2020 verantwortlich? Es war der Tag, an dem Ischgl und St. Anton unter Quarantäne gestellt wurden - und Tausende Gäste und Urlauber überstürzt und unkontrolliert aus der Hochrisikozone abreisten, viele von ihnen infiziert, ohne es zu wissen. Die Beschuldigten hätten die "fahrlässige Verbreitung einer übertragbaren Krankheit" zu verantworten, glaubt die Staatsanwaltschaft. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Platters Einvernahme liefert Anworten
In den Bergen an Aktenseiten, die profil vorliegen, versuchen die beiden Innsbrucker Staatsanwälte immer wieder die Stunden vor dem Chaos zu rekonstruierten. Jene Zeit vor der Pressekonferenz um 14 Uhr, in der die Bundesregierung die Quarantäne verkündete. Wer wusste wann von einer anstehenden Isolation? Wer traf die Entscheidung dafür? Und warum waren die Tiroler mit der Maßnahme so überfordert?
Einige Antworten liefert die bisher unveröffentlichte Zeugeneinvernahme des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter. Er rekonstruiert vor den Staatsanwälten den Ablauf jenes "dominanten" Tages, wie Platter ihn nennt: Am 13. März war Platter ab 9 Uhr in einer Krisenbesprechung zwischen Bundesregierung und Landeshauptleuten. Die Quarantäne war dort noch kein Thema. Gegen Ende der Sitzung bekam Platter von Bundeskanzler Sebastian Kurz signalisiert, dass dieser ihn anschließend anrufen werde. Kurz vor 10.30 Uhr telefonierten Landeshauptmann und Kanzler: "Der Bundeskanzler teilte mir mit, dass er im Einvernehmen mit dem Gesundheitsminister (damals: Rudolf Anschober, Anm.) und nach entsprechenden Informationen aus den Stäben beschlossen hätte, dass über das Paznaun und St. Anton am Arlberg die Quarantäne verhängt wird. Ich war damit einverstanden."
Platter betonte, umgehend seinen höchsten Beamten und Leiter des Tiroler Krisenstabes - Herbert Forster - mit der Ausarbeitung eines Quarantäne-Konzepts beauftragt zu haben. Doch wurde Platter seitens des Kanzlers kommuniziert, ab wann die Quarantäne gelten sollte? "Für mich war kein Thema, ab wann die Quarantäne gelten sollte. (...) Der Zeitpunkt war schlichtweg kein Thema." Und: "Mir war bekannt, dass es eine Pressekonferenz des Bundes geben wird. Mir war nicht bekannt, dass dort die Quarantäne auch vom Kanzler verkündet wird." Dreieinhalb Stunden später, um 14:00, traten Kanzler, Innen- und Gesundheitsminister vor die Presse: "Wir haben die Situation, dass es in einigen Gebieten von Tirol zu einer sehr, sehr rasanten Ausbreitung kommt. (...) Es werden daher das Paznauntal und Sankt Anton am Arlberg unter Quarantäne gestellt. Diese Gebiete werden ab sofort isoliert", so Kurz.
Ball liegt nun bei Justizministerin Zadić
Die Folge: Tausende Touristen ergriffen sofort die Flucht, zu einem Zeitpunkt, als die Ausreiseformulare noch lange nicht an den Polizeicheckpoints eingelangt waren. Die Quarantäneankündigung sei "überraschend, ohne unmittelbare Zuständigkeit und ohne substanzielle Vorbereitung" geschehen, hielt bereits die Expertenkommission unter Ex-Höchstrichter Ronald Rohrer fest. Doch was bedeutet das strafrechtlich? Warum werden dennoch nur der Landesamtsdirektor und der Bezirkshauptmann als Beschuldigte geführt? Herbert Forsters Anwalt meint gegenüber profil, dass der Landesamtsdirektor durch die Ermittlungsergebnisse jedenfalls entlastet wird. Seinem Mandanten sei eine "sofortige" Quarantäne ab 14:00 Uhr in "keiner Weise" beauftragt worden. Es sei auch "unzumutbar" und "menschenunmöglich", innerhalb von nur dreieinhalb Stunden so ein Management auf die Beine zu stellen. Laut dem Anwalt sei kein Vertreter der Bundesregierung von der Staatsanwaltschaft einvernommen worden. "Meines Erachtens könnte das Justizministerium mit dem Vorhabensbericht aber ergänzende Ermittlungen anordnen. Dann könnte auch die Verantwortung des Bundes geprüft werden." Der Ball in der heiklen Causa liegt nun also bei Justizministerin Alma Zadić. Mit einer Entscheidung ist im Herbst zu rechnen.
Und was sagt der Bund? Im Oktober 2020 hieß es gegenüber profil und ORF aus dem Kanzleramt: "Die Entscheidung, das Paznauntal und St. Anton am Arlberg unter Quarantäne zu stellen, erfolgte in gemeinsamer Abstimmung zwischen der Tiroler Landesregierung und der Bundesregierung. (...) Im Sinne einer klaren Kommunikation in einer Krisensituation und im Wissen, dass eine 'scheibchenweise' Kommunikation zum völligen Chaos führen würde, wurde damals vereinbart, dass die Bekanntgabe der Maßnahme in besagter Pressekonferenz in Wien erfolgt." Einer "Vereinbarung", wonach die Bekanntgabe der Quarantäne in der Pressekonferenz stattfinden sollte, widersprechen Platter und Forster gegenüber der Staatsanwaltschaft. Zu diesem Widerspruch befragt, gab das Kanzleramt bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme ab. Die Frage könnte sich demnächst wieder aufdrängen - dann allerdings vor einem Richter.
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