
Landwirtschaftskammerwahl NÖ: Wo Wahlberechtigte nicht wählen durften
Kräftig, würzig, vollmundig oder elegant, mit feiner Säure und blumiger Noten: Weinliebhabern ist die Thermenregion, die für ihre spät reifenden Weißweintrauben bekannt ist, ein Begriff. Die Sorten Rotgipfler und Zierfandler werden im nördlichen Teil rund um Gumpoldskirchen angebaut. St. Laurent und Pinot Noir gedeihen weiter südlich in der Region. Mehr als 280 Weinbauern gehen hier ihrem Handwerk nach. Einer von ihnen ist Herr Gruber*. Im Brotberuf macht er zwar etwas ganz anderes: Auf Flächen, die insgesamt etwa halb so groß wie ein Fußballfeld sind, kümmert er sich aber nebenberuflich um einige Reben. Die Interessensvertretung der rund 300 Weinbauern in der Region ist die Landwirtschaftskammer Niederösterreich. Und die Zusammensetzung dieser wurde vor zwei Wochen neu gewählt. Herr Gruber ist zwar wahlberechtigt, ein Kreuzerl durfte er aber nicht machen. Gruber heißt eigentlich nicht Gruber, mit profil möchte er nur anonym über die verpasste Wahlchance sprechen. Aus Angst vor möglichen Reaktionen der ÖVP-dominierten örtlichen Bauernschaft.
155.056 Landwirte und Grundbesitzer waren am 9. März aufgerufen, bei den niederösterreichischen Landwirtschaftskammerwahlen ihre Interessensvertreter zu wählen. Bei einer Wahlbeteiligung von 46 Prozent ging der Bauernbund (ÖVP) als eindeutiger Wahlsieger hervor: 82 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen wählten die ÖVP-Teilorganisation. Damit besetzt der Bauernbund auch weiterhin 32 von 36 Mandaten in der Vollversammlung der Landes-Landwirtschaftskammer. Präsident bleibt der Nationalratsabgeordnete Johannes Schmuckenschlager (ÖVP), auch die Ämter seiner beiden Vizepräsidenten werden weiterhin von der ÖVP-Teilorganisation bekleidet, ebenso wie alle 21 Kammerobleute auf Bezirksebene sowie sämtliche Stellvertreterinnen und Stellvertreter.
Das Wahlergebnis hat aber einen Schönheitsfehler: Nicht alle Wahlberechtigten durften auch wählen. Und Herr Gruber ist kein Einzelfall.
Kritik am Kammerwahlrecht
profil berichtete bereits im Vorfeld der Wahl über die Eigenheiten des Urnengangs, die auch der politische Mitbewerb – vor allem die unabhängige Bauernvertretung (UVB) und die Freiheitlichen Bauernschaft (FPÖ) – vor, während und nach der Wahl regelmäßig kritisiert. Es geht um unvollständige Wählerverzeichnisse, Einspruchsfristen oder auch um Personen, die doppelt oder dreifach wählen dürfen. So viel vorweg: Landwirte, deren Angehörige, Grundbesitzer oder Pächter dürfen mehrfach wählen. Zum Beispiel, wenn sie ein Unternehmen oder einen Verband vertreten, der laut Gesetz ebenfalls wahlberechtigt ist. Aufregung entsteht meist dann, wenn es darum geht, wer diese Verzeichnisse erstellt. Denn ein amtliches Register aller Wahlberechtigten – wie bei Gemeinderats-, Landtags- oder Nationalratswahlen – gibt es nicht. Wer ein Kreuzerl machen darf, entscheidet die Gemeinde. „Der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin kann sich dabei der Mithilfe der örtlichen Bezirksbauernkammer bedienen“, steht auf der Website der Landwirtschaftskammer Niederösterreich.
Wer ist wahlberechtigt?
- Eigentümer land- und forstwirtschaftlicher (luf) Grundstücke in NÖ im Mindestausmaß von einem 1 ha
- Personen, die eine luf, selbständige Erwerbstätigkeit haupt- oder nebenberuflich auf eigene Rechnung und Gefahr ausüben, wenn ein Einheitswert(anteil) für öffentliche Gelder von zumindest 150 € vorliegt („das sind fast alle MFA-Antragsteller“)
- Personen, die eine luf, selbständige Erwerbstätigkeit hauptberuflich in NÖ ausüben
- Familienangehörige, die – ohne Rücksicht auf ein Entgelt – im luf Betrieb der in Z 1 bis 3 Genannten tätig sind und der Pensionsversicherung nach dem BSVG oder ASVG unterliegen (sofern nicht LAK zugehörig); darüber hinaus Familienangehörige, die sich in luf Schul- oder Berufsausbildung befinden und im luf Betrieb regelmäßig mitarbeiten. Als Familienangehörige gelten die Ehepartner, die eingetragenen Partner, die Eltern, die Kinder, einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder sowie Schwiegerkinder.
- Grundwehr- oder Zivildiener, sofern sie unmittelbar davor kammerzugehörig waren
- Personen, die in den letzten 25 Jahren vor dem Pensionsantritt aufgrund einer selbständigen luf Erwerbstätigkeit zumindest 20 Jahre pensionsversichert nach BSVG waren sowie deren Ehegatten oder eingetragene Partner, wenn sie im Betrieb regelmäßig beschäftigt waren.
- luf Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften von NÖ Land- und Forstwirten und ihre Verbände mit Sitz in NÖ, sofern sie von der Gewerbeordnung 1994 ausgenommen sind.
Gegenkandidaten des ÖVP-Bauernbundes werfen der Kammer seit Jahren vor, dass sich die (meist ÖVP-) Bürgermeister gemeinsam mit der Bezirksbauernkammer zusammentun und bei der Erstellung der Wählerverzeichnisse auf Nicht-Bauernbündler systematisch „vergessen“. Schwere Vorwürfe, die die vom Bauernbund-geführte Landwirtschaftskammer Niederösterreich stets bestreitet. In der Praxis dürfte es aufgrund der zahlreichen Wahlberechtigten eher so sein, dass mit der Erstellung der Wählerverzeichnisse ein enormer Aufwand einhergeht. Mancherorts ist man damit schlicht überfordert und sieht es auch nicht ein, dass man diese Aufgabe, die per Landesgesetz verankert ist, den Kammern weiterhin abnehmen sollte. Ein Amtsleiter einer ÖVP-Gemeinde äußerte gegenüber profil gar den Wunsch, dass künftig die Kammer selbst die Wahl abwickeln soll – inklusive der Erstellung der Wählerverzeichnisse. Wie im Burgenland.
Burgenland als Vorbild?
Dort wurde im Vorjahr noch unter SPÖ-Alleinregierung eine Reform des Landwirtschaftskammergesetzes und der Wahlordnung beschlossen – gegen die Stimmen aller anderen im Landtag vertretenen Parteien. Künftig muss dort die Kammer die Wahl selbst durchführen. Damit sollen Gemeinden entlastet werden, auch Arbeiter- und Wirtschaftskammer würden ihre Wahlen selbst durchführen, argumentierte der SPÖ-Agrarsprecher Gerhard Bachmann im September 2024 im burgenländischen Landtag. Außerdem müssen alle im Wählerverzeichnis eingetragenen Wahlberechtigten bis spätestens 14 Tage vor der Wahl informiert werden, denn viele würden gar nicht wissen, dass sie wahlberechtigt sind, argumentierte der SPÖ-Landespolitiker Bachmann die Gesetzesänderung.
Zurück nach Niederösterreich: Während der ÖVP-Bauernbund am 9. März allen Grund zu jubeln hatte, verließen andere enttäuscht das Wahllokal. profil ist eine weitere Person bekannt, die landwirtschaftliche Flächen besitzt, Kammerumlage bezahlt und bei den Landwirtschaftskammerwahlen gerne abgestimmt hätte. Ein anderer Pächter, der ein lokaler Kandidat für den Bauernbund ist, habe der Person – weil die Fläche einen Hektar klar überschreitet – vor der Wahl zugesichert, dass man sie ins Wählerverzeichnis aufnehmen werde, schildert die Grundbesitzerin. Geschehen ist das nicht, enttäuscht verließ sie das Wahllokal. Ohne ein Kreuzerl gemacht zu haben. Auch sie möchte ihren Namen nicht in den Medien lesen. Bei der zuständigen Bezirksbauernkammer bedauert man diesen Vorgang und gelobt Besserung bei der nächsten Wahl. Etwa, indem die Landwirtschaftskammer Niederösterreich künftig selbst die Wählerverzeichnisse erstellt.
Steht in Niederösterreich eine Wahlrechtsreform bevor?
Vielleicht könnte man überhaupt ein Wählerverzeichnis pro Bundesland in der Landesverwaltung führen, dann wäre die ganze Sache wohl nicht lokalen Zufälligkeiten unterworfen.
Verbesserungen würde der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik jedenfalls begrüßen: „Kammerwahlen folgen anscheinend ihren ganz eigenen Regeln. Die Frage ist immer, ob man dieselben Maßstäbe anlegen will wie bei Wahlen zu gesetzlichen Körperschaften. Im Prinzip, würde ich sagen, ja – aber die Praxis schaut halt oft anders aus“, so der Politologe. Bei der Landwirtschaftskammerwahl komme laut dem Experten dazu, dass „viele Betroffene wohl gar nicht genau wissen, ob oder dass sie wahlberechtigt sind. Das ist bei anderen Wahlen ja selten der Fall.“ Und selbst, wenn man wahlberechtigt ist, bedeute das ja nicht, dass man sich im Wählerverzeichnis wiederfindet. Wie bei Herrn Gruber und der Grundbesitzerin, die sich nach der Wahl bei profil gemeldet haben.
Ennser-Jedenastik plädiert für ein zentral verwaltetes Register: „Vielleicht könnte man überhaupt ein Wählerverzeichnis pro Bundesland in der Landesverwaltung führen, dann wäre die ganze Sache wohl nicht lokalen Zufälligkeiten unterworfen.“
Auf Nachfrage bestätigt die Kammer, dass es „nach jeder Wahl einen Erfahrungsaustausch bzw. eine Evaluierung“ gibt. „Zu einer Änderung der Zuständigkeit für die Kammerwahlen gibt es derzeit keine konkreten Gespräche (mit der Landesregierung; Anm.), weil – insgesamt betrachtet – die Kammer selbst das Wahlverfahren nicht in der Professionalität wie die Gemeinden abwickeln könnte“, schreibt eine Sprecherin der Landwirtschaftskammer Niederösterreich.
Keine Änderungen in Niederösterreich
Eine Änderung der Wahlordnung soll es also nicht geben, stattdessen appelliert die Kammer an alle Wahlberechtigten, auch künftig selbstständig der Frage nachzugehen, ob man im Wählerverzeichnis aufscheint. Auch vonseiten des Landes heißt es, dass man an der derzeitigen Praxis festhalten möchte: „Gesetze werden laufend evaluiert, das Arbeitsübereinkommen der NÖ Landesregierung sieht hier aktuell keine Änderung vor.“
Dass die Kammerwahl ihre Besonderheiten hat, räumt die Kammer im Schreiben an profil aber doch ein: „Da sich die Verhältnisse (z.B. Grundeigentümer, Betriebsführer, Bewirtschafter, landwirtschaftliche Schüler) ändern können, ist das Wahlrecht nicht so einfach zu beurteilen wie etwa bei einer Landtags- oder Nationalratswahl. Es ist daher auch von Vorteil, Interesse zu zeigen bzw. fristgemäß nachzufragen“, so die Sprecherin.
Wahlberechtigte in Niederösterreich, die 2030 bei der nächsten Kammerwahl im Wählerverzeichnis stehen möchten, sollten sich also rechtzeitig davor informieren und die Frist zur Einsicht der Wählerverzeichnisse nicht verpassen. Vergleiche hin oder her: Bei Gemeinde-, Landtags- oder Nationalratswahlen wäre ein solcher Modus undenkbar.