Kleinstklassen
„Der schulische Altgriechisch-Unterricht bietet eine Once-in-a-Lifetime-Gelegenheit“, sagt Nina Aringer. Dass ihr Fach ein Minderheitenprogramm ist, hat auch Vorteile: „Ich unterrichte fünf bis zwölf Schüler in meinen Griechisch-Klassen. Das ist Schule im besten Sinne.“
Für den Kanzlerjob sind Altgriechisch-Kenntnisse keine Bedingung und auf der Uni nur noch für wenige Studien wie Archäologie, Theologie oder Altertumswissenschaften Voraussetzung. Latein dagegen wird bei knapp 50 Studienfächern verlangt. Griechisch ist seit Jahrzehnten Wahlfach, Latein nur mehr im Gymnasium Pflichtfach, entweder ab der dritten Klasse oder in Kurzform ab der fünften. Realgymnasium, Wirtschaftskundliches Realgymnasium und Oberstufenrealgymnasium kann man – mit Ausnahmen – absolvieren, ohne mit Latein in Berührung zu kommen.
Homers Ukraine
Der Unterricht in den klassischen Sprachen ist im Vergleich zu früher nicht mehr altertümlich. Nina Aringer: „Es geht nicht mehr um stures Übersetzen möglichst vieler Texte oder Auswendiglernen isolierter Formen, sondern um die Aufbereitung von Themenkomplexen wie etwa Liebe, Lust und Leidenschaft.“
Latein-Professorin Isabella Zins ist Direktorin des BORG Mistelbach in Niederösterreich und unterrichtet auch als Schulleiterin weiter. „Latein hat den Nimbus eines Angstfaches zum Glück längst verloren“, sagt sie. Wenn sie von Eltern gefragt wird, warum ihre Kinder noch Latein lernen sollen, antwortet sie: „Latein ist ein fächerübergreifendes Fach. Es handelt nicht nur von einer Sprache, sondern auch von Philosophie und Geschichte.“
Und Altgriechisch-Lehrerin Aringer meint: „Wenn meine Schülerinnen und Schüler eine Stelle in der ‚Ilias‘ von Homer übersetzen, die davon handelt, dass ein Krieger Abschied nehmen muss von seiner Frau, und beide ahnen unter Tränen, dass er nicht zurückkehrt, dann hat das eine fast beklemmende Aktualität.“
Kaum jemand im Land weiß mehr über das Unterrichtsfach Latein als Peter Glatz. Er ist Professor am Stiftsgymnasium Wilhering in Oberösterreich und Präses der Bundesarbeitsgemeinschaft klassischer Philologen und Altertumswissenschafter in Österreich. Glatz: „Im Unterricht der Klassischen Sprachen geht es in bewusster Langsamkeit um das Ringen um Begriffe, das Interpretieren komplexer Texte von der Antike bis zur Gegenwart und wesentlich auch um ein theoretisches Verständnis von Sprache und Übersetzung.“ Wenn Schüler Passagen aus Cäsars „Gallischem Krieg“ lesen, werde „die manipulative Wirkung von Kriegsberichterstattung“ sehr deutlich, Ciceros Reden seien „demokratiepolitische Bildung in Reinkultur“, und in vielen Texten aus dem 15. bis 19. Jahrhundert werde die Frage nach dem Wesen Europas und der Europäer gestellt.
Zufriedene Altgriechen
„Altgriechisch ist ein Sorgenkind“, gibt Glatz zu. Dass Altgriechisch eines Tages nicht mehr Unterrichtsfach ist, glaubt er nicht: „Dieses Faszinosum wird immer eine gewisse Zahl an Schülern anziehen.“ Derzeit wird Altgriechisch laut Bildungsministerium allerdings nur noch an 28 Schulen in Österreich unterrichtet – von 43 Lehrerinnen und Lehrern.
Befragungen zeigen, dass die Absolventen von Griechisch zufriedener mit ihrem Unterricht sind als jene anderer Fächer. „Schüler, die Altgriechisch wählen, sind nicht unbedingt die leistungsfähigeren oder die Klassenbesten. Aber sie sind nach meiner Erfahrung bereit, ein paar Meter weiter zu gehen“, sagt Nina Aringer.
Bildungsminister Martin Polaschek meint zu profil: „Latein und Altgriechisch sind wertvolle Bestandteile unseres Bildungskanons. Sie haben daher ihre volle Berechtigung – auch in der Schule.“
Das war nicht immer so. Schuldirektorin Zins erinnert sich an Zeiten, als Latein weniger populär war. Im Jahr 2001 forderte sogar der damalige Bildungssprecher der ÖVP Werner Amon, Latein als Pflichtfach an den Gymnasien abzuschaffen.
Die Altphilologen hielten dagegen. Zins: „Lateinlehrer waren mit die Ersten, die auf moderne Unterrichtsmittel wie Computer setzten. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass das Fach immer wieder auf dem Prüfstand der Politik stand und sich die Lehrer besonders bemühten, ihre didaktischen Methoden zu modernisieren, um das Fach so attraktiv wie möglich zu gestalten.“
Zins setzt im Unterricht mittlerweile auch künstliche Intelligenz ein, um mit ihren Schülern die Ergebnisse von Übersetzungen zu vergleichen. Und wie gut übersetzen KI-Programme Tausende Jahre alte lateinische Texte? Professorin Zins: „Na ja, das ist noch verbesserungswürdig.“