Lehrermangel: Die ersten Quereinsteiger schmeißen hin
Von Clemens Neuhold
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„Ich will Lehrerin werden, weil ich als Mutter weiß, wie man mit Kindern umgeht.“ – „Ich bin Taxifahrer und war selbst acht Jahre in der Schule. Deshalb kenne ich das System.“ Christian Klar ist Direktor an einer neuen Mittelschule in Wien-Floridsdorf und gibt Einblick, wie Direktoren untereinander über
Initiativbewerbungen witzeln. „Ich will Leute, die den Beruf gelernt haben. Ich lasse ja mein Auto auch nicht von einem Automechaniker ohne Ausbildung reparieren“, ist Klar äußerst skeptisch gegenüber Quereinsteigern.
Doch diese sind längst zu einer Stütze des heimischen Bildungssystems geworden, das unter extremer Personalnot ächzt. Bis 2030 geht rund ein Drittel der rund 125.000 Lehrerinnen und Lehrer in Pension. Auch wenn die Zahl der Lehramtsstudenten wieder steigt und die Ausbildung verkürzt wurde, reicht der reguläre Nachwuchs bei Weitem nicht aus. Es braucht Quereinsteiger aus anderen Berufen – vor allem in Neuen Mittelschulen. Damit sich nicht Hinz und Kunz bewerben, hat Unterrichtsminister Martin Polaschek 2023 österreichweit die neue Schiene „Klasse Job“ eröffnet. Für Quereinsteiger mit einem Fachstudium und mindestens drei Jahren Berufspraxis. Der Vorteil im Vergleich zu früheren Quereinsteiger-Initiativen: Sie verdienen von Beginn an das reguläre Lehrergehalt und können die fehlende pädagogische Ausbildung berufsbegleitend nachholen.
Eine Neue Mittelschule am Rande Wiens. Ohne Quereinsteiger wären im vergangenen Jahr manche Klassen unbesetzt geblieben. Ein halbes Jahr später ist die Freude über den Nachwuchs jedoch getrübt. Nur zwei Monate nach Schulstart hatten zwei Neu-Lehrer wieder gekündigt. Aus Quereinsteigern wurden Queraussteiger – und das im laufenden Schulbetrieb.
Kulturschock im Klassenzimmer
„Klasse Job wirkt“, zog Polaschek im vergangenen November zufrieden Bilanz über sein Quereinsteiger-Programm. Auch aus den Bundesländern, die für die Umsetzung zuständig sind, kommt vorwiegend positives Echo. „Die Aufnahmeoffensive läuft optimal“, heißt es etwa aus Kärnten. Die Gewerkschaft hat einen anderen Eindruck. „Wir beraten viele Quereinsteiger, die wieder aufhören wollen“, sagt der oberste Vertreter der Pflichtschullehrer, Paul Kimberger (Christgewerkschaft). Hauptgrund: Überforderung. Wie geht es Quereinsteigern wirklich? Wie viele schmeißen hin? Und was muss sich ändern, damit sie eine Säule des Schulbetriebs bleiben? Lesen Sie hier zehn Protokolle von Spätberufenen zwischen "Traumberuf" und "Nie mehr Schule", zwischen Erfüllung und Erschöpfung.
Laut Bildungsministerium haben sich 2426 Personen bei „Klasse Job“ zertifizieren lassen, also eine Lehrbewilligung erhalten. 1900 Personen haben die Hürde nicht geschafft. Tatsächlich als Lehrer begannen laut Rückmeldung aller neun Bildungsdirektionen knapp 900 Personen. Und wieder aufgehört? Laut offiziellen Zahlen gerade einmal 21 Personen, wobei Niederösterreich die Abbrecher statistisch nicht erfasst. Gewerkschafter Kimberger zweifelt die niedrige Drop-out-Quote stark an. Angesichts der intensiven Beratungstätigkeit für potenzielle Queraussteiger geht er davon aus, dass bis zu einem Sechstel wieder aufhören könnte.
Stadt-Land-Gefälle
Die unterschiedliche Wahrnehmung könnte an Personen liegen, die zwar noch Lehrer sind, innerlich aber bereits das Handtuch geworfen haben. Die sich bei der Gewerkschaft erkundigen, wie sie wieder rauskommen oder die Schule wechseln können. Zu Beginn erhalten die neuen Quereinsteiger einen befristeten Vertrag, den sie nach Abschluss der Einführungsphase einvernehmlich verlängern können. Oder eben nicht. Vor allem an städtischen Mittelschulen kann der Kulturschock beim Umstieg vom Büro ins Klassenzimmer enorm sein. Die Vorstellung, Kindern Wissen zu vermitteln, kann an der Realität zerschellen, am Ende mehr Sozialarbeiter als Lehrer zu sein. Und dafür sind Quereinsteiger nicht ausgebildet.
Kinder, die in den Pausen im Parkslang schimpfen und gegenüber Lehrern obszön werden; Schlägereien, bei denen Lehrer dazwischengehen müssen; Eltern, die einbestellt werden, allerdings nicht kommen. Von all dem können Mittelschullehrer hinter vorgehaltener Hand erzählen. Der überwiegende Teil der Quereinsteiger – in der Steiermark sind es drei Viertel – startet in Mittelschulen. Dort ist die Personalnot am größten. Was Quereinsteiger aus Wiener Schulen oder Schulen am Land berichten, klafft auseinander. Während die Zufriedenheit in Landschulen groß scheint, zeigen sich selbst die zufriedensten Neu-Lehrer in urbanen Mittelschulen überrascht über den fehlenden Respekt, die fehlende Motivation oder die Gewaltbereitschaft mancher Schüler. Die Bandbreite an Einschätzungen reicht von „Unterricht ohne Störungen möglich“ am Land bis hin zu „Unterrichten unmöglich“ an urbanen Brennpunktschulen. An Wiener Mittelschulen gab es im vergangenen Schuljahr 270 Anzeigen und 483 Schulverweise. Eine Verdoppelung in einem Jahr.
Das bekommen auch Quereinsteiger zu spüren. Denn suspendierte Schüler müssen irgendwohin ausweichen. Zum Beispiel in eine Mittelschule am Rande Wiens, die neu eröffnet wurde; in der nach kurzer Zeit das Klo und mehrere Schränke demoliert worden sein sollen. Auch Quereinsteiger starteten dort als Lehrer. Zwei kündigten nach kurzer Zeit. Eine von ihnen berichtet von einem Fausthieb unter Schülern und einer verletzten Kollegin. profil hält die Schule anonym, weil nur ein extremer Ausschnitt des Schulalltags beleuchtet wird und es mit anderen Klassen und Schülern besser laufen soll.
Ich gehe davon aus, dass jeder sechste Quereinsteiger wieder aufhören könnte.
Was Lehrer wirklich können müssen
Die neuen Quereinsteiger für all das zu wappnen, ist im zweiwöchigen Sommer-Crashkurs unmöglich. Bei „Teach for Austria“ – einer Schiene für akademische Quereinsteiger, die bereits seit zwölf Jahren läuft – werden Bewerber in einer zwölfwöchigen Sommerakademie auf die Arbeit an schwierigen Schulen vorbereitet. Danach werden sie regulär Lehrer und zwei Jahre lang weiter durch das Netzwerk begleitet. Die globale Initiative mit Erfahrungen auch in der New Yorker Bronx brachte in Österreich bereits Hunderte Quereinsteiger hervor, rund 40 Prozent bleiben nach Ablauf der zwei Jahre Lehrer. Eine von ihnen ist die frühere Grün-Politikerin Alev Korun (54). „Ich habe 700 Stunden an begleitenden Workshops und Seminaren absolviert. Als Quereinsteigerin nicht allein gelassen zu werden, hilft enorm.“ In den Seminaren über „Classroom-Management“ werden heikle Situationen in Rollenspielen durchgenommen. Eine der Methoden, Ruhe in die Klasse zu bringen, nennt sich „Stand still“. „In einer unruhigen Klasse ein paar Minuten wie angewurzelt da vorn zu stehen, ist beim ersten Mal nicht ohne. Aber es wirkt, um wieder Aufmerksamkeit herzustellen“, sagt Korun.
Teach for Austria finanziert sich zu 75 Prozent über private Investoren aus der Wirtschaft. Pro „Fellow“ werden durchschnittlich 25.000 Euro investiert. Derzeit starten durchschnittlich 50 pro Jahr. Diese intensive wie kostspielige Vorbereitung kann oder will sich der Staat nicht leisten. Quereinsteiger über die staatliche Schiene landen daher im kalten Wasser. Umso wichtiger wäre die Unterstützung durch die Kollegen im Lehrerzimmer.
Mehrklassen-Gesellschaft im Lehrerzimmer
Doch die ist nicht immer gegeben. Zwar wird jedem Quereinsteiger ein Mentor zugeteilt. Doch je gestresster diese erfahrenen Lehrer selbst sind, desto weniger Zeit bleibt für die Spätberufenen. Dazu kommen Misstrauen und Eifersucht. Beides schlägt Quereinsteigern von manchen Kollegen entgegen. Lehrer, die ihren Beruf von der Pike auf gelernt haben, fühlen sich und ihre Ausbildung entwertet, wenn Quereinsteiger ohne Pädagogikausbildung genauso behandelt und entlohnt werden. Ältere Quereinsteiger wiederum, die starteten, als es „Klasse Job“ noch nicht gab, haben weiterhin nur einen Sondervertrag und verdienen weniger. Das kann ebenfalls zu Spannungen im Lehrerzimmer mit den „privilegierten Quereinsteigern“ führen. „Es gibt mindestens sechs verschiedene Arten von Lehrerverträgen. Das gehört harmonisiert, denn so werden Lehrer gegeneinander ausgespielt“, sagt die Tiroler Gewerkschafterin Astrid Schuchter.
Die Feriendauer oder die im Vergleich zur Privatwirtschaft größere Jobsicherheit kann vieles aufwiegen. Doch auch mit der vermeintlichen Sicherheit haben Quereinsteiger so ihre Erfahrungen gemacht. „In der Privatwirtschaft verhandelst du erst das Gehalt und fängst dann an. Hier ist es umgekehrt. Ich warte noch immer darauf, dass mir Vordienstzeiten wie vereinbart angerechnet werden“, schildert ein 50-jähriger Wiener Gymnasium-Lehrer. Bei ihm macht der Unterschied zwischen seinem Einstiegsgehalt über 2300 Euro und jenem Gehalt, das ihm nach Anrechnung der Vordienstzeiten eigentlich zustünde (4000 Euro) ganze 1700 Euro pro Monat aus.
Sicherer Job, unsicheres Gehalt
„Ich habe mein Haus abgezahlt, aber wenn du eine Hypothek laufen und zuvor passabel verdient hast, kannst du nicht Monate oder gar Jahre mit einem Einsteigergehalt durchkommen. Diese Unsicherheit könnte potenzielle Quereinsteiger abschrecken.“ Einziger Trost: Einmal durchgeführt, sollen die Vordienstzeiten rückwirkend angerechnet werden. Bei kaum einem Quereinsteiger, mit dem profil im Gespräch war, ist die Anrechnung abgeschlossen. Manche beklagen außerdem, dass ihr Gehalt die reale Arbeitszeit null widerspiegle. „Trotz meiner halben Lehrverpflichtung über zwölf Stunden arbeitete ich in manchen Wochen bis zu 50 Stunden“, schilderte eine Lehrerin in einer Wiener Fachschule. Durch die vielen Schulprojekte außerhalb des Klassenzimmers fühlt sich wie mit einem unbegrenzten All-in-Vertrag.
Wenn Quereinsteiger den vermeintlich sicheren Lehrerposten bei Bezahlung oder Arbeitszeiten als unsicher erleben, ist es keine Werbung für den Quereinstieg. Auch Dienstverträge liegen den wenigsten noch vor.
Das Unterrichtsministerium „prüft derzeit Verbesserungen im Bereich der Anrechnung von Vordienstzeiten und eine Beschleunigung bei Dienstverträgen“, teilt die Sprecherin von Unterrichtsminister Polaschek mit. Zu bedenken sei aber, dass „der Großteil der derzeit mehr als 7000 Neuaufnahmen“ – vom fertigen Studenten bis zum Quereinsteiger – zu einer „enormen temporären Belastung“ führe.
Nächste Station: Volksschule
Das Bildungsministerium rechnet trotz der zahlreichen Herausforderungen für Quereinsteiger nicht mit einem Knick bei Bewerbungen. Die Zahl der Anträge auf Zertifizierung fürs nächste Schuljahr sei konstant, sagt die Sprecherin. Sogar eine Ausweitung von „Klasse Job“ auf Volksschulen sei „in Diskussion“. Die waren bisher tabu für Menschen ohne einschlägige Pädagogik-Ausbildung. Damit reagiert das Unterrichtsministerium auf die Not in manchen Bundesländern. „In der Primärstufe ist der Personalmangel besonders eklatant“, heißt es etwa aus Vorarlberg. Auch Wien, Oberösterreich und Salzburg würden sich Quereinsteiger für die Volksschulen wünschen. Aus der Steiermark heißt es hingegen: „In Volksschulen stehen weniger Fachkenntnisse, sondern methodisch-didaktische Kompetenzen im Vordergrund. Deswegen sind keine Quereinsteiger vorgesehen.“
Derzeit springen an Volksschulen Studenten, Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter und an einer Schule angeblich sogar Zivildiener mit Sonderverträgen ein. Ob das besser ist?
Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.