Bloß nicht Lehrer werden: Warum sich Lehramtstudenten vom Beruf abwenden
Von Iris Bonavida und Daniela Breščaković
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Barbara und Stefan haben ihre Entscheidung getroffen. Sie wollen nicht als Lehrerin und Lehrer arbeiten. Dabei haben sie Jahre ihres Lebens in ihre Ausbildung investiert, Prüfungen bestanden, Praktika absolviert. Jetzt, wo sie endlich unterrichten könnten, verzichten sie darauf. „Die Klassen sind zu voll, die Unterstützung fehlt, genauso wie die Wertschätzung – und wir sollen das alles irgendwie allein ausbaden? Nein, danke“, sagt Barbara. Stefan sieht das genauso. Beide haben Deutsch, Psychologie und Philosophie auf Lehramt studiert, beide möchten anonym bleiben. Für Barbara und Stefan ist der Schritt eine persönliche Erleichterung, für das Bildungssystem hingegen eine weitere Belastung. Denn sie sind nicht die Einzigen, die sich bewusst gegen den Schuldienst entscheiden. Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer sind am Limit. Studierende zögern, ob sie den Beruf überhaupt ergreifen sollen. Gleichzeitig verlassen immer mehr Pädagogen die Klassenzimmer – nicht erst nach Jahrzehnten, sondern oft schon nach wenigen Jahren. Ein Bildungssystem, das mehr auf Lückenverwaltung als auf echte Reformen setzt, verschärft das Problem.
Das Ministerium von Martin Polaschek, ÖVP, versuchte mit schnellen Lösungen zu reagieren: Die Alternative „Quereinsteiger“ wird breit beworben. Wer ein passendes Fachstudium hat (zum Beispiel Betriebswirtschaft) und einige Jahre Berufserfahrung vorweisen kann, darf in einem passenden Fach (zum Beispiel Mathematik) in der Sekundarstufe unterrichten. Zusätzliche Voraussetzungen sind eine Zertifizierung und der Abschluss eines eigenen Hochschullehrgangs an einer Pädagogischen Hochschule, der neben dem Lehrer-Job nachgeholt werden kann. Ein vergleichsweise schneller Einstieg in den Beruf – und das Gehaltsschema.
Mittlerweile machen die Quereinsteiger einen großen Teil der neuen Lehrpersonen aus. Für das laufende Schuljahr wurden 3360 Lehramtsabsolventen und 684 Quereinsteigende rekrutiert, gibt das Bildungsministerium auf profil-Nachfrage bekannt. Um schneller gut ausgebildetes Personal zu bekommen, soll zusätzlich das Lehramtsstudium verkürzt werden. Seit der Reform „Pädagog/innen-Bildung neu“ vor zehn Jahren dauert die Ausbildung für Volksschullehrerinnen und -lehrer zehn Semester: acht für den Bachelor, zwei für den Master. Wer an einer weiterführenden Schule unterrichten möchte, braucht nach dem achtsemestrigen Bachelor noch einen viersemestrigen Master – und steht somit erst nach sechs Jahren voll ausgebildet im Klassenzimmer. Nun soll das Lehramtsstudium für die Primarstufe als auch für die Sekundarstufe künftig insgesamt fünf Jahre dauern.
Barbara musste den langwierigen Weg gehen. Im Juli 2024 hat sie ihr Lehramtsstudium an der Universität Wien abgeschlossen. Im vergangenen Semester begann die 28-Jährige, an einer Handelsakademie und Handelsschule (HAK/HAS) im 21. Bezirk in Wien-Floridsdorf zu unterrichten. Ende Februar gibt sie ihren Job als Lehrerin endgültig auf. „Unter diesen Bedingungen will ich nicht weitermachen“, erzählt sie profil. Fünf Klassen hatte sie, jeweils knapp 30 Schülerinnen und Schüler. 95 Prozent von ihnen sprechen Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache. Für Barbara liegt hier das größte Problem: „Das Bildungsministerium überlegt, wie man das Lehramtsstudium verkürzen kann oder wie Quereinsteiger ohne pädagogische Ausbildung ins System kommen – aber nicht, wie man die Lehrkräfte besser auf die Realität in den Klassen vorbereitet.“
Mehr Fokus auf Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache
Barbara findet, dass das Studium stärker auf Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache ausgerichtet werden sollte. Das Problem sei nicht der Stoff, sondern es seien die Bedingungen im Klassenzimmer. Viele Junglehrer stehen in Klassen, in denen ein Großteil der Schüler die Unterrichtssprache kaum beherrscht und sie nicht die nötigen Instrumente haben, um damit umzugehen. Barbara gibt deswegen auf. Stefan möchte es erst gar nicht als Vollzeit-Lehrer versuchen.
Der 32-Jährige hat während seines Studiums an mehreren Mittelschulen und Gymnasien unterrichtet. Das Lehren an sich macht ihm Spaß, sagt er, aber die Umstände haben ihn davon abgehalten, den Beruf zu ergreifen. Heute würde er sich nicht mehr für ein Lehramtsstudium entscheiden, sondern für einen einschlägigen Bachelorabschluss – so wie viele Quereinsteigerinnen. „Ich habe das Gefühl, für die meisten ist der Lehrerberuf zu einem sicheren Plan B geworden. Aber wer unterrichtet, weil ihm nichts Besseres einfällt, wird den Job nicht gut machen.“
Versucht das Bildungsministerium mit dem Quereinstieg den Lehrberuf attraktiver zu machen – und schwächt damit gleichzeitig das Studium, das die Lehrer der Zukunft ausbilden soll? Antwort aus dem Bildungsressort: „Bundesminister Polaschek rät allen Maturantinnen und Maturanten, das zu studieren, was ihnen Freude bereitet und wo ihre Interessen und Stärken liegen. Wer sich für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen begeistert, ist sicher in pädagogischen Studien optimal aufgehoben.“ Der Quereinstieg sei eine wichtige Ergänzung, kein Ersatz.
Beschwerdestelle gegen Lehrer?
Stefan sorgt aber nicht nur das berufliche Umfeld, sondern auch das politische. Die FPÖ unter Herbert Kickl hat angekündigt, sogenannte Meldestellen für „linke Lehrer“ einzuführen. Im Wahlprogramm der Blauen heißt es, Lehrer würden „immer häufiger“ ihre Position zur politischen Beeinflussung „missbrauchen“ – und das „zumeist in Richtung des linken Mainstreams“. Schülerinnen und Schüler sollen künftig anonym Beschwerden gegen solche Lehrkräfte einreichen können. Polaschek lehnt diese Pläne ab, doch er wird nicht mehr lange im Amt sein und kann sie daher nicht verhindern. Ein Ministeramt unter einem FPÖ-Chef Kickl kommt für ihn nicht infrage.
Wie viel Blau-Schwarz bereit ist, in die Bildung zu investieren, zeigte sich im Jänner. Um das EU-Defizitverfahren zu vermeiden, legten FPÖ und ÖVP eine kurze Liste an Sparmaßnahmen vor. Eine davon: Die administrativen Stellen zur Unterstützung des Lehrpersonals, die im Parlament beschlossen und von Polaschek für Herbst 2025 an Pflichtschulen versprochen wurden, sollten nicht kommen. So wollte man 50 Millionen Euro einsparen. Doch nur eine Woche nach der Übermittlung der Pläne an Brüssel ruderten FPÖ und ÖVP zurück. Gestrichen wird allerdings die Pilotphase der Maßnahme, das Paket soll stattdessen direkt im Schulalltag umgesetzt werden. Unklar bleibt allerdings weiterhin, an welchen Stellen im Bildungsbereich die Einsparungen tatsächlich vorgenommen werden – Entscheidungen, die bald die neue Regierung treffen muss.
Barbara und Stefan werden davon nicht mehr betroffen sein.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
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Daniela Breščaković
ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.