Lena Schilling: „Ich werde mit der EVP keinen Handschlag machen“
Lena Schilling will für die Grünen bei der EU-Wahl „antreten statt ankleben“. Die 23-Jährige möchte Privatjets nicht sofort verbieten, sondern „hart besteuern“ – und Öffis leistbar, nicht zwingend gratis machen. Wozu braucht es dann eine Klimaaktivistin als Spitzenkandidatin?
Im Oktober haben Sie über einen potenziellen Einstieg in die Politik gesagt: „Ich sehe nicht, wo ich etwas besser machen könnte als andere, dafür bin ich nicht arrogant genug.“ Jetzt schon?
Schilling
Nein, auf keinen Fall. Die Frage war immer, wohin sich die Klimabewegung entwickelt und wo der Platz ist. Wir sind auf die Straße gegangen, haben demonstriert, haben gestreikt. Jetzt haben wir die Möglichkeit, dorthin zu gehen, wo die Hebel sind. Das ist eine große Chance.
Die Gerüchte um Ihre Kandidatur gibt es schon recht lange – dennoch haben Sie vor zwei Wochen gesagt, dass Sie nicht vorhaben, zu den Grünen zu wechseln. Haben Sie da geschwindelt?
Schilling
Ich habe viel hin und her überlegt. Mit 23 in das EU-Parlament zu gehen, davor habe ich viel Respekt. Ich habe mich dann dafür entschieden, weil ich gemerkt habe, dass es so viel Unterstützung gibt. Und dann war natürlich auch der Rechtsruck in Europa entscheidend dafür, dass ich mir gedacht habe: Okay, ich mach’s.
Aber trotzdem waren das ja nur zwei Wochen. Was hat sich wirklich in diesem so kurzen Zeitraum verändert – außer dass Sie gefragt wurden?
Schilling
Gefragt worden bin ich schon ein bisschen früher, und ich habe Hunderte Pro/Contra-Listen geschrieben. Irgendwann gab es dann eine Deadline, und aus einem Bauchgefühl heraus dachte ich mir: Wir probieren das jetzt einfach.
„Antreten statt ankleben.“
Lena Schilling
Waren Sie denn jemals Mitglied einer Partei?
Schilling
Nein.
Wollen Sie es werden?
Schilling
Ich habe das im Moment nicht vor.
Wen haben Sie bisher gewählt?
Schilling
Wahlgeheimnis! Im Ernst: Ehrlicherweise immer wieder unterschiedlich. In meiner Familie ist ziemlich alles gewählt worden. Mein Opa war Bezirksrat bei der FPÖ, meine Mama ist eher sozialistisch, mein Papa manchmal grün. Und ich hab Großeltern, die sind bei Grandparents for Future mit mir auf die Straße gegangen. Klar, ich stehe eher auf der progressiveren Seite, also kann man sich ausrechnen, welche Parteien ich nicht gewählt habe.
„Mein erster Annäherungsmoment mit den Grünen, auch wenn ich wirklich keine Klischeegrüne bin, war der Lobautunnel.“
Man hört, dass Ihnen von mehreren Parteien Listenplätze für die Nationalratswahl angeboten wurden. Warum haben Sie das nicht angenommen?
Schilling
Das habe ich mir überlegt. Aber ganz ehrlich: Ganz viele große Klimagesetze werden in Brüssel entschieden. Gerade werden zwei wichtige Gesetze diskutiert: zum einen das Nature Restauration Law und das Lieferkettengesetz. Auf nationaler Ebene geht es oft um populistisches Hickhack und darum, dass die ÖVP bei jeder Gelegenheit versucht, zu bremsen.
Aber das gibt es ja in der EU genauso.
Schilling
Ja, natürlich. Aber erstens ist man da nicht in einer Regierung, und zweitens werden 80 Prozent aller Gesetze, die dann bei uns wirken, in Brüssel gemacht. Wir werden die Klimakrise nicht in einem einzelnen Land lösen, sondern wir werden sie nur als EU im internationalen Kontext lösen. Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung. Wir können unsere Stimme mit Mut und Vehemenz einsetzen. Oder wir können sagen: „Na gut, dann lass mas.“ Das ist für mich keine Option.
Hat das die grüne EU-Abgeordnete Monika Vana bisher zu wenig gemacht?
Schilling
Nein. Ich würde mir nie anmaßen, Kritik an jemand anderem zu üben.
Das haben Sie in der Vergangenheit aber sehr oft gemacht.
Schilling
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich plötzlich die bessere Politikerin bin. Ich gehe da mit Respekt heran und werde versuchen, mein Allerbestes zu geben, und natürlich wertschätze ich die Arbeit von anderen Leuten.
„Wäre Tempo 100 sinnvoll? Sicherlich. Aber es wird wohl keine Mehrheit geben. Jetzt geht es eher darum, mehr schnelle und leistbare Öffi-Verbindungen zu schaffen, damit man den Menschen mehr Freiheiten gibt.“
Sie haben die ÖVP öfter scharf kritisiert und auch als Klimakiller bezeichnet. Jetzt kandidieren Sie für eine Partei, die mit der ÖVP koaliert. Wie fühlt sich das an?
Schilling
Auch das war immer wieder eine Überlegung. Aber ich werde die ÖVP weiterhin klar kritisieren. Die Grünen haben ihr viel abgerungen. Niemand in diesem Land würde behaupten, dass die Grünen beim Klimaschutz bremsen. Es ist schon klar, bei wem das Problem liegt: der ÖVP.
Was heißt das realpolitisch für die Grünen? Hätten sie nie mit der ÖVP eine Koalition eingehen sollen?
Schilling
Ich war nicht in der Position, das zu entscheiden.
Aber was ist Ihre Meinung?
Schilling
Finde ich gut, dass es jetzt viele Klimamaßnahmen gibt? Ja. Finde ich gut, dass die ÖVP in vielen Fällen so viel Blödsinn gemacht und ordentlich gebremst hat? Nein. Das ist ein Zwiespalt, klar. Ich sage aus meiner Position heraus klar: Ich werde mit der EVP keinen Handschlag machen und sagen: Wir sind jetzt ein Team. Ich habe da eine sehr klare Abgrenzung.
Würden Sie Ursula von der Leyen von der EVP als Präsidentin der Europäischen Kommission wählen, wenn sie noch mal antritt?
Schilling
Die Frage ist, was die Optionen sind. Klar ist: Von der Leyen hat sich für einen Green New Deal eingesetzt. Ohne sie wären wir nie so weit. Ich könnte es mir also durchaus vorstellen.
Sie haben die Grünen wiederholt scharf kritisiert, unter anderem dafür, dass sie sich nicht für Sie interessieren würden. Wie haben Sie das Interesse dann geweckt?
Schilling
Das war ganz konkret ein Moment, als es ein Protestcamp am Ballhausplatz gab und wir wirklich sehr frustriert waren, weil verschiedene Gesetzesinitiativen einfach nicht auf den Weg gebracht wurden. Mein erster Annäherungsmoment mit den Grünen, auch wenn ich wirklich keine Klischeegrüne bin, war der Lobautunnel.
Was ist denn eine Klischee-Grüne?
Schilling
Da gibt es diese Vorurteile von Jutesackerl, Bambuszahnbürste und Zeigefinger – aber denen muss man nicht entsprechen. Aber zurück zum Lobautunnel. Wir sind da mit der SPÖ so aneinandergerasselt, während Klimaschutzministerin Leonore Gewessler extrem Mut bewiesen hat. Da ist zum ersten Mal das Gefühl entstanden: Wir kämpfen für dasselbe.
Die frühere Sprecherin der Jungen Grünen, Flora Petrik, hat getwittert …
Schilling
Mhm, habe ich gesehen.
Wir lesen es trotzdem kurz vor.
Schilling
Danke, tut nur ein bisschen weh.
„Dass die Grüne Partei Kritiker*innen über Posten im Parteiapparat in ihre Reihen integriert, sagt weniger über die Partei als über die Kritik aus.“ Sie sagen, das tut weh – warum?
Schilling
Ich habe auch mit Flora Petrik Politik gemacht und verstehe die Kritik aus ihrer Position. Gleichzeitig möchte ich aber schon die Frage stellen: Sollen wir während einer Klimakrise noch 20 Jahre auf der Straße stehen? Und wenn wir eine FPÖ-ÖVP-Regierung haben, sagen: Oh bitte, lieber Herbert Kickl, finde doch das mit dem Klimaschutz gut? Irgendwann kommt der Punkt, wo man die Verantwortung hat, in Positionen zu gehen. In der ÖVP geht man mit Kritik so um, dass Othmar Karas nicht mehr kandidiert.
Was würden Sie denn in ein EU-Wahlprogramm der Grünen schreiben?
Schilling
Auf jeden Fall Maßnahmen, wie man klimagerechter handeln kann. Wir haben zum Beispiel ein Manifest geschrieben, wie man einen Green New Deal und einen Social New Deal zusammen denken kann. Es wird aber auch darum gehen, für ein feministischeres Europa einzutreten.
Das alles steht ja in der einen oder anderen Form schon dort. Was wäre neu, wenn Sie mitschreiben würden?
Schilling
Die Zeit von Papieren ist vielleicht vorbei. Es gibt Kompromisse und Papiere, auf die wir uns geeinigt haben, aber trotzdem nicht einhalten. Zum Beispiel das Pariser Klimaabkommen. Wir sollten nicht 17.000 neue Dinge versprechen, sondern Versprechen endlich umsetzen.
Die Klimabewegung hält zum Beispiel Tempo 100 für eine wichtige Maßnahme. Wäre das europaweit denkbar?
Schilling
Wäre das sinnvoll? Sicherlich. Aber es wird wohl keine Mehrheit geben. Jetzt geht es eher darum, mehr schnelle und leistbare Öffi-Verbindungen zu schaffen, damit man den Menschen mehr Freiheiten gibt.
Auch Gratis-Öffis?
Schilling
Das muss man sich ansehen. Auf jeden Fall leistbare Öffis.
Sind Sie dafür, Kurzflüge zu verbieten?
Schilling
Lieber Privatjets. Aber vielleicht auch nicht jetzt sofort.
Aber grundsätzlich sollte man Privatjets verbieten?
Schilling
Das ist eine Forderung, die immer wieder von NGOs kommt. Es gibt immer mehr Privatjets, vielleicht sollte man sie zuerst einmal hart besteuern.
Kanzler Karl Nehammer will Gendern verbieten. Wollen Sie Gendern EU-weit verpflichtend machen?
Schilling
Das Spannende ist ja, dass wir schon wieder diese Gender-Debatte führen, und schon wieder wird sie von rechts und konservativ geführt.
Also ist Karl Nehammer in Ihrer Definition rechts.
Schilling
Von rechts und konservativ habe ich gesprochen. Die FPÖ bringt übrigens am häufigsten Anträge zu dem Thema ein, was ich extrem funny finde. Ich finde: Gendern schafft Lebensrealitäten. Aber die Debatte wird ja von einer Seite immer wieder geführt, um nicht über Frauenrechte reden zu müssen. Das ist so eine Nebelgranate, auf die muss man nicht unbedingt einsteigen.
Sie sagen, Ihre Kandidatur ist eine Kampfansage gegen rechts. Wo beginnt denn für Sie rechts?
Schilling
Wir sehen gerade, wo jetzt rechts steht, und das ist ja relativ eindeutig. Wir haben in Italien gesehen, wie Hunderte Menschen auf offener Straße den Faschistengruß zeigen. Wir haben in Potsdam gesehen, wie Geheimtreffen stattfinden, wo die AfD und Identitäre sich ausmachen, wie man Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen, deportieren will. Wir sind in der Debatte schon so weit abgebogen von dem, auf das wir uns als Gesellschaft geeinigt haben.
Das ist der äußerste Rand. Ist Reinhold Lopatka das „rechts“, gegen das Sie kämpfen wollen?
Schilling
Ich glaube nicht, dass das aktuell die Frage ist. Mir geht es um andere Fragen: Achten wir einander? Sind wir gut zueinander? Das sind die Dinge, für die ich einstehen will. Und sollte ein Reinhold Lopatka menschenverachtende Dinge sagen, dann würde ich das genauso verurteilen. Aber ich bin kein Fan, Menschen in Schubladen zu stecken.
Aber das macht man ja bei anderen auch, zum Beispiel bei Herbert Kickl.
Schilling
Na gut, aber bei Herbert Kickl geht es nicht um rechts, da geht es um rechtsextrem.
Das ist nicht die Debatte, die wir jetzt führen müssen. Es geht vielmehr darum, zu verteidigen, was wir schon beschlossen haben. Wir leben gerade in einem Wirtschaftssystem und müssen jetzt versuchen, hier diese Krise zu lösen. Reden wir über den Ist-Zustand und was jetzt notwendig ist, damit wir das verhindern können, was mit der Klimakrise bevorsteht: nämlich dass Menschen ihre Lebensräume verlieren.
Wir gehen davon aus, dass Sie Ihre politischen Meinungen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auslegen.
Schilling
Ja.
Soll Gentechnik also für Nutzpflanzen genutzt werden?
Schilling
Das ist ein Thema, das total umstritten ist. Agrarkonzerne machen sehr viel Geld damit, über Gentechnik zu reden. Ich glaube, es ist nicht das drängendste Thema. Wir müssen eher darüber sprechen, wie wir Böden renaturieren, wie wir Landwirtschaft langfristig und gesund aufbauen können.
Aber der wissenschaftliche Konsens ist, dass Gentechnik bei Nutzpflanzen durchaus sinnvoll ist.
Schilling
NGOs wie Greenpeace und Global 2000 sind aus vielen guten Gründen dagegen. Jetzt geht es vor allem um Biodiversität und Artenerhalt.
In welche EU-Ausschüsse würden Sie gerne gehen?
Schilling
Ui, ich muss gestehen, dass ich mir diese konkrete Frage bisher nicht gestellt habe. Wir können aber gerne zu einem späteren Zeitpunkt darüber reden.
Bisher waren Sie bei keinem der Themen, über die wir gesprochen haben, nicht auf Linie mit den Grünen …
Schilling
Das ist doch ganz gut!
Wozu braucht es dann eine Klimaaktivistin als Spitzenkandidatin?
Schilling
Ich kann eine andere Perspektive einbringen. Ich bin auch morgen nicht Berufspolitikerin, sondern komme aus einer Bewegung, wo wir in anderen Strukturen gekämpft haben. Wie gut, wenn das jetzt der Call-to-Action wäre und sich viele Leute überlegen: Jetzt ist der Zeitpunkt, sich zu engagieren.
Ist es sinnvoller, für ein politisches Mandat zu kandidieren, als sich auf der Straße festzukleben – so wie das die Letzte Generation macht?
Schilling
Ich habe mein Verhältnis zur Letzten Generation immer wieder klargemacht. Meine größte Kritik war nie der zivile Ungehorsam, sondern dass man nicht genug Leute mit diesen Mitteln mitnimmt. Ich hoffe, mit meiner Kandidatur mehr Menschen zu erreichen. Antreten statt ankleben.
Wie wichtig ist Ihnen hier Symbolpolitik? Der Freiheitliche Harald Vilimsky fährt mitunter mit dem Auto nach Brüssel. Werden Sie immer Zug fahren?
Schilling
Wie lange fährt man bitte mit dem Auto nach Brüssel?
Etwas weniger als elf Stunden. Vielleicht können Sie ja mal mitfahren.
Schilling
I would rather not. Ich werde sicher versuchen, viel mit dem Zug zu fahren, weil ich das am sinnvollsten finde. Da geht es um Glaubwürdigkeit und die eigenen Werte, nicht um Symbolpolitik. Das heißt aber nicht, dass ich niemals wieder fliegen werde.
„Niemand in diesem Land würde behaupten, dass die Grünen beim Klimaschutz bremsen. Es ist schon klar, bei wem das Problem liegt: der ÖVP.“
Leonore Gewessler kam von einer NGO in die Regierung und wurde für ihre Politik teils heftig kritisiert. Haben Sie Angst, dass sich die Klimabewegung von Ihnen abwendet?
Schilling
Ich habe auf jeden Fall extrem Respekt vor diesem Schritt. Das Schöne ist, dass ich viele Freundinnen und Freunde habe, die kritisch sind und mir sagen werden: Lena, wir haben dich lieb, aber das war gerade nicht cool. Das finde ich wichtig.
Sollen wir während einer Klimakrise noch 20 Jahre auf der Straße stehen? Und wenn wir eine FPÖ-ÖVP-Regierung haben, sagen: Oh bitte, lieber Herbert Kickl, finde doch das mit dem Klimaschutz gut? Irgendwann kommt der Punkt, wo man die Verantwortung hat, in Positionen zu gehen.
Lena Schilling
Glauben Sie, dass die Öffentlichkeit ein falsches Bild von Ihnen hat und Sie gar nicht so radikal sind, wie man öffentlich glaubt?
Schilling
Radikal heißt im Wortsinn ja von der Wurzel an. Und wir müssen Probleme an der Wurzel angehen und sie lösen. Dafür stehe ich ein. Ich werde sicher keine Entscheidung mittragen, wenn ich nicht dahinterstehen kann.
Bei welcher Entscheidung hätten Sie das bisher nicht?
Schilling
Das ist eine schwierige Frage. Zum Beispiel bei der Abschiebung der Schülerin Tina, die Anfang 2021 nach Georgien abgeschoben wurde. Sie wurde zurückgeholt, auch dank der Grünen.
Die österreichischen Grünen haben drei Mandate im EU-Parlament, nach der Wahl womöglich nur zwei. Sie werden dann von Sky Shield bis hin zu Wirtschaftspolitik eine Meinung haben müssen. Sind Sie dafür bereit?
Schilling
Jetzt gerade bin ich auf dem Weg zum Bereitwerden. Ich finde es schön, sich Wissen von den Leuten zu holen, die sich wirklich jahrzehntelang in Dinge eingelesen haben. Im Klimathema bin ich auch fit geworden. Wird schon werden.
Interview: Iris Bonavida, Lena Leibetseder Fotos: Alexandra Unger
Newsletter
Drucken
(profil.at)
|
Stand:
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.