Leseratten: Die Lieblingsschriftsteller von FPÖ-Politikern
Odin Wiesinger ist kein unsympathischer Kerl. Der Mittfünfziger sieht jünger aus, ist gut aufgelegt und in seiner kleinen oberösterreichischen Heimatgemeinde Andorf eine Größe, seit ihn dort immer wieder hochrangige FPÖ-Politiker besuchen. Zuletzt, im Frühsommer, war Norbert Hofer da. Im Wahlkampf hatte der blaue Präsidentschaftskandidat den Innviertler seinen Lieblingsmaler genannt.
Jemand, der Manfred heißt und sich den Künstlernamen "Odin“ zulegt, macht aus seiner Sicht der Welt kein Geheimnis. Zu Wiesingers Œuvre zählen neben Landschaften zahlreiche Bilder von vorrückenden Soldaten und Burschenschaftern in voller Montur. Im profil-Sommergespräch wollte er sich Anfang Juli in der Frage der "Auschwitzlüge“ nicht festlegen ("Da muss ein Historiker her“) und räsonierte über "deutsches Blut“. Der frühere Nationalratspräsident Martin Graf (FPÖ) ließ sich von Wiesinger in den Farben der deutschen Fahne porträtieren. Jörg Haider schenkte seinem Chefideologen Andreas Mölzer seinerzeit einen Wiesinger zum Geburtstag, Wiens FPÖ-Chef Johann Gudenus überreichte dem Minsker Bürgermeister ein Werk des Innviertlers als Gastgeschenk.
Nach dem Erscheinen des Wiesinger-Sommergesprächs fragte der oberösterreichische FPÖ-Landesrat Elmar Podgorschek den Innviertler Meister via Twitter neckisch, ob dieser wohl noch sein Freund sei, da er schon Feindmedien wie profil Interviews gebe.
Podgorscheks kulturelle Vorlieben sind auf der Website der oberösterreichischen Landesregierung vermerkt: Der 58-Jährige reist gern, mag Innviertler Hausmannskost und Musik von Bach, seine Lieblingslektüre sind Bücher von Joachim Fernau. Fernau?
Ja, der Fernau! Der "Durchhalte-Fernau“, wie ihn Journalistenkollegen damals nannten, weil der Kriegsberichterstatter im Rang eines SS-Obersturmführers im "Völkischen Beobachter“ und im SS-Organ "Das Schwarze Korps“ die markigsten Parolen durchgab. Als Stalingrad im Winter 1942/43 fiel, schrieb er aus Charkow: "Der Augenblick ist da, die große Wendung. Es ist kein Zweifel mehr. Endlich! Endlich!“ Unmittelbar nachdem die Alliierten im Juni 1944 in der Normandie gelandet waren, versprach Fernau: "Der Sieg ist wirklich ganz nah.“ Im September 1944 fabulierte er, Hitler werde demnächst über eine Wunderwaffe verfügen, mit der man "ganz England in die Luft sprengen“ könne.
Nach 1945 lebte Fernau (1909-1988) als Schriftsteller in München. Man verlegte seine Texte bald wieder. 1952 erschien sein Buch "Deutschland, Deutschland über alles“, ein Bestseller, gefolgt von "Die Genies der Deutschen“. Vorhalte wegen seiner NS-Vergangenheit konterte er mit der Bemerkung, er sei eben "kriegszwangsverpflichtet“ gewesen. 1970 hieß es in einer Rezension des "Spiegel“ über sein Buch "Cäsar lässt grüßen“: "Deutschland, so lässt Fernau durchblicken, war an beiden Weltkriegen unschuldig. Was zwischen 1914 und 1945 geschah, ist ihm schlicht der, Dreißigjährige Krieg gegen Deutschland‘.“ 2009 klagte das neurechte "Institut für Staatspolitik“, das Werk Fernaus gerate in Vergessenheit.
Stimmt nicht: Landesrat Elmar Podgorschek liest ihn gern.
Vielleicht könnte jemand der "Heimatpartei“ FPÖ einige "eigene Leut“ nahebringen.
Podgorscheks literarischer Geschmack unterscheidet sich nur marginal von jenem seines Chefs, des oberösterreichischen FPÖ-Vorsitzenden Manfred Haimbuchner, der sich seit einem Jahr Landeshauptmann-Stellvertreter nennen darf. Er gibt auf der Website der Landesregierung Ernst von Salomon als seinen Lieblingsautor an. Salomon (1902-1972), Sohn eines Offiziers, erzogen in der Kadettenanstalt Berlin, schloss sich schon mit 16 den rechtsextremen Freikorps an, einer Vorläufertruppe der SA. 1920 nahm er am Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik teil. Im Juni 1922 war Salomon am Attentat auf den liberalen Außenminister Walther Rathenau beteiligt, einen Juden, der für die Verständigung mit Frankreich eintrat. Er wurde zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und von Reichspräsident Hindenburg vorzeitig begnadigt. Nach Hitlers Machtergreifung erschienen Salomons Roman "Die Kadetten“ und "Das Buch vom deutschen Freikorpskämpfer“. Innerhalb der NSDAP gehörte Haimbuchners Lieblingsautor dem "Strasser-Flügel“ an, der 1934 von Hitler kaltgestellt wurde. Dennoch drehte Salomon in der Folge antibritische und antisemitische Propagandafilme.
1951 erschien sein erfolgreicher Roman "Der Fragebogen“, in dem er sich kritisch mit der Entnazifizierung durch die US-Behörden auseinandersetzte. Alfred Polgar schrieb in einer Rezension des Buches: "In Salomons Roman wird das Dritte Reich zurechtgewiesen wie ein ungeratener Sohn von seinem Vater, dem hierbei der Stolz über den Teufelsjungen im Auge blinkt.“
Vielleicht könnte jemand der "Heimatpartei“ FPÖ einige "eigene Leut“ nahebringen. Arthur Schnitzler vielleicht. Oder Joseph Roth. Oder Ödön von Horváth. Oder Franz Werfel. Oder Stefan Zweig.
Oder gehen die aus irgendeinem Grund nicht?