Peter Pilz: Die Rückkehr des Namensgebers ist weiterhin offen

Liste Pilz: Hoffen auf die Rückkehr des Namensgebers

Nach fünf Monaten im Parlament gibt es noch immer keinen neuen Namen für die Partei von Peter Pilz – und auch keine gemeinsame Linie. Alle Hoffnungen ruhen auf der Rückkehr des Namensgebers.

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Wer sich näher für das Innenleben der Liste Pilz interessiert, braucht vor allem eines: viel Geduld. Anruf in der kürzlich bezogenen Parteizentrale: „Bei uns ist alles erst im Aufbau, wir haben noch nicht einmal fertig eingerichtet“, erklärt eine Sprecherin. Wie soll die Bewegung in Zukunft heißen? „Es gibt viele Namensvorschläge“, sagt der interimistische Klubobmann Peter Kolba. Er will eine Programmatik entwickeln, „durch die klar wird, wo wir im politischen Spektrum stehen“. Wann es so weit ist? Bitte warten. Auch die Parteiakademie, für die der Liste Pilz jährlich gut eine Million Euro an Fördermitteln zusteht, braucht Zeit, erklärt Koordinatorin Renée Schroeder. Die Hochschulprofessorin und Pilz-Unterstützerin der ersten Stunde vertröstet auf später: „Es ist grad ein bisschen früh. So richtig beschlossen ist noch nichts.“ Und Peter Pilz selbst? Der will vorerst gar nichts sagen.

Gut fünf Monate nach dem überraschenden Einzug ins Parlament ist die Liste Pilz politisch paralysiert. Der Schock über die Zwangspause von Peter Pilz wirkt immer noch nach, der Listengründer sieht sich mit Vorwürfen sexueller Belästigung konfrontiert (profil berichtete). Zwar haben die acht Abgeordneten der neuen Fraktion ihre fachlichen Qualitäten, doch der Truppe fehlt der Dirigent. Pilz war so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner der heterogenen Bewegung. Mit ihm ging die einende Klammer verloren.

Im Parlamentsklub der Liste Pilz herrscht am vergangenen Dienstag rege Betriebsamkeit. Alle Büros sind besetzt, im Eingangsbereich wartet eine NGO-Lobbygruppe, Abgeordnete schwirren mit Espressotassen durch die Gänge, und die Medienabteilung bereitet eine Pressekonferenz für den nächsten Tag vor. Die Rekrutierung des Teams sei abgeschlossen, sagt Klubobmann Kolba: „Meine Innensicht ist: Wir sind jetzt nach 100 Tagen gut aufgestellt und im Parlament angekommen.“ Die Mitarbeiter (es sind etwa 35) bringen durchwegs politische Erfahrung mit: Ein gutes Viertel von ihnen arbeitete davor für die Grünen – damit wurde Know-how vom direkten Konkurrenten eingekauft.

Platzhalter: Peter Kolba spricht für die Liste Pilz als Interims-Klubobmann

Das wird die Liste auch brauchen. Fünf der acht Abgeordneten haben keine Parlamentserfahrung. Die junge Quereinsteigerin Stephanie Cox, zuständig für Bildung und Innovation, fühlt sich „wie im Gründungsprozess eines Start-ups: Die Anfangsphase kann sehr turbulent sein.“ Der Unterschied zu einem Jungunternehmen: „Wir sind im Reagenzglas der Öffentlichkeit, das macht das Ganze komplexer.“

Die Außenwahrnehmung der Liste deckt sich freilich nicht mit der Innenperspektive, wie auch Kolba eingesteht: „Wir kommen noch nicht so wirklich über die Wahrnehmungsschwelle. Das ist ein Problem, das wir lösen werden.“ Als Vorbild dient dem Interimschef der Liste ausgerechnet die FPÖ: „Wir wollen diese Art der Aufmerksamkeitserreichung imitieren. Die klare Zuspitzung hat wesentlich zum Aufstieg der Freiheitlichen beigetragen. Sie waren die Einzigen, die kantige Oppositionsarbeit gemacht haben. Die Grünen hatten eher die Funktion eines Regierungssprechers.“ Die Wahl des Pilz-Ersatzmannes hätte schlechter ausfallen können. Kolba hält die Truppe aus Einzelkämpfern bestmöglich zusammen. Seine langjährige Tätigkeit als Konsumentenschützer – samt konfrontativer TV-Interviews – kommt ihm bei seiner neuen Funktion zugute. Doch für die Emanzipation von Peter Pilz reicht das noch lange nicht. Schon die Bezeichnung als „Interims-Klubobmann“ zeigt: Kolba ist Platzhalter für den Tag X – jenen Tag, an dem Pilz sein erwartetes Comeback gibt.

Dabei sind die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung noch längst nicht geklärt. Laut Staatsanwaltschaft Innsbruck, die mit der Causa betraut ist, stehen die Einvernahmen erst bevor. Von den Pilz-Unterstützern werden die Verdachtsmomente äußerst lapidar abgetan. Man könne sich nicht vorstellen, dass da etwas dran ist, er werde sicher nicht verurteilt – und er komme unter Garantie zurück, sagen alle, die man fragt.

„Die Wähler wollten den Peter Pilz im Parlament sehen und nicht zurückgezogen im Hintergrund. Die Wahrnehmung unserer Liste wird sich schlagartig ändern, wenn er wieder ins Parlament kommt“, versucht Kolba die schlechten Umfragewerte wegzureden. Wäre da nicht ein Dilemma: Bei der Liste Pilz ist allen klar, dass es ohne den politisch gewieften Namensgeber keine Zukunft gibt. Doch keiner der acht Abgeordneten will den Platz räumen – und schon gar nicht „freiwillig“, wie Kolba es sich wünscht. Gut für Pilz, dass es einiges zu verteilen gibt: Die Förderungen für Klub, Partei und Akademie summieren sich auf gut vier Millionen Euro. Für die Parteiakademie wurde noch kein Cent ausgegeben. Als Appetizer könnte der gut dotierte Direktorposten bei der Akademie dienen – oder die Spitzenkandidatur bei den EU-Wahlen 2019. Noch hat keiner der acht Abgeordneten angebissen. Das freie Mandat auf fünf Jahre scheint ihnen eher zu imponieren.

Die Namensliste erweckt derzeit den Eindruck, im Stand-by-Betrieb zu funktionieren. Entscheidungen werden auf die lange Bank geschoben.

Da wäre zunächst die Namensgebung. Kolba präferiert eine Bezeichnung, „mit der wir zum Ausdruck bringen, dass wir keine Ein-Mann-Partei sind“. Eigentlich hätte der Name bereits Ende Jänner feststehen sollen. Doch die erste gemeinsame Klausur der Pilz-Mandatare Anfang des Jahres erbrachte wenig Substanzielles. Aktueller Stand: Die Umbenennung wird erst vollzogen, wenn Pilz zurückkehrt. Uniprofessorin Renée Schroeder kümmert sich auf Wunsch von Pilz mit dem Aufbau der Parteiakademie: „Wir werden einen wirtschaftspolitischen Thinktank als Gegenpol zur Agenda Austria aufbauen – und eine investigative Onlinezeitung.“ Das Projekt steht ganz am Anfang; in den kommenden Wochen soll erst einmal der Trägerverein der Akademie gegründet werden.

Seit Oktober im Nationalrat: Alma Zadic

Die wichtigste Entscheidung der Liste Pilz ist allerdings, welche Art von Politik sie machen will. Im Parlament böten sich der Liste nachgerade ideale Voraussetzungen. Die SPÖ will nach zwölf Regierungsjahren noch nicht so recht mit ihrer Oppositionsrolle warm werden. Und die schwarz-blaue Koalition liefert ihren Gegnern eine Steilvorlage nach der nächsten. Dazu kommt: Für eine prononciert linke Partei wäre im österreichischen Parteienspektrum noch Platz; die KPÖ kann dieser Rolle nur in der Steiermark gerecht werden. In anderen Ländern, etwa in Spanien, Deutschland oder Schweden, haben sich Linksaußen-Fraktionen längst etabliert. Doch bevor sich die Liste Pilz eine gemeinsame Identität geben konnte, hatte sie bereits ihr einziges Bindeglied verloren. Die programmatischen Leitlinien wurden in Arbeitsgruppen verfrachtet. Das kann dauern.

Und so arbeitet jeder Pilz-Abgeordnete für sich. Die Abwesenheit des Listengründers gibt den Abgeordneten zumindest die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu etablieren, ohne permanent überstrahlt zu werden. Peter Kolba setzt auf legales Cannabis für medizinische Zwecke, Umweltsprecherin Martha Bißmann wettert gegen Tempo 140 auf den Autobahnen – und warnt, schon ganz zugespitzt, vor dem „Klima-Kollaps“.

„Sicher hat Peter Pilz ein Vakuum hinterlassen. Aber wir haben alle unsere Qualitäten. Und konnten so auch bestimmte Themen besetzen“, sagt die Abgeordnete Alma Zadic. Die 33-jährige Juristin mit bosnischen Wurzeln nimmt sich der Causa um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) an. Während ihrer Rede in der parlamentarischen BVT-Sondersitzung gab sie einen respektablen Pilz-Ersatz ab – und sammelte erste Erfahrungen im politischen Nahkampf: Unter lauten Zwischenrufen blauer Abgeordneter wollte sie von Innenminister Herbert Kickl wissen, welche Daten der BVT-Rechtsextremismusabteilung bei der Hausdurchsuchung mitgenommen wurden. Und fragte: „Sind die Informanten vor rechts-extremen Racheakten in Gefahr?“ FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus lärmte dazwischen: „Blutrache gibt es in Bosnien, nicht bei uns!“ Für den serbienaffinen Freiheitlichen ist die Tochter bosnischer Migranten ein rotes Tuch.

„Davon lasse ich mich nicht beirren“, sagt Zadic in ihrem Büro im Parlamentsklub. Auf ihrem Notizblock klebt ein „Peter Pilz“-Sticker. Ihren Schritt in die Politik bereut Zadic nicht. Natürlich könnte alles ein bisschen schneller gehen. Sie freue sich jedenfalls schon auf den Zeitpunkt, „wo das alles steht“. Damit ist sie nicht allein.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.