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Der weite Weg zum Lobautunnel

Die Dreier-Koalition will die Lobauautobahn bauen. Doch sie darf nicht. Selbst wenn der Europäische Gerichtshof im Sinne des Projekts urteilt, warten mehrere Hürden – darunter auch die Finanzierung.

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Es gibt kaum ein Straßenbauprojekt in Österreich, das so polarisiert wie die Lobauautobahn. Dreieinhalb Jahre ist es mittlerweile her, dass rund 40 Klimaaktivistinnen und -aktivisten im 22. Wiener Gemeindebezirk gegen den Bau demonstrierten. Eine Gruppe rund um die Klimaaktivistin Lena Schilling harrte in einem Protestcamp gegen einen Zubringer zur geplanten Lobauautobahn mehrere Monate lang aus. Ungefähr zeitgleich, im Herbst 2021, stoppte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Die Grünen) das Vorhaben. Doch die Zeit vergeht, das Protestcamp ist längst geräumt, Schilling mittlerweile Abgeordnete zum EU-Parlament, und Gewessler sitzt seit Anfang März wieder auf der Oppositionsbank. Ihre Nachfolger wollen die S1, wie das Vorhaben offiziell heißt, fertigstellen. Auf dem Weg dorthin sieht sich Gewesslers Nachfolger Peter Hanke (SPÖ) jedoch einigen Hürden konfrontiert: ein anhängiges Gerichtsverfahren, das Wiener Klimaschutzgesetz – und letztlich auch finanzielle Fragen. Denn die ursprünglich kalkulierten zwei Milliarden Euro reichen für den Bau längst nicht mehr aus.

Diskutiert wird das Projekt bereits seit 1993. Damals forderten ÖVP und FPÖ im Wiener Gemeinderat die „baldige Realisierung einer Südumfahrung für Wien sowie Überlegungen hinsichtlich einer Nordost-Umfahrung“. Teile der Südumfahrung gibt es mittlerweile: 2001 starteten die Bauarbeiten für die Teilstrecke zwischen Vösendorf und Schwechat, seit 2006 ist sie in Betrieb. Vollendet werden soll die Wiener Außenring Schnellstraße (S1) durch den Lückenschluss zwischen Schwechat und Süßenbrunn. Hier soll die Autobahn acht Kilometer lang unter der Donau und anschließend unter dem Nationalpark Donau-Auen verlaufen.

Das Jahr 2006 ist wichtig, denn es spielt eine zentrale Rolle in einem Verfahren, das das Projekt weiterhin in die Länge ziehen wird. Und Peter Hanke Zeit verschafft.

Keine Entscheidung vor Mitte 2026

Zwar wurde die S1 bereits im Jahr 2002 ins Bundesstraßengesetz aufgenommen, doch 2006 folgte eine Konkretisierung der Trasse, das Gesetz wurde novelliert. Und weil in der Zwischenzeit die sogenannte „Strategische Umweltprüfungs-Richtlinie“ der Europäischen Union (EU) in Kraft trat, monierte eine Umweltorganisation, dass dem Projekt eine solche strategische Umweltprüfung (SUP) fehle. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) beauftragte im März 2025 den Europäischen Gerichtshof (EuGH), diese offenen Fragen zu klären. Konkret geht es darum, ob die SUP heute noch nachgeholt werden muss, bevor weitere Genehmigungen – etwa im Wasserrecht – erteilt werden dürfen.

Seit März liegt der Fall nun beim EuGH. Durchschnittlich dauern Verfahren dort 16 Monate, mit einer Entscheidung ist also eher erst in der zweiten Jahreshälfte 2026 zu rechnen. Bis dahin wird Gewesslers Nachfolger Hanke voraussichtlich wenig zu entscheiden haben. Doch ähnlich heikel wie die rechtliche Lage ist die politische.

Peter Hanke muss diesen Umweltbericht, die geprüften Alternativen und die eingegangenen Stellungnahmen bei seinen weiteren Entscheidungen berücksichtigen – dazu ist er sehr wohl verpflichtet.

Lukas Hammer (Die Grünen), Verkehrssprecher

Denn aus Gewesslers großem Ziel, die S1 aus dem Bundesstraßengesetz zu streichen, wurde nichts. Dafür hätte es eine einfache Mehrheit im Nationalrat gebraucht – doch neben der ÖVP sind auch SPÖ und FPÖ für das Projekt. Nur die Neos hadern. Die S1 bleibt damit weiterhin Teil des Bundesstraßengesetzes.

500 Seiten versus Hanke

Doch selbst im Fall einer EuGH-Entscheidung zugunsten des Projekts, warten weitere Probleme auf Hanke: Denn obwohl für den Abschnitt bereits seit 2015 eine rechtskräftige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorliegt, veranlasste Gewessler als damalige Ministerin im Jahr 2022 zusätzlich eine strategische Umweltprüfung. Ihre Begründung: Die Rahmenbedingungen hätten sich seit den Planungen in den 1990er-Jahren grundlegend verändert. Österreich strebe Klimaneutralität bis 2040 an – und dafür müssten Emissionen in allen Sektoren gesenkt werden, von Industrie über Gebäude bis hin zum Verkehr. Mit diesen Zielen sei das Projekt nicht vereinbar, so Gewessler.

Im Februar 2025 wurden die mehr als 500 Seiten umfassenden Ergebnisse veröffentlicht. Darin legen Fachleute der Universität Wien, der TU Wien, der TU Graz und des Umweltbundesamts dar, dass die Umsetzung des Projekts zusätzliche Verkehrsbelastungen erzeugen und negative Auswirkungen auf Umwelt, Klima und Raumstruktur hätten – die den erwarteten Nutzen klar übersteigen würden. Dennoch wollen die SPÖ Wien, die niederösterreichische Landesregierung und die ÖVP am Projekt festhalten. Sie versprechen sich Entlastungen für den 22. Bezirk und eine Reduktion des Schwerverkehrs auf der Südosttangente.

Prinzipiell stehe ich positiv zum Lobautunnel. Straßen sind wichtig für den Wirtschaftsstandort, gleichzeitig haben wir die Frage der Klimaneutralität. Nötig ist ein vernünftiger Diskurs mit allen Stakeholdern, um Emotionalität herauszunehmen.

Peter Hanke (SPÖ), Verkehrsminister

Rechtlich bindend ist das Gutachten zwar nicht. Doch, so Lukas Hammer, Verkehrssprecher der Grünen: „Peter Hanke muss diesen Umweltbericht, die geprüften Alternativen und die eingegangenen Stellungnahmen bei seinen weiteren Entscheidungen berücksichtigen – dazu ist er sehr wohl verpflichtet.“ Juristinnen und Juristen, die das Projekt seit Jahren begleiten, gehen noch weiter: Hanke müsse – wenn der EuGH darauf besteht – erst einmal Expertinnen und Experten finden, die im Rahmen einer weiteren strategischen Umweltprüfung zu einem völlig anderen Ausgang kommen und den Bau befürworten.

Aus dem Büro Hanke möchte man sich zur S1 inklusive Lobautunnel derzeit nicht äußern und verweist auf bereits getätigte Aussagen. Der Minister möchte sich die entsprechende Zeit nehmen, sich selbst ein Bild zu machen. Mitte März sagte er gegenüber der Tageszeitung „Der Standard“ aber: „Prinzipiell stehe ich positiv zum Lobautunnel. Straßen sind wichtig für den Wirtschaftsstandort, gleichzeitig haben wir die Frage der Klimaneutralität. Nötig ist ein vernünftiger Diskurs mit allen Stakeholdern, um Emotionalität herauszunehmen.“

Bumerang für die SPÖ?

Das Projekt ist und bleibt aber vor allem für die SPÖ politisch heikel, meint Katrin Praprotnik, Politikwissenschaftlerin an der Universität Graz. Einerseits spricht sich die Wiener SPÖ seit Jahrzehnte für die S1 aus. Andererseits bekennt sie sich im Wiener Klimagesetz auf deutliche Emissionsreduktionen und das Ziel der Klimaneutralität ab 2040 – wie auch der Bund. Laut Gewesslers Umweltprüfung jedoch würde der Bau der S1 diese Ziele in weite Ferne rücken. Auch wahlstrategisch ist das Projekt nicht ungefährlich: „Für die Bundes-SPÖ ist es tatsächlich heikel, weil es eben einen linken Wählerpool gibt, der zwischen SPÖ und Grünen schwankt. Wenn ehemalige SPÖ-Wähler:innen von der Regierungsarbeit ihrer Partei enttäuscht sind und vielleicht insbesondere im Umwelt- und Klimaschutzbereich, dann könnten diese wechseln.“

Riskant für die Sozialdemokraten, denn: „Die Foresight-Wählerstromanalyse zeigt, dass 155.000 ehemalige Grün-Wähler:innen aus 2019 im Wahljahr 2024 zur SPÖ gewechselt sind. Von keiner anderen Partei konnte die SPÖ so viel gewinnen“, sagt Praprotnik. Einen Teil davon könnte man durch einen unklaren Kurs bei Umwelt- und Klimafragen also wieder verlieren.

Die Grünen scheinen jedenfalls zu profitieren: inhaltlich, wenn der Tunnel nicht gebaut wird. Strategisch, wenn der Tunnel gebaut wird, uns sie es in ihrer politischen Kommunikation nützen können.

Katrin Praprotnik, Politikwissenschafterin Universität Graz

Budgetfrage Lobauautobahn

Zuletzt spielt auch die Frage der Finanzierung eine Rolle – zumindest politisch. Grüne Spitzenpolitikerinnen und Politiker kritisieren derzeit lautstark, dass es angesichts der aktuellen Budgetsituation keine gute Idee sei, „sechs Milliarden Euro in einem Wiener Naturschutzgebiet zu verbetonieren“, wie Leonore Gewessler am Donnerstagabend in der ZIB2 sagte. Auch Bundessprecher Werner Kogler warnte, dass „zig Milliarden“ in veraltete Infrastruktur fließen würden – darunter auch „Autobahnpisten durch Naturschutzgebiete“. Fakt ist: Die vor rund zehn Jahren kalkulierten zwei Milliarden Euro reichen längst nicht mehr. Zwar geht man im Verkehrsministerium intern davon aus, dass Kosten um die zwei Milliarden Euro mittlerweile illusorisch seien, für die von den Grünen ventilierte Summe von sechs Milliarden Euro gibt es allerdings keine Bestätigung.

Welche Rolle spielt der finanzielle Aspekt der S1 in der derzeit angespannten Budgetsituation?

Direkt keine. Indirekt aber sehr wohl. Denn in Österreich ist für die Erhaltung, den Bau und den Betrieb des hochrangigen Straßennetzes die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (Asfinag) zuständig. Und diese finanziert sich – anders als deren Pendant in Deutschland – nicht aus dem Bundesbudget, sondern durch eigene Einnahmen und am Kapitalmarkt. Vereinfacht erklärt: Die Bundesregierung beschließt, welche Projekte gebaut werden sollen. Die Asfinag kümmert sich um die Planung und Finanzierung. Die Mittel kommen zum Teil durch Mauteinnahmen und Erlösen aus der Autobahnvignette. Zum anderen Teil nimmt die Asfinag aber auch Kredite auf. Und für diese haftet dann der Staat.

Als Eigentümer haftet der Bund aber nicht nur für Kredite, er lässt sich jährlich auch Dividenden auszahlen. Im Jahr 2020 waren das 200 Millionen Euro, im Jahr darauf 215 Millionen und 2023 flossen 235 Millionen von der Asfinag ins Bundesbudget. Würde man diese Dividende bei einem Megaprojekt wie der Lobautautobahn aussetzen? Und würden diese Gelder dann einnahmenseitig im Bundesbudget fehlen?

„Wir können und wollen diesem Prozess nicht vorgreifen. Derzeit gilt die volle Konzentration des Finanzministeriums der Budgetkonsolidierung und den Jahren 2025/26“, heißt es aus dem Büro des Finanzministers Markus Marterbauer (SPÖ). Eine Pressesprecherin der Asfinag antwortet auf profil-Anfrage: „Die Finanzierung von einzelnen Bauvorhaben hängt immer auch vom Umfang des gesamten mittelfristigen Bau- und Erhaltungsprogramms ab – es geht hierbei also um eine langfristige und dennoch den Verfahrensständen angepasste, flexible Unternehmensfinanzierung“, so die Sprecherin. Sollte die Asfinag für Projekte wie die S1 weitere Gelder brauchen, werde diese „durch Begebung von Anleihen auf dem Kapitalmarkt gedeckt“, heißt es von der Autobahngesellschaft.

Hankes nächste Schritte

Zunächst muss Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ) auf den Ausgang des Verfahrens am EuGH warten. Im – aus seiner Sicht – ungünstigsten Fall, könnte nachträglich eine strategische Umweltprüfung notwendig werden. Zwar geht die EU-Richtlinie eigentlich von der umgekehrten Reihenfolge aus, die Umweltprüfung im Nachhinein wäre aber grundsätzlich möglich. Entscheidet der EuGH, dass eine solche Prüfung nicht notwendig ist, muss Hanke das Projekt wieder „priorisieren“ – also dafür sorgen, dass sich dieses wieder im Asfinag-Rahmenplan findet. Dann könnte diese mit den Detailplanungen beginnen und – sofern alle Genehmigungen vorliegen – mit dem Bau starten.

Innerhalb der Koalition muss Hanke jedenfalls nicht mehr mit Gegenwind rechnen. Immerhin hat man das Vorhaben im Koalitionsprogramm bereits außer Streit gestellt. Heikel könnte es politisch aber dennoch bleiben, egal, ob das Projekt gebaut wird oder nicht: „Das Timing zwischen Projektverlauf und Wahlen wird ausschlaggebend sein. Die Grünen scheinen jedenfalls zu profitieren: inhaltlich, wenn der Tunnel nicht gebaut wird. Strategisch, wenn der Tunnel gebaut wird, uns sie es in ihrer politischen Kommunikation nützen können“, sagt die Politkwissenschafterin Praprotnik.

Hinter vorgehaltener Hand ist auch den Akteuren im Verkehrsministerium klar: Dieses Projekt wird zumindest noch eine Generation beschäftigen.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.