Luisa und Viola: Wie Codes Frauen vor Gewalt schützen sollen
„Ist Luisa hier?” Fremde Hände am Körper, unangenehmes Annähern, aufdringliche Sprüche. Wer solche Situationen in einem Club erlebt, kann an der Bar nach Luisa fragen. Denn Luisa ist ein Code, der das Personal in Alarmbereitschaft versetzt. So zumindest der Plan. Was hier einfach klingt, ist aber kompliziert, denn hinter der Kampagne „Luisa ist hier” steckt im besten Fall ein Handlungsablauf, bei dem das Personal genau weiß, was zu tun ist, im schlechtesten aber Überforderung. Grund dafür sind fehlende Konzepte für die Gastronomie.
Erfunden wurde Luisa in Deutschland. Der Frauennotruf Münster entwickelte die Kampagne für Frauen, die sich belästigt fühlen und Hilfe benötigen. 2019 waren 63 Clubs und Bars bundesweit an der Initiative beteiligt. Zur selben Zeit klebte auch der erste Luisa-Sticker an der Eingangstür eines Tiroler Lokals und signalisierte damit: Luisa ist hier. Inzwischen sind 18 Clubs und Eventlocations, 21 Bars sowie 13 Cafés in ganz Tirol beteiligt. Auch Schwimmbäder und Saunen wollen mitmachen.
Viel wichtiger als der Code sei die gesamte Awareness-Arbeit, also die Weiterbildung der Betriebe durch Schulungen, um im Notfall zu wissen, was zu tun ist, erklärt Emma Egger, Projektleiterin von „Luisa ist hier” in Tirol. Bei den kostenlosen Schulungen, die im Rahmen der Innsbruck Club Commission angeboten werden, geht es um Ursachen, Formen und Auswirkungen von sexualisierter Gewalt und Substanzkonsum, aber auch Rechte der Gastronom:innen selbst, wie beispielsweise das Hausrecht, betont Egger. Zudem werden Betriebe aufgefordert, ihre Erfahrungsberichte mittels Protokollen festzuhalten und einzusenden. Das Nachtleben biete durch seinen niederschwelligen Zugang Orte des Loslassens, der Identitätsstiftung und der gemeinschaftlichen Erfahrung, die aber zum Teil in den Strukturen des Alltags verstrickt bleiben und Diskriminierungsformen zeigen, erklärt Egger.
In Wien hat Luisa noch kaum Fuß gefasst
In Tirol ist Luisa eine Marke und das wird genutzt: Die Bekanntheit liefert einen Wiedererkennungswert, der dabei helfe, sich zu vernetzen und breiter gegen Gewalt aufzustellen. In der Wiener Gastro-Szene kennt Luisa kaum jemand. Der Grund dafür sind einige Barrieren, an denen vor allem Kollektive und Vereine scheitern.
Möchte ein Club den Hilfe-Code anbieten, muss bezahlt werden: 100 Euro kostet die Luisa-Lizenz pro Betrieb. Der Betrag sei aber nicht das Problem, wenn es nach den Wiener Clubs geht. „Um Awareness weiter zu verbreiten, müssten solche Angebote und Initiativen zugänglich und niederschwellig sein. Gerade für gemeinnützige Vereine ist es sonst schwierig, sich zu beteiligen“, sagt ein Wiener Kollektiv dem profil. Laut einem Informationsschreiben schließt der Frauennotruf Münster die Übernahme der Marke für ehrenamtliche Vereine aus. Mit der Wiener Nachtgastronomie, die unter anderem aus zahlreichen Kollektiven und Vereinen besteht, ist das schwer vereinbar. In Graz distanziert man sich inhaltlich vom deutschen Vorreiter und lehnt sich mit „Luisa ist da” nur namentlich am Original an. Die Voraussetzung zum Mitmachen ist ein Infotermin.
Auch die reine Konzentration auf Frauen ist mit einer diversen Partyszene nicht vereinbar. Sebastian Zack geht mit seinem Verein S.O.U.L daher einen anderen Weg. Der Veranstalter von Sex-Positive-Partys setzt auf einen eigenen Code, der sich nicht nur an Frauen als potenzielle Betroffene richtet. „Bei uns gibt es Berta und Berta ist für alle da“, erzählt er dem profil. Das Einzigartige an Berta: Mit „alle” sind nicht nur Betroffene jeglicher Art von Diskriminierung, sondern auch potenzielle Täter gemeint, die von den sogenannten „Schutz(b)engerln”, also dem Aawareness-Team der Veranstalter, betreut werden können. Eine Lizenz für die Verwendung gibt es auch bei Berta. Beschränkungen für die Beteiligung allerdings nicht.
Gefahr für Frauen
Ob es nun Codes wie Luisa oder Berta sind, oder andere Konzepte angewendet werden, Fakt ist: Die Sicherheit von Frauen in Österreich ist trotz zivilgesellschaftlicher und zum Teil staatlicher Kampagnen gefährdet. Aktuelle Zahlen bestätigen das: 17 Femizide und 33 Mordversuche sind es laut den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern allein dieses Jahr. Mehr als jede dritte Frau ist von körperlicher Gewalt betroffen.Trotzdem braucht es für die Thematisierung von Gewalt meist Anlässe, wie die die kürzlich veröffentlichten Vorfälle unter dem Hashtag #TechnoMeToo zeigen. Es geht um Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe und psychische Gewalt. Wie so oft lautet der Überbegriff Machtmissbrauch.
Warum es nur an der Oberfläche kratzt, könnte an einer fehlenden langfristigen Strategie für Österreich liegen. Aus dem jüngsten Bericht des Rechnungshofs zu „Gewalt- und Opferschutz für Frauen“ geht hervor, dass Österreich in Sachen Gewaltprävention – vor allem auf Regierungsebene- einige Defizite aufweist. Notwendig wären unter anderem Verbesserungen bei Schulungen für die Justiz, Erweiterungen der Öffnungszeiten und Erreichbarkeit von Gewaltambulanzen sowie Tools für die Einschätzung von Gefährdern.
Warum es nicht immer eine Luisa braucht
Code oder nicht - bei den Tools kommt es immer auf die Community an, so Martina Brunner, Geschäftsführerin der Vienna Club Commission. Die Veranstalter, Kollektive und Clubs müssen individuell entscheiden, was genau es für ihre Zielgruppe braucht. „Wir sind nicht die Clubpolizei und wollen auch nichts vorschreiben”, so Brunner. Sie verstehe aber, dass manche Clubs Codes verwenden. Oft geht es hierbei darum, dass es schwierig ist, einen sexuellen Übergriff, der gerade erst stattgefunden hat, klar zu benennen. Außerdem ist es wichtig zu fragen „Wie geht es zum Beispiel nach dem Aussprechen eines solchen Codes weiter?” Die Antwort liegt im jeweiligen Leitfaden, der ausnahmslos hinter einem solchen Tool stecken muss. Derzeit arbeitet die Commission intensiv an einem, ganzheitlichen Awareness-Programm mit Workshops zu jeder Art von Diskriminierung für das Club- , Veranstaltungs- und Barpersaonal. Am 07. September werden im Rahmen des Waves Festivals erstmals Daten zum Thema Sicherheit im Wiener Nachtleben veröffentlicht: Insgesamt 2000 Personen nahmen an der Umfrage teil, die Club Commission will mögliche Lösungsansätze daraus ziehen.
Am liebsten wäre uns eine Gesellschaft, in der unsere Arbeit nicht notwendig ist.
Abseits vom Code-Wildwuchs in Wien gibt es aber auch ganz praktische Kritikpunkte an dem Konzept. Willi Hejda vom Awareness-Kollektiv AWA* (AWA Stern) hält die Codes für teilweise ungenügend. In Münster hat man den Namen „Luisa” vor allem wegen des Kopftons gewählt, der in lauter Umgebung gut zu hören sein soll. Dass das in lauten Bars möglich ist, bezweifelt Hejda. „Meistens ist so viel los, dass erst einmal über die halbe Theke geschrien werden muss.” Dazu kommen die prekären Arbeitsbedingungen und die hohe Fluktuation in der Gastronomie, durch die ein dauerhaft geschultes Personal gar nicht erst gewährleistet werden kann. Damit können sich potentiell Betroffene nie sicher sein, ob sie mit ihrem Code auf informiertes Barpersonal treffen.
Als Alternative zu den Codes schlägt Hejda Infopoints vor, die sich bei größeren Veranstaltungen bewährt hätten. „Bei solchen Anlaufpunkten trinkt man ein Glas Wasser, holt sich Sticker oder Traubenzucker, gleichzeitig gibt es dort die Zeit und Ruhe auch Übergriffe zu melden.” Der Vorteil daran sei, dass nicht sofort signalisiert werde, dass es um die Meldung eines Übergriffs geht.
Noch hat Awareness-Arbeit in der Gastronomie keine Lobby. Laut Hejda fehle der Markt für Gewaltschutz in Österreich völlig, das führe dazu, dass eine gewisse Qualität der Sicherheitskonzepte nicht gestellt werden kann und die Branche diesbezüglich noch nicht ernst genommen wird. Umso wichtiger ist es, dass auch zivilgesellschaftlich „aware” also bewusst gehandelt wird. „Am liebsten wäre uns eine Gesellschaft, in der unsere Arbeit nicht notwendig ist”, so Hejda. Warum das Thematisieren sowohl auf Veranstaltungen als auch danach wichtig ist, zeigt die aktuelle Situation umso mehr: „Was jetzt durch Techno- Me-Too an die Oberfläche kommt, sind Missstände, die sich seit Jahren ziehen und über die nicht gesprochen wird”.
Mitarbeiterin des Monats: Dr. Viola
Zurück nach Tirol. Im Landesklinikum Innsbruck können Frauen, die von Gewalt betroffen sind, für schnelle und diskrete Hilfe nach „Dr. Viola” fragen. Zwar gibt es Dr. Viola sogar im Mitarbeiter:innenverzeichnis des Landeskrankenhauses, um eine Ärztin handelt es sich hierbei aber nicht. Denn auch Viola ist ein Code - einer, der funktioniert. Sobald dieser ausgesprochen wird, setzt sich eine Handlungskette in Gang, bei der das gesamte medizinische Personal Bescheid weiß. Dass das mittlerweile so möglich ist, liegt an einem umfassenden Opferschutzprogramm, denn der Code kommt zuletzt, so Dr. Thomas Beck, Initiator des Projekts und Leiter der Opferschutzgruppe der Klinik. Im Optimalfall ergänze der Code einen intakten Handlungsablauf. Um diesen stetig zu verbessern, werden jährlich alle Notaufnahmen geschult. Sechs Workshops werden derzeit angeboten, die auch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu verpflichtet teilzunehmen, Security-Personal eingeschlossen. „Nichts ist eine größere Katastrophe als fehlende Systeme hinter den Codes“, so Beck.
Die Scham ist groß
Dass Dr. Viola gerade in Spitälern Anklang findet, ist kein Zufall. Gewaltschutz spiele im österreichischen Gesundheitssystem eine zentrale Rolle, denn um Hilfe zu erhalten wenden sich Opfer von häuslicher Gewalt am häufigsten an Gesundheitseinrichtungen, erklärt das Sozialministerium. Seit August 2021 wurde in Tirol 61 Mal nach Dr. Viola verlangt, neunmal wurde der Code als Notruf, beispielsweise bei einer Verfolgung, verwendet. Wie gut er tatsächlich funktioniert, lässt sich allerdings nicht sagen, denn Notrufe wegen häuslicher Gewalt gab es auch schon vor der Einführung von Dr. Viola. Um den Erfolg zu messen, wird derzeit an einer Evaluierungsmethode gearbeitet. Neben dem Landesklinikum Innsbruck findet man Dr. Viola in Hall, Schwaz und St. Johann.
Gerade beim Thema Gewalt gibt es laut Beck keine schnellen Lösungen. Medizinisches Personal müsse verstehen, warum die Hemmschwelle der Mitteilungen auf Patientenseite so groß sei. „Alle internationalen Studien weisen darauf hin, dass Betroffene vom Personal angesprochen werden wollen, weil die Scham, dies selbst zu tun, so immens groß ist“. Daher gab es in Innsbruck vor dem Code bereits eine 3-Fragen-Methode, mit welcher schnell eruiert werden kann, ob es sich um Gewaltbetroffene handelt. Die Strategie spricht für sich: 79,4 Prozent der Befragten empfinden das Instrument als „geeignet und leicht anwendbar”.
Wien prüft Dr. Viola
Im Zuge eines Workshops hat es Dr. Viola bereits im Juni einmal nach Wien geschafft. Projektleiter Thomas Beck stellte das Tiroler Opferschutzprogramm in der Bundeshauptstadt vor. Eine mögliche Anwendung des Codes für Kliniken in Wien werde nun geprüft, so Erika Baumgartl vom Wiener Gesundheitsverbund.
Was es strukturell braucht, um Opferschutz zu verbessern? Ressourcen. „Auch bei großem Engagement des Personals kann Opferschutz nicht nebenbei funktionieren”, sagt Beck. Ein erster Schritt wären bundesweite Schulungen zum Thema häusliche Gewalt. Was Patient:innen bis dahin konkret tun können? „Ganz einfach, und doch so schwer, sich Hilfe und Unterstützung holen. Krankenhäuser sind dafür ein geeigneter Ort“, ermutigt Beck.
Hilfe für Betroffene von Gewalt gibt es hier:
Frauenhelpline (täglich 24h erreichbar, anonym): 0800 / 222 555
Frauennotruf (täglich 24h erreichbar, auf Wunsch anonym): 01 71 71 9
Männerberatung (24h erreichbar, anonym): 0800 / 400 777
Telefonseelsorge (24h erreichbar, vertraulich): 142
HelpCh@t: www.haltdergewalt.at
Notrufnummer für Gehörlose (Mo- So, 0-24 Uhr, per SMS): 0800 133 133
Frauenhäuser Österreich : https://www.aoef.at/index.php/frauenhaeuser2
Gewaltschutzzentren Österreich: https://www.aoef.at/index.php/gewaltschutzzentren