Ulrike Lunacek
"Ein Prozent Flüchtlinge in jede EU-Gemeinde"

Lunacek: "Ein Prozent Flüchtlinge in jede EU-Gemeinde"

Ulrike Lunacek über grüne Kurz-Fans, Obergrenzen für Flüchtlinge und Untergrenzen für die Wahl.

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INTERVIEW: CLEMENS NEUHOLD

profil: Ihr Wahlziel? Ulrike Lunacek: Zweistellig.

profil: Schwer bei der auf Zuwanderung und Asyl fokussierten Themenlage. Lunacek: Das wünscht sich Kurz. Wir werden auch andere Themen setzen. Seit US-Präsident Donald Trump den Klimavertrag aufgekündigt hat, ist zum Beispiel unser Kernthema Umwelt wieder höchst aktuell.

profil: Abgesehen davon, dass Sie die einzige Frau sind - wie wollen Sie sich sonst noch abheben von den vier Gegenkandidaten? Lunacek: Mit unserem Einsatz für Weltoffenheit und ein proeuropäisches Österreich. Und mit der Ansage: Wir Grünen machen sicher nicht blau. Viele in der SPÖ schätzen es überhaupt nicht, dass die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ nicht mehr ausschließt. Und ich hoffe, diese Menschen wählen jetzt uns.

profil: Vor dem Beitritt 1995 stimmten die Grünen gegen den EU-Beitritt. Jetzt wollen Sie die proeuropäischste Kraft sein? Lunacek: Das ist 23 Jahre her. Ich habe im EU-Parlament bewiesen, dass sich das ausgeht.

profil: Ist es automatisch antieuropäisch, wenn man wie ÖVP aber auch SPÖ das eigene Sozialsystem stärker schützen will? Lunacek: Gemeinsam beschlossene Regeln gehören eingehalten. Aber die ÖVP unter Sebastian Kurz ist in eine Richtung weg vom gemeinsamen Europa abgedriftet.

profil: Die Abneigung der Grün-Sympathisanten gegenüber Kurz ist nicht so eindeutig wie gegenüber FPÖ-Chef Strache. Lunacek: Ich war selbst in der Entwicklungspolitik tätig und kenne dort viele Menschen aus dem christlich-sozialen Bereich, die nichts mit der Kurz' Politik anfangen können - bis hin zu bekennenden ÖVPlern wie dem früheren Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad, den stört, wie die Regierung mit Flüchtlingen umgegangen ist.

profil: Ihre Gegner werden Sie im Wahlkampf als Asyl-Träumerin darstellen. Lunacek: Würden Sie Christian Konrad als Träumer bezeichnen?

Wenn Menschen nicht unter Krieg oder Hunger leiden, gehen sie nicht aus ihrer Heimat weg.

profil: Dass die Balkanroute auf Betreiben von Kurz geschlossen wurde, scheint selbst Grün-Wählern nicht zu missfallen. Lunacek: Die Art und Weise war nicht in Ordnung - ohne Deutschland, Griechenland, die EU-Kommission einzubeziehen. Das macht man so nicht als Teil dieser EU.

profil: Sie kritisieren die Art der Schließung, würden die Route aber nicht wieder öffnen? Lunacek: Wie gesagt: Mir ging es nicht um das Ob, sondern das Wie. Es braucht Planbarkeit. Durch die abrupte Schließung war diese für Griechenland und viele NGOs nicht gegeben.

profil: Gibt es eine de facto Obergrenze für Europa? Lunacek: Wenn Menschen nicht unter Krieg oder Hunger leiden, gehen sie nicht aus ihrer Heimat weg. Es braucht auch unsererseits ein Umdenken: Erstens braucht es ein striktes Waffenexportstopp in Krisenländer und zweitens müssen wir endlich aufhören, durch unsere Handels- und Wirtschaftspolitik die Lebens- und Erwerbsgrundlage dieser Menschen zu zerstören - zum Beispiel Fischgründe vor den Küsten Afrikas.

profil: Wenn der Zustrom über das Mittelmeer und Italien wieder so stark Anstiege wie 2015 über den Balkan, sollte man den Brenner schließen? Lunacek: Sicher nicht! Das wäre eine historische Zäsur. Ich habe in Innsbruck studiert und weiß, was die geschlossene Grenze für Nordund Südtiroler bedeutete.

profil: Und was würde es für Innsbruck bedeuten, wenn dort Tausende junge Männer stranden? Lunacek: Für Bozen gilt das aber genauso! Entscheidend ist deshalb die faire Verteilung der Flüchtlinge auf ganz Europa, die massive Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort und die Möglichkeit von Botschafts-Asyl, wie vor der Zeit der schwarz-blauen Regierung, die das abgeschafft hat. Hier kann es nur eine gemeinsame europäische Lösung geben.

Patriarchat und Rassismus sind zwei verschiedene Dinge. Wir thematisieren das.

profil: Die Osteuropäer verweigern sich hartnäckig. Lunacek: Es läuft ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Tschechien und Ungarn. Nun ist vor allem die Europäische Volkspartei gefordert, die die meisten Bürgermeister in den EU-Staaten stellt, die Länder mit Best-practice-Beispielen zu überzeugen. Wenn jede Gemeinde etwa nur ein Prozent der Bevölkerung an Flüchtlingen aufnimmt, können die Flüchtlinge aus Italien und Griechenland locker auf ganz Europa verteilt werden.

profil: Warum tun sich die Grünen so schwer, die problematischen Aspekte der Zuwanderung zu thematisieren? Im grünen Parteiprogramm von 2001 ist das Ziel festgeschrieben, "das patriarchalische Gesellschaftsmodell" zu bekämpfen. Wer das muslimische Patriarchat in Flüchtlings-Communities offen anspricht, steht bei den Grünen rasch unter Rassismusverdacht. Lunacek: Patriarchat und Rassismus sind zwei verschiedene Dinge. Wir thematisieren das. Und übrigens: Patriarchat gibt es auch bei uns, wie ich beim Aufbau des ersten Innsbrucker Frauenhauses 1981 erleben musste.

profil: Zweites Beispiel: Mindestsicherung. Die Grünen haben Kürzungen in Wien verhindert. Wie lange werden die Steuerzahler noch solidarisch in den Topf einzahlen, wenn immer mehr Ausländer und Flüchtlinge Geld daraus beziehen? Lunacek: Gerade das Modell der Wiener Mindestsicherung setzt auf Arbeitsanreize. Ziel ist es, die Menschen so rasch als möglich in den Arbeitsmarkt zu führen.

profil: Das passiert aber nicht - ganz im Gegenteil, wie eine Wifo-Studie gezeigt hat. Lunacek: Das würde bei anerkannten Flüchtlingen besser funktionieren, wenn sie bereits während ihrer jahrelangen Verfahren arbeiten dürften. Wie etwa in Belgien, wo sie ab dem vierten Monat einer Tätigkeit nachgehen dürfen.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.