Der steirische Landeshauptmann geht lieber in Lederhosen in Jesolo spazieren, als im Anzug in Alpbach über Europa zu diskutieren. Eine Begegnung auf der Piazzetta Casa Bianca.
Die Luft an der Oberen Adria riecht in dieser Spätaugust-nacht nach Meer und Pinien und hat immer noch etwas Liebliches, doch der herannahende September hat ihr die Sommerhitze bereits entzogen. Über die rasterförmig angelegten Straßen und Gassen von Jesolo spazieren die verbliebenen Badegäste bereits vielfach in geschlossenen Schuhen und langen Hosen zwischen den grellen Aufschriften „Bibite“, „Snack“ „Pizza“, „Laguna“ und „Morena“. Mario Kunasek jedoch trägt in Jesolo kurze Trachtenlederhose.
Kunasek, in der ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz freiheitlicher Verteidigungsminister, seit vergangenem Dezember erster freiheitlicher Landeshauptmann der Steiermark, steht in seiner Funktion als Tourismusreferent seines Bundeslandes auf der Piazzetta Casa Bianca vor zwei von grünen Steiermark-Bannern flankierten Holzstandln. Zwischen Bier und Wein soll hier sein Bundesland beworben werden. Zumindest ist das der offensichtliche Grund, warum Mario Kunasek das Forum Alpbach schwänzt, 400 Kilometer weiter im Norden, in Tirol, wo die Luft schärfer ist und seit 1945 halb Europa zusammenkommt, um über die Zukunft des Kontinents zu diskutieren.
Dieser Tage hätte dort der traditionelle Steiermark-Empfang stattfinden sollen; zu diesem lädt der Club Alpbach Steiermark, der mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern sowie einstigen Stipendiaten besetzt ist. Der gerade amtierende Landeshauptmann ist üblicherweise Gast und auch eine Art Patron der Veranstaltung – die Rechnung geht auf den Landesvater. Der blaue Landeshauptmann Kunasek, aktueller Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, hat es allerdings vorgezogen, weder zu kommen noch zu zahlen.
Kunaseks Büro ließ bereits im Jänner wissen, dass er am Empfang in Alpbach kein Interesse habe. Die finanziellen Mittel seien begrenzt. Auch gab es unter Kunasek keine Mittel für die wissenschaftlichen Stipendiaten des steiermärkischen Alpbachklubs, sagt Klaus Poier, Politikwissenschafter, Professor der Universität Graz und Generalsekretär des Klubs. Rund ein Drittel weniger Geld habe man deshalb heuer für Wissenschafter, Doktoranden und Stipendiaten gehabt. „Wir haben es aus Mitteln ÖVP-geführter Ressorts sowie über andere Sponsoren, insbesondere der Wirtschafts- und Arbeiterkammer, noch irgendwie hingekriegt, diesen Ausfall auszugleichen“, sagt Poier. „Heuer zumindest.“ Die Entwicklung sei bedauerlich, weil die Steiermark ein wichtiger Wissenschaftsstandort ist und bisher traditionell eine gute Verankerung im Forum Alpbach hatte. „Wir hoffen, dass unser Landeshauptmann im nächsten Jahr nach Alpbach kommen wird und unser Programm für die jungen Steirerinnen und Steirer unterstützt“, sagt Poier.
In Jesolo hatte Kunasek mit dem dortigen Bürgermeister eine riesige Sandskulptur auf der Piazza Brescia, wenige Schritte von den Steirerstandln, eröffnet. Sie zeigt eine Art Collage der Sehenswürdigkeiten der Steiermark: den Grazer Uhrturm, Weinreben und einen Kürbis. Die Installation passt gut zur Alltagsexzentrik, die den Charme von Jesolo ausmacht, mit seinen überdimensionierten Nutella-Gläsern vor den Waffel-Budeln, Waffen-Shops und den rosa Kühen aus Plastik, die man vor Eissalons erblicken kann. Laut der Gemeinde Jesolo bestehe das vergängliche Kunstwerk noch einige Tage, danach werde das steirische Sandmandala abgetragen. An der Piazzetta Casa Bianca könne man typische Speisen verkosten, zum Beispiel „insalata di fagioli Käfer“ (Käferbohnensalat).
Es ist 23 Uhr, in dem kleinen Grüppchen, das sich um das kleine Standl und um Kunasek drängt, scheinen mehr Österreicher zu sein als potenzielle italienische Gäste. Er sei seit acht Uhr auf den Beinen, klagt ein österreichischer Familienvater dem Landeshauptmann sein Leid, während der seinen gähnenden Nachwuchs im Kinderwagen betrachtet: „Den ganzen Tag Rutsche!“
Kunasek, ein redseliger Politiker, der mit offenem Blick, bar jeder Berührungsängste auf die Menschen zugeht und sichtlich gut ankommt, ist frappiert, als die profil-Reporterin sich ihm nähert. Dass sie extra aus Wien angereist ist, um mit ihm zu sprechen, verwundere ihn, er hätte gemeint, die Mittel in den Redaktionen seien begrenzt. Zunächst willigt Mario Kunasek einem Gespräch trotz später Stunde ein, wenn auch zögerlich, und wechselt von der Bar zu einem der umliegenden Tische.
Doch bei der ersten Frage, nach dem Grund, warum er hier sei und nicht in Alpbach, bricht er das Gespräch, das gar nicht richtig begonnen hatte, auch schon wieder ab. Nur so viel: Man würde hier viel mehr Menschen erreichen, so der Landeshauptmann. Den Einwand, dass es in Alpbach nicht vordergründig um Tourismus gehe, quittiert Kunasek mit weit aufgerissenen Augen und zieht von dannen. Einer der umstehenden Männer ruft: „In Alpbach sind nur Jasager!“
Beim Forum Alpbach sieht man Kunaseks Abwesenheit entspannt. Zwar ist die Steiermark traditionell stark vertreten, doch es seien nicht immer alle Politiker und Landeshauptleute da, auch von anderen Parteien nicht. Kunasek würde vielleicht nächstes Jahr das Forum besuchen, er sei jedenfalls willkommen.
Dass ein Freiheitlicher sich auf diese Weise entzieht, passt jedenfalls ins Muster. Zwar war vergangenes Jahr beim Alpbacher Abschlusspanel die FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst zugegen, wie es aus dem Forum heißt. Doch das Verhältnis der Freiheitlichen zum Forum ist seit jeher ein „Nichtverhältnis“, wie es Franz Fischler ausdrückt, von 2012 bis 2020 Präsident des Forums, einstiger ÖVP-Landwirtschaftsminister und EU-Agrarkommissar. Der liberale, proeuropäische Geist des Forums sei kein gutes Klima für die national Gesinnten, die mit der Europa-Idee nichts anfangen könnten und diese bekämpften.
„Ich würde die Sache allgemeiner sehen“, sagt Fischler. „Die Organisatoren von Alpbach müssten sich, angesichts der Tatsache, dass in ganz Europa die Rechten und Rechtsrechten an Stärke zunehmen, fragen, wie sie mit dieser Veränderung umgehen und auf welche Weise sie auch diese Menschen einbinden könnten.“ Dass die Trump-nahe Heritage Foundation heuer in Alpbach vertreten ist, die in Europa zu Vernetzung der Rechten beiträgt, begrüßt Fischler: „Das ist die Realität.“
Den Dienstag verbrachte Mario Kunasek übrigens nicht in Jesolo, sondern in Venedig, unter anderem bei Treffen mit Mitarbeitern der Österreich-Werbung. Weitere Kontaktversuche des profil per Telefon blieben unbeantwortet. Man kann nicht alle Menschen erreichen.