Mit welchem slowenischen Begriff würden Sie das Wahlergebnis zusammenfassen?
Sturm
Relativna stabilnost.
Das verstehen auch Menschen, die des Slowenischen nicht mächtig sind. Wie deuten Sie dieses relativ stabile Ergebnis?
Sturm
Die Partei, die am meisten auf Populismus setzt, hat nicht viel dazugewonnen.
Zur Person
Borut Marjan Sturm, 72, ist Historiker und Autor mehrerer Bücher. Zwischen 1992 bis 2019 stand er dem Zentralverband der Kärntner Slowenen vor. Außerdem war er Vorsitzender des Beirats für die slowenische Volksgruppe im Bundeskanzleramt. In jungen Jahren betätigte sich Sturm als Volksgruppen-Aktivist. So schrieb er etwa auf die Ortstafel von Hermagor den slowenischen Namen dazu und landete deshalb vor Gericht, wurde allerdings freigesprochen. Später setzte er auf Dialog, sogar mit dem Kärntner Heimatdienst, der als „patriotische Bürgerinitiative“ stets gegen zweisprachige Ortstafeln und Schulen hetzte. Sturm wirkte maßgeblich am – 2011 besiegelten - Kompromiss im Streit um zweisprachige Ortstafeln mit. Für diese Rolle erhielt er im Jahr darauf das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik.
Gemeint ist die FPÖ. Im Wahlkampf kochte die FPÖ-Jugend mit einem „SPÖ abwählen, Slowenisierung Kärntens stoppen!“- Posting alte Ressentiments auf. Was löste der Slogan bei Ihnen aus?
Sturm
Ich habe gehofft, dass dieses antislowenische Bashing nicht mehr so wirksam ist wie zu Zeiten Jörg Haiders. Tatsächlich hat sich herausgestellt, dass sich bis hin zum Kärntner FPÖ-Chef Erwin Angerer alle distanzieren. Meine Schlussfolgerung ist: Die Politik des Dialogs und der 2011 errungene Kompromiss in der Ortstafelfrage haben dazu beigetragen, dass sich das Klima im Lande wesentlich verbessert hat.
Slowenenvertreter wollten vor der Wahl keine Partei empfehlen. Warum?
Sturm
Ich finde das völlig richtig, weil es unter den Kärntner Slowenen genauso Konservative, Liberale, Grüne und Rote gibt wie in der Mehrheitsbevölkerung. Die Slowenenfrage kann nicht mehr politisiert werden.
Was weiß die junge Generation überhaupt noch von der Geschichte der Kärntner Slowenen?
Sturm
Sie weiß kaum etwas, und das Wenige recht oberflächlich. Der historische Hintergrund für die Phrase „Es gibt kein Slowenisch Kärnten“ ist der Kampf der Slowenischen Befreiungsfront, der Partisanenbewegung, im Zweiten Weltkrieg, der es um ein Slowenisch Kärnten ging. Die Gegenposition lautete: „Es gibt kein Slowenisch Kärnten“. Das ist aber 70, 80 Jahre her. Die Enkelgeneration schnappt das irgendwo auf und glaubt, damit kann man noch etwas gewinnen. Das ist Gott sei Dank nicht mehr der Fall.
Anlass für das FPÖ-Posting war eine Debatte über die zweisprachige Gerichtsbarkeit in Kärnten. Was hat es damit auf sich?
Sturm
Jeder EU-Bürger hat vor Gericht das Recht, in der eigenen Sprache zu sprechen. Bürger der Republik Slowenien bekommen einen Dolmetscher zur Seite gestellt, wenn sie in Kärnten zum Beispiel nach einem Verkehrsunfall vor dem Bezirksgericht stehen. Laut Staatsvertrag sind die Gerichtsbezirke Bleiburg, Eisenkappl und Ferlach zweisprachig. Allerdings stammen diese Sprengel aus einer Zeit, als die Menschen mit dem Pferdewagen unterwegs waren, mittlerweile leben wir in einer Welt, die viel mobiler ist. Das Justizministerium wollte kleine Gerichte schließen und statt dessen Völkermarkt, Klagenfurt und Villach zu Gerichtsbezirken machen, wo auch slowenisch verhandelt wird. Dazu gibt es unterschiedliche Positionen und eben auch den Versuch, ein Slowenenproblem daraus zu machen. Aber das greift nicht mehr.
Der Kärntner Heimatdienst, der früher am lautesten gegen die slowenische Volksgruppe Stimmung machte, wird nun vom FPÖ-Politiker Andreas Mölzer geleitet. Welche Gesprächsbasis haben Sie mit ihm?
Sturm
Es gibt für mich eine Bedingung, und das war auch schon bei Josef Feldner so (Mölzers Vorgänger, Anmerkung): Wenn ihr gegen die slowenische Volksgruppe hetzt, gibt es keinen Dialog. Aber auf einer konstruktiven Basis können wir über alles diskutieren. Mölzer ist nicht nur ein Rechter, sondern auch ein Verfechter eines Europas der Vaterländer. Er hat überrissen, dass Slowenien ein Teil davon ist. Das heißt aber nicht, dass ich in allen anderen ideologischen Positionen mit ihm auch übereinstimme.
Können Sie gut mit ihm streiten?
Sturm
Es ist durchaus interessant, mit ihm zu diskutieren. Er ist kein Blöder, auf Deutsch gesagt.
Bei dem Runden Tisch, den der Kärntner Heimatdienst zum FPÖ-Posting einberufen hat, wollte der Rat der Kärntner Slowenen nicht dabei sein, mit der Begründung, der Heimatdienst sei 1958 für das Ende des verpflichtenden zweisprachigen Unterrichts eingetreten. Verstehen Sie den Standpunkt?
Sturm
Überhaupt nicht. Ich frage mich, was der Vorsitzende Valentin Inzko früher als Hoher Repräsentant im Auftrag der EU und der Vereinten Nationen in Bosnien und Herzegowina gemacht hat. Seine Aufgabe war es, Konfliktparteien, die noch bis zu den Ellbogen im Blut standen, zusammenzuführen. Sobald er an die Karawankengrenze kommt, ist das vergessen? Ich halte es für völlig absurd, dem Heimatdienst etwas vorzuwerfen, was vor 65 Jahren passiert ist, wobei nicht einmal klar ist, welche Rolle er damals genau gespielt hat.
Der Rat der Kärntner Slowenen fordert auch eine Novellierung des Minderheitenschulgesetz. Was würde diese bringen?
Sturm
Derzeit gilt das Anmeldeprinzip. Innerhalb eines klar definierten Territoriums können Eltern ihre Kinder zum zweisprachigen Unterricht anmelden. Darüber hinaus gibt es nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die Möglichkeit, bei Bedarf außerhalb des Geltungsbereichs des Minderheitenschulwesens zweisprachigen Unterricht anzubieten. Momentan ist etwa die Hälfte der Kinder angemeldet. Auch viele Eltern aus der Mehrheitsbevölkerung befürworten den zweisprachigen Unterricht, weil sie es in einem gemeinsamen Europa für gut halten, die Sprache der Nachbarn zu können. Es gibt aber auf der anderen Seite Stimmen, die meinen, es sollte nicht nur Minderheitenschulen geben, sondern in bestimmten Gebieten regionale Schulen mit zweisprachigem Unterricht. Ich gehöre nicht dazu. Mir gefällt die momentane Politik besser, weil der Willen der Bevölkerung zählt und der Wille Jahr für Jahr steigt.
Für viele Junge ist das Slowenische die Sprache der Großeltern. Welche Rolle spielt es noch im Kärntner Alltag?
Sturm
Ich bin Jahrgang 1951, für mich hat es keine zweisprachige Schule mehr gegeben. Trotzdem bin ich slowenisch aufgewachsen, weil es damals, anders als heute, eine funktionale Umgangssprache war. Die Modernisierungsprozesse machen vor der Volksgruppe natürlich nicht Halt, aber ich bin der Meinung, dass die Sprache nicht stirbt, wenn wir es nicht zulassen. Allerdings müssen wir sie von der Blut- und Boden-Mystik entkoppeln und als eine europäische Amtssprache begreifen. Auch die slowenische Volksgruppe muss diesen Emanzipationsprozess machen.
Der Kampf um zweisprachige Ortstafeln wurde über Jahrzehnte erbittert geführt. Etwa 800 hätten es sein müssen, bis dato sind es 182. Wie ging er aus Ihrer Sicht aus?
Sturm
Das Problem ist relativ einfach. Die Unterzeichner des Staatsvertrags - Russland, Amerika, Frankreich und England - haben zur Umsetzung des Artikel 7 nie Stellung bezogen, sondern diese Österreich überlassen. 1964 wurden die Absätze 2, 3 und 4 dieses Artikels in den Verfassungsrang erhoben. Der Verfassungsgerichtshof hat die Regelung der Ortstafelfrage als zu restriktiv empfunden und bei einem slowenischen Bevölkerungsanteil von 10 Prozent zweisprachige Ortstafeln vorgeschlagen. Aber er ist nicht der Gesetzgeber; im Parlament einigte sich eine Zweidrittel-Mehrheit auf 17,5 Prozent. Das kann man jetzt restriktiv finden oder auch nicht. Wenn man sich auf Prozente einlässt, muss man sich auf einen Wert verständigen. Mir ist darum gegangen, die Luft aus dem Thema, das so politikstiftend war, zu lassen. Deshalb war ich für eine Öffnungsklausel, die den Gemeinden heute das Recht einräumt, im Konsens weitere zweisprachige Ortsschilder aufzustellen. Einige haben davon auch schon Gebrauch gemacht.