Martin Balluch tritt für die Liste Pilz an

Martin Balluch: „Ich fahre immer die schwächsten Autos“

Die Justiz warf ihm die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Der Tierschützerprozess geriet zum Skandal. Am Ende standen lauter Freisprüche. Martin Balluch war finanziell ruiniert. Nun kandidiert er für die Liste von Peter Pilz. Es ist sein zweiter – wenig aussichtsreicher – Anlauf in die Politik. profil traf den unerbitterlichen Aktivisten im Wiener Erholungsgebiet Lobau.

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profil: Wann haben Sie Peter Pilz, für dessen Liste Sie nun kandidieren, eigentlich kennen gelernt? Balluch: Das war im Gefängnis. Ich war 2008 dreieinhalb Monate in Untersuchungshaft, und er hat mich dort besucht. profil: Wie darf man sich ein Treffen an diesem nicht gerade lauschigen Ort vorstellen? Balluch: In Haft ist alles überraschend, weil sich niemand darum kümmert, dass man etwas erfährt. Man wird in ein Zimmer geführt, wartet ewig, wird aufgerufen, kommt in einen Raum mit Telefonhütteln und Panzerglas, plötzlich erscheint ein Besucher, und das war dann Pilz – zusammen mit einer Person, die unser Gespräch überwacht hat. profil: Man warf Ihnen und einer Reihe weiterer Tierschützer die Bildung einer kriminellen Organisation vor. Kurz danach kandidierten Sie auf einem aussichtslosen Listenplatz für die Grünen. Heute sind die Umstände insofern glücklicher, als sie in Freiheit sind, aber die politischen Erfolgschancen sind unwesentlich besser. Warum wollen Sie ins Parlament? Balluch: Die Regierung ist sehr tierschutzfeindlich; vor allem die ÖVP, wo die Agrarlobbyisten sitzen. Dagegen würde ich gerne viel Wirbel machen. Tierfabriken sind Altlasten aus der Industrialisierung der Landwirtschaft. Es fehlt der politische Wille, sie abzubauen, aber es muss passieren, nicht zuletzt deshalb, weil die Tierproduktion einen wesentlichen Anteil an der Klimakrise hat.

Wir sehen in der Türkei und in Ungarn, wie die Justiz gegen Dissidenten in Stellung gebracht wird. Genau das haben wir erlebt.

profil: Vor wenigen Monaten waren Sie im BVT-Ausschuss als Zeuge geladen. Wieder saß Pilz auf der anderen Seite und wieder ging es um den Tierschützerprozess. Was soll denn da zehn Jahre später noch herauskommen? Balluch: Pilz war bei diesem Teil nicht dabei, sondern Alma Zadic. Im Ausschuss wurde der politische Hintergrund der Tierschutzcausa beleuchtet und dabei ist sehr wohl noch einiges herausgekommen, zum Beispiel, dass zu unseren Hausdurchsuchungen Kinderpornografie-Experten beigezogen wurden, ausschließlich, um uns in der Öffentlichkeit zu desavouieren. profil: Sie vermuten hinter den Ermittlungen ein ÖVP-Netzwerk. Glauben Sie überhaupt noch an den Rechtsstaat? Balluch: Man muss daran glauben. Gäbe es ihn nicht, hätten mich alte, reiche Feudalherren, die sich Privatarmeen leisten könnten, wenn man sie ihnen erlauben würde, wahrscheinlich schon massakriert. So gesehen bin ich froh über den Staat und die Polizei. Aber das Tierschützer-Verfahren hat auch gezeigt, dass der Rechtsstaat Lücken hat. Wir sehen in der Türkei und in Ungarn, wie die Justiz gegen Dissidenten in Stellung gebracht wird. Genau das haben wir erlebt. Es gab nicht einmal einen Anlass für Ermittlungen. Am Ende kam heraus, dass wir eine normale NGO sind.

Peter Pilz und seine neuen Mitstreiter. Rechts am Bild: Martin Balluch.

profil: Das Gerichtsverfahren endete nach 14 Monaten mit Freisprüchen. Sie könnten auch resümieren: Am Ende hat der Rechtsstaat triumphiert. Balluch: Nein. Wäre es mit rechten Dingen zugegangen, hätten der Staatsanwalt nicht anklagen und die Untersuchungsrichterin keine U-Haft verhängen dürfen. Und dass wir nie Einsicht in den polizeilichen Ermittlungsakt bekommen haben, ist ein Verstoß gegen das Grundprinzip eines fairen Verfahrens. Und am Ende musste ich noch enorme Prozesskosten tragen. profil: Angeblich mehr als 500.000 Euro. Haben Sie die Schulden schon abbezahlt? Balluch: Nein, es ist schwer. Ich musste all meinen Besitz hergeben. Der tatsächliche Schaden war ja viel höher. Man hat mir alle Computer genommen. Ich musste sogar Ermittlungen bezahlen. Erst mit Hilfe eines privat beauftragten Detektivs ist es mir gelungen zu beweisen, dass Spitzel eingesetzt waren. Die Richterin musste die Polizei zwingen, die Berichte herauszugeben. Diese Spitzel haben uns vollkommen entlastet, deshalb hat man sie verheimlicht. Außerdem musste ich wegen der Hausdurchsuchung eine Traumatherapie machen. Man hat mir in der Nacht die Tür eingeschlagen, Maskierte sind in mein Schlafzimmer gestürmt, haben mir einen Scheinwerfer ins Gesicht gehalten und mich an die Wand gestellt. Auch die Haft war schlimm. Man hat mich sieben Tage lang mit einem tschetschenischen Räuber in eine Zelle gesteckt, mit dem ich kein Wort reden konnte, und mir nicht einmal gesagt, warum ich hier bin. Ich war 39 Tage im Hungerstreik, um dagegen zu protestieren.

Für mich ist ziviler Ungehorsam in einer Demokratie gerechtfertigt.

profil: Wovon leben Sie heute? Balluch: Von der Familienbeihilfe und dem Karenzgeld für die Betreuung meiner kleinen Tochter. Zum Glück gibt es ein paar Menschen, die mich bei der Begleichung der Gerichtsschulden unterstützen. profil: Sie legen sich weiter mit Großgrundbesitzern und Jägern an. Oft finden die Auseinandersetzungen vor Gericht statt. Woher rührt der Hass? Balluch: So pauschal gilt das nicht; mit dem Öko-Jagdverband kommen wir gut aus. Die hier organisierten Jäger töten auch Tiere, haben aber nicht diese feudale Attitüde wie ein Mayr-Melnhof oder ein Mensdorff-Pouilly. Der Adel und großbürgerliche Grundbesitzer lassen sich seit jeher als Jagdherren nichts vorschreiben. Sie züchten in Massen Tiere und töten sie. Die Natur muss für ihren Spaß herhalten. Wir haben in Österreich die höchste Dichte an Schalenwild – Reh, Hirsch, Wildschwein –, weil es hemmungslos gefüttert wird, damit man später viel schießen und große Trophäen mit nach Hause nehmen kann. Übrigens: von rund zehn Prozessen, die Mayr-Melnhof gegen mich geführt hat, habe ich die meisten gewonnen. profil: Zuletzt wurden Sie verurteilt, weil Sie Hass-Postings gegen den Salzburger Landesjägermeister Mayr-Melnhof auf Facebook nicht löschen ließen. Balluch: Sie wurden gelöscht, aber nicht rechtzeitig. Ich selbst bin nicht auf Facebook. Wenn jemand hier meine Texte publiziert und andere darunter posten, fühle ich mich nicht verantwortlich. Deshalb fehlt in meinen Augen die subjektive Tatseite. Erklärbar sind die Postings insofern, als wir dokumentiert haben, wie Mayr-Melnhof 600 Wildschweine in einem umzäunten Gebiet durch Hunde treiben lässt. Viele sehen das und fragen sich: Was ist das für ein Irrer?

Martin Balluch nach einer Sitzung des BVT-Untersuchungsausschusses

profil: Es waren angeblich Morddrohungen dabei. Balluch: Im Sinne von: Man sollte mit dem einmal machen, was er mit den Tieren macht. Das sind Ausdrücke, die typisch sind für Leute, die sich über etwas sehr ärgern, aber das Gefühl haben, sie können nichts dagegen tun. profil: Wo verläuft die Grenze des Erlaubten? Balluch: Ich habe ein Buch über diese Frage geschrieben. Es heißt „Widerstand in der Demokratie”. Die Richterin im Tierschützer-Prozess hatte es ständig in der Hand, weil sie meine Haltung herauslesen wollte. Für mich ist ziviler Ungehorsam in einer Demokratie gerechtfertigt. Okay ist alles, was eine öffentliche und offene Diskussion fördert. profil: Sind Sachbeschädigungen akzeptabel? Balluch: Nein, mit einer Sachbeschädigung zu drohen, erzeugt Furcht und verhindert offene Diskussion. Eine symbolische, öffentliche Handlung aber, wie wir sie etwa bei den Legebatterien gesetzt haben, ist legitim, auch wenn sie im engeren Sinne eine Straftat darstellt. Wir sind mit einem Nachschlüssel hineingegangen, haben sieben Hühner herausgeholt und an die Vet-Uni gebracht... profil: … das ist eine Straftat. Balluch: Aber trotzdem legitim, weil wir den Schaden minimiert haben. Der Besitzer fühlte sich nicht bedroht. Bei 100.000 Hühnern gehen ihm sieben nicht ab.

Es sind inzwischen viele, außer meinem Vater und seiner Frau, zum Vegetarismus oder sogar Veganismus konvertiert.

profil: Haben Sie Dinge gemacht, die Ihnen nach Ihren eigenen Maßstäben falsch erscheinen? Balluch: Wir haben zwar recht wilde Aktionen gemacht. Ich erinnere mich etwa an die Besetzung eines Labors im Krebsforschungszentrum. Ich habe 16 Ratten befreit. Das mündete in einen ziemlich heftigen Konflikt. Aber ich würde immer noch sagen: Es war okay, wie wir das gemacht haben. profil: Das würden Sie wieder machen? Balluch: Ja, das würde ich wieder machen. Entscheidend ist, dass man eine Aktion nicht aus Spaß macht, sie muss einen appellativen Charakter haben. Und natürlich müssen davor die legalen Mittel ausgeschöpft sein, sprich, man muss sich oft genug beschwert haben. profil: Sind Brandsätze, wie Tierschützer sie in Deutschland in Pelzgeschäften deponiert haben, auch noch im Rahmen? Balluch: Natürlich nicht. Damit soll jemand unter Druck gesetzt werden, etwas nicht zu machen. Demokratiepolitisch ist das nicht okay. Konflikt ist zwar wichtig, aber er muss auch noch Platz für die Meinung des anderen lassen. profil: Man kann gegen Autos sein und dem Geschwindigkeitsrausch erliegen. Juckt es Sie heimlich manchmal, auf die Jagd zu gehen? Balluch: Auf keinen Fall. Ich fahre auch immer die schwächsten Autos und versuche mit möglichst wenig Spritverbrauch ans Ziel zu kommen. Mein Rekord war übrigens 2,9 Liter auf 100 Kilometer von Innsbruck nach Wien. Die einzige Lust, die ich kenne, ist, mit einer Kamera auf Pirsch zu gehen. Zum Beispiel in den rumänischen Südkarpaten, wo man Bären trifft, die aber meistens so schnell wieder weg sind, dass man sie schwer fotografieren kann.

Balluch bei einer Protestaktion

profil: Sie entstammen einer bürgerlichen Familie, Ihr Vater ist beim CV. Sind Sie bei Familientreffen auch so streitbar? Balluch: Er war beim CV tief integriert und hat vieles von dem, was ich gemacht habe, nicht goutiert. Aber dann kam der Tierschutzprozess. Mein Vater hatte stark das Gefühl, dass der CV hinter den Ermittlungen steckt und hat später auch mit dieser Organisation gebrochen. Bei unseren Familientreffen geht es eigentlich sehr harmonisch zu. Es sind inzwischen viele, außer meinem Vater und seiner Frau, zum Vegetarismus oder sogar Veganismus konvertiert. profil: Würden Sie anderen gerne das Fleischessen verbieten? Balluch: Nein. Wenn junge Menschen vegan werden, haben sie das Gefühl, etwas erkannt zu haben, das andere auch erkennen müssen und machen ihnen scharfe Vorwürfe. Ich lebe inzwischen 35 Jahre vegetarisch und 30 Jahre vegan und habe nicht die Angewohnheit, andere bei Tisch anzupöbeln. Auch das Parlament ist kein Ort, um zu moralisieren, sondern um Weichen zu stellen, sei es durch Förderungen, Auflagen, Gesetze oder auch Steuern, etwa auf Fleisch oder auf Kerosin. profil: Peter Pilz zeigt in Integrationsfragen gerne populistisch Flagge. Wie stehen Sie zu einem Kopftuchverbot in Schulen? Balluch: Ich bin für eine echte Trennung von Staat und Kirche. Das funktioniert mit dem Christentum nicht so gut. Es gibt etwa in meiner Gemeinde in der Steiermark für meine Tochter keinen Kindergarten, wo nicht in der Früh gebetet wird. Ich finde es ungut, wenn man so früh mit Religion konfrontiert wird. Beim Kopftuchverbot aber irritiert mich, dass es wieder gegen eine Minderheit geht, die ohnedies mit Ressentiments zu kämpfen hat.

Das Wichtigste ist, dass man als junger Mensch lernt, sich durch Protest zu artikulieren.

profil: Sie haben Mathematik, Physik, Astronomie und Philosophie studiert. Sie hätten auch an der Uni Karriere machen. Warum wurde es der Tierschutz? Balluch: Es war keine durchdachte Entscheidung. Heute noch wache ich manchmal auf und denke: Warum habe ich das gemacht? Ich hatte sogar das Angebot einer Professur in Jena. Die Stadt war damals ziemlich heruntergekommen. Die Plattenbauten aus den 1950er Jahren weckten nicht gerade die Lebensfreude. Zum anderen hatte ich damals bereits hinter den Vorhang geschaut und wusste, wie es in den Tierfabriken zugeht. Danach konnte ich mich nicht einfach weiter über schwarze Löcher unterhalten. Ich musste immer lauter und lauter werden. Dadurch hatte ich mehr Konflikte, auch mit der Universität. Ich bekam ein Disziplinarverfahren. In England wollten sie mich sogar deportieren. Stephen Hawkins hat 1995 einen Brief geschrieben, damit ich bleiben darf. profil: Der Physiker soll Sie an der Universität Cambridge als Kollege geschätzt haben, vom Tierschützer soll er nicht viel gehalten haben. Wie war es umgekehrt? Balluch: Mich irritierte seine positivistische Einstellung, aber er war ein genialer Wissenschafter. Hawkins war es ein Anliegen zu beweisen, dass alles im Universum berechenbar ist. Letztlich habe ich von ihm gelernt, dass es im Universum definitiv Nicht-Berechenbares gibt. Er hat irgendwann auch zugegeben, dass es anders ist, als er dachte, so wie er in den Jahren vor seinem Tod auch anfing, umweltfreundlicher zu denken und vor der Klimakrise warnte.

profil: Was hat Sie politisiert? Balluch: Das war die Anti-Atomkraftbewegung, wo ich als Mitläufer dabei war. Bei der Demonstration für die Rasenfreiheit im Burggarten war ich dann schon mittendrin und wurde – gemeinsam mit der deutschen Rocksängerin Nina Hagen – zum ersten Mal festgenommen. profil: Verglichen damit wirken die aktuellen Klimademos eher gesittet. Sehen Sie Parallelen zu früheren Bewegungen? Balluch: Das Wichtigste ist, dass man als junger Mensch lernt, sich durch Protest zu artikulieren. Eine Demokratie braucht Menschen, die keine Hemmungen haben, bei Kundgebungen oder einem Sitzstreik mitzumachen. Dieses Recht wird zunehmend eingeschränkt. Das Verhüllungsverbot etwa ist so formuliert, dass wir bei Demos keine Tiermaske mehr aufsetzen können. Wir haben Untersagungen, Festnahmen und Prozesse, wenn wir es trotzdem machen, um zu zeigen, wie es dem Tier geht. Hier gehört das Gesetz geändert.