Maurer: "Es muss nicht jeden Tag ein Schnitzel sein"
profil: Frau Klubobfrau, Ihre Ex-Parteichefin Eva Glawischnig sagte 2013, der grüne Spirit sei, die Welt jeden Tag ein kleines Stück zu verbessern. Teilen Sie diesen Spirit?
Maurer: Ganz sicher. Damals waren wir Oppositionspartei und konnten nur kleine Stücke verändern. Jetzt sind wir in der Regierung und können große Meilensteine umsetzen.
profil: Die Welt ist also eine bessere geworden, seit die Grünen in Österreich mitregieren?
Maurer: Definitiv. Wir erleben verschiedenste Krisen, die Pandemie, den Krieg, ein Bundeskanzler ist zurückgetreten. Dennoch haben wir grüne Vorhaben umgesetzt, die das Land nachhaltig für die nächsten Jahrzehnte prägen, etwa die Steuerreform, das Klimaticket oder den Ausbau des öffentlichen Verkehrs.
profil: Stört Sie die Zuschreibung, eine Weltverbesserer-Partei zu sein?
Maurer: Im Gegenteil - das muss unser Ziel sein. Auch unsere Enkel sollen etwas von unserem schönen Land haben.
profil: SPÖ-Politiker wollen die Bedingungen für Arbeitnehmer verbessern, ÖVP-Politiker die Situation für Unternehmen. Die Grünen sind vor allem Idealisten.
Maurer: Wir sind eine Partei, die sich eben nicht an einzelnen Interessensgruppen orientiert. Wir kommen aus verschiedenen Bereichen wie der Frauenbewegung, der Friedensbewegung, der Anti-AKW-Bewegungen oder aus der Studierenden-Politik. Was die Partei eint, ist ein ganz klares Ziel, nämlich die Klimakatastrophe zu verhindern.
profil: Der Pazifismus war ein grünes Glaubensbekenntnis. Angesichts des Ukraine-Krieges hat er ausgedient.
Maurer: Es war kaum vorstellbar, dass wir in Europa wieder einen Angriffskrieg erleben. Da kann man nicht teilnahmslos danebenstehen. Die EU und die Bundesregierung haben klar gegen Putin Position bezogen.
profil: Deutschlands grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck sagt, Pazifismus sei ein ferner Traum.
Maurer: Er ist jedenfalls kein Konzept, das uns jetzt den Frieden sichert. Die Grundidee ist aber wie bei so vielem, Utopien anzustreben. Möglichst alle Menschen sollen in Frieden leben können.
profil: Die Grünen sind eher eine Partei der Zivildiener, nicht der Soldaten.
Maurer: Wir haben sicher mehr Zivildiener in unseren Reihen, aber auch einige Soldaten.
profil: In Ihrem Wahlprogramm steht, das Bundesheer solle "auf das absolut notwendige Maß verkleinert" werden, Landesverteidigung "im klassischen Sinn" sei "unnötiger Luxus".
Maurer: Die grundsätzliche Frage ist die Bedrohungslage im 21. Jahrhundert. Da haben sich die Szenarien sicher verändert, Stichwort Cyber-Sicherheit.
profil: Eine Lehre aus dem Ukraine-Krieg ist, dass wir wieder eine Landesverteidigung im klassischen Sinn brauchen.
Maurer: Es gibt ein Regierungsprogramm und einen Beschluss des Nationalen Sicherheitsrats, in dem die Ausstattung des Bundesheeres mit ausreichenden Mitteln festgelegt ist. Daran fühlen wir uns gebunden.
profil: Teil der grünen Wertelehre war seit jeher, dass die NATO ein Reich des Bösen ist.
Maurer: Das ist etwas holzschnittartig. Man kann in der Geschichte der NATO manche Dinge gut und manche schlecht finden. Ein Schwarz-Weiß-Schema eignet sich dafür nicht. Die NATO ist sicher nicht grundsätzlich ein Hort des Bösen.
profil: Wie sehen Sie die Friedensmission von Bundeskanzler Karl Nehammer in Moskau?
Maurer: Wir müssen alles versuchen, um diesen Krieg zu beenden. Über den Sinn dieser Reise gibt es Diskussionen. Das Ergebnis war natürlich ernüchternd. Aber man muss sagen, dass Nehammer auch keine großen Erwartungen geweckt hat. Es war den Versuch wert.
profil: Für viele Grüne war schon der Abschluss der Koalition ein Verstoß gegen das eigene Wertegerüst.
Maurer: Das ist eine kühne Behauptung. Bei der Abstimmung des grünen Bundeskongresses 2020 in Salzburg sprachen sich 93 Prozent für die Koalition mit der ÖVP aus. Es hätte unseren Werten widersprochen, wenn wir nicht in die Regierung gegangen wären, aus der heraus wir Dinge verbessern können. Wir fordern seit über 30 Jahren Maßnahmen gegen Umweltzerstörung und Klimawandel. Dafür sind wir verlacht worden, jetzt zeigt der Krieg mehr als deutlich, dass wir möglichst rasch aus Erdöl und Erdgas rausmüssen.
profil: So schnell geht es nicht.
Maurer: SPÖ und ÖVP haben uns über Jahrzehnte die Abhängigkeit von russischem Gas eingebrockt. Dass wir diversifizieren müssen, ist klar. Aber es kann nicht von heute auf morgen gehen. Wir stellen auf vielen Ebenen Weichen. Gleichzeitig haben wir die Verantwortung dafür, dass die Industrie weiterläuft. Ohne russisches Gas würde die Voest stillstehen.
profil: Die Industriellenvereinigung fordert von der Regierung, ein mögliches Gas-Embargo der EU gegen Russland zu verhindern.
Maurer: Bei Sanktionen muss man auch an die Konsequenzen denken. Für Österreich hätte ein Gas-Embargo wohl fatale Folgen, daher kann ich die Industriellenvereinigung verstehen. Aber mittelfristig müssen wir aus dem Gas raus.
profil: Gas ist viel teurer geworden. Und wegen der CO2-Bepreisung wird bald auch der Sprit teurer. Wie erklären Sie das dem Voest-Arbeiter, der abgelegen im Mühlviertel wohnt und daher auf das Kfz angewiesen ist, um nach Linz zu kommen?
Maurer: Was die allgemeine Inflation angeht, haben wir ein Anti-Teuerungspaket geschnürt mit Maßnahmen wie der Aufstockung des Pendlerpauschale. Mit der CO2-Bepreisung im Zuge der Steuerreform schaffen wir einen Lenkungseffekt, der umweltfreundliches Verhalten belohnt. Mehrbelastungen werden durch den Klimabonus ausgeglichen, der umso höher ist, je abgelegener jemand wohnt.
profil: Muss man in Zeiten von Krieg und Pandemie nicht feststellen, dass Ökologie ein Programm für die Eliten ist?
Maurer: Das absolute Gegenteil ist wahr. Die Auswirkungen der Erderwärmung und der Teuerung treffen die Menschen mit den niedrigsten Einkommen am härtesten. Unser Ziel muss sein, dass die Klimakrise nicht auf dem Rücken dieser Niedrigverdienenden bekämpft wird.
profil: Das müssten Sie diesen erst einmal kommunizieren, was schwierig wird, weil es nicht Ihre Wähler sind.
Maurer: Als Regierungspartei tragen wir Verantwortung für alle Wähler. Daher machen wir breite Politik. Wir wollen beide Ziele erreichen: Entlastung und Klimaschutz.
profil: Geht Klimaschutz überhaupt ohne individuellen Verzicht?
Maurer: Es funktioniert. Die Politik muss das Schädliche besteuern und das Gute fördern und dabei sicherstellen, dass es zu keinen sozialen Verwerfungen kommt.
profil: Lange Zeit galten die Grünen als Verbotspartei. Dieses Image schien überwunden. Jetzt ist es wieder da, weil grüne Gesundheitsminister harte Lockdowns exekutierten und die Rechte der Bürger einschränkten.
Maurer: Das ist ein angestaubter Propagandabegriff politischer Mitbewerber. Wir sind die Ermöglicher-Partei. Wir machen es möglich, dass auch die Menschen am Land nicht mit den dreckigen Stinkern fahren müssen, sondern auch dort ein größeres Angebot von Bahn und Bussen haben. Wir ermöglichen den Umstieg von fossilen Öl-und Gasheizungen auf ökologische Systeme.
profil: Zumindest sind die Grünen eine Spaßbremse. Wenn ich mit dem Auto zum Skiurlaub ins Stubaital reise, auf Pisten mit Schneekanonen fahre und dann ein Schnitzel auf der Skihütte esse, habe ich gleich dreifach gegen grüne Gebote verstoßen.
Maurer: Bei mir daheim im Stubaital kämpfen die Leute seit Jahren gegen Verkehrslawinen und Staus und versuchen, den Transport auf Busse umzuleiten.
profil: Das billige Schnitzel gönnen Sie mir nicht.
Maurer: Die Rahmenbedingungen für Nahrungsmittelproduktion müssen besser werden. Die schrecklichen Tiertransporte müssen abnehmen. Das fordern wir seit Jahrzehnten. Immer mehr Bäuerinnen und Bauern stellen auf Bio um. Unser Leben wird sich laufend verändern. Es muss auch nicht jeden Tag ein Schnitzel sein.