„Bist du Klima-Shakira?“ Es dauert nur wenige Sekunden, bis drei junge Männer Anja Windl vor einem Wiener Bistro erkennen. Der Boulevard verpasste der 26-Jährigen wegen ihrer wallenden Locken den Spitznamen und machte sie unfreiwillig zum Poster-Girl der radikalen Klima-Gruppe. Ihre Fans vor dem Lokal wirken, als würden PS-starke Autos eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielen. Windl klebt sich regelmäßig auf die Straße, um den „fossilen Wahnsinn“ zu stoppen. Den Männern ist das egal. Sie wollen ein Selfie mit ihr und beteuern: „Neben Dich kleben wir uns sofort.“ Windl gibt sich einen Ruck und landet am Selfie.
„Am Anfang konnte ich über den Namen Klima-Shakira noch lachen“, sagt sie. Mittlerweile nerve sie die „Ablenkungsdiskussion von der Klimakrise“. Doch nach einem Jahr bei der Letzten Generation denkt die Deutsche, die in Graz wohnt und in Klagenfurt Psychologie studiert, nicht an Rückzug. Im Gegenteil. Nach dem sich Gründerin der „Letzten Generation“ in Österreich, Martha Krumpeck, Ende November aus dem fünfköpfigen Führungsteam zurückzog, stieg Windl zu einer zentralen Figur auf.
Drittel aller Klima-Kleber im Visier
Eine zentrale Rolle spielt sie auch für die Staatsanwaltschaft Wien. Die Behörde ermittelt gegen Windl wegen schwerer Sachbeschädigung (§ 126 Strafgesetzbuch) und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 278). Es gilt die Unschuldsvermutung. Vier Tage saß Windl in U-Haft, dann kam sie per Weisung aus dem Ministerium frei. Wie profil als Erstes von Seiten der Staatsanwaltschaft erfuhr, wird insgesamt gegen 52 Personen wegen schwerer Sachbeschädigung und 29 Personen wegen Paragraf 278 ermittelt. Die strafrechtliche Verfolgung laufe seit April dieses Jahres.
Dem Vernehmen nach wurden sämtliche Verfahren gegen einzelne Aktivisten aus allen Bundesländern bei der Staatsanwaltschaft Wien zusammengefasst – in einem Hunderte Seiten starken Akt. Damit sind die Ermittlungen gegen die Aktivisten deutlich umfangreicher als bisher bekannt. Betroffen wäre rund ein Drittel der bisher rund 150 aktiven Personen. Ist das Ende der umstrittenen „Klima-Kleber“ eingeläutet?
„Müssen noch mehr stören“
„Ich lasse mich nicht einschüchtern und mache weiter, bis die Politik unser Überleben ernst nimmt. Ich will mir in 20 Jahren nicht vorwerfen lassen, nichts gegen die Klimakatastrophe unternommen zu haben“, sagt Windl kämpferisch. „Je länger die Regierung nichts dagegen tut, desto eher sehen wir uns gezwungen, weiter zu stören“, tönt auch Laila Fuisz. Die 23-Jährige ist neben Windl die zweite neue Führungsfigur der „Letzten Generation“. Gegen die Studentin der Sozialarbeit wird ebenfalls nach beiden Delikten ermittelt. Erst seit Februar 2023 dabei, hat Fuisz bei Straßenblockaden bereits 30 Mal zum Superkleber gegriffen. „Ich klebe, weil andere Protestformen nicht gewirkt haben.“ Die Superkleber-Aktionen lösten bisher meist keine strafrechtlichen Ermittlungen aus. Der Schaden war zu gering.
Laila Fuisz (23) hatte sich bereits im Mai auf die Wiener Nordbrücke betoniert. Ermittlungen wurden damals eingestellt.
„Mumienhände“
Im Mai wurde Fuisz Pionierin einer noch drastischeren Methode, die bereits in Deutschland zur Anwendung kam: Der „Betonhand“, wie sie es nennt. Im Akt der Staatsanwaltschaft ist von „Mumienhänden“ die Rede. Dabei wird Superkleber mit feinem Quarzsand vermischt und mit einem Spray „aktiviert“ - also gehärtet. Entsprechend schwerer fällt es Polizei und Feuerwehr, Aktivisten-Hände vom Asphalt zu lösen. Als sich Fuisz im Mai 2023 erstmals auf die Wiener Nordbrücke betonierte, löste sie die Polizei mit Hammer, Meisel und Lösungsmittel ab. Die Staatsanwaltschaft startete Ermittlungen, stellte sie aber nach wenigen Wochen wieder ein. Der Straßenbelag war kaum beschädigt worden. Was blieb, waren Narben an der Hand, die Fuisz beim Treffen im Bistro zeigt und für die Sache bereitwillig hinnimmt.
Am 20. November ist dann alles anders. Auf der Südautobahn bei Vösendorf bringt ein Auto-Konvoi der „Letzten Generation“ den Verkehr zum Stehen. Mehrere Aktivisten, darunter Windl und Fuisz, betonieren sich auf die Fahrbahn. Dieses Mal greift die Feuerwehr zu schwerem Gerät; schneidet und stemmt den Asphalt rund um die Hände plattenförmig aus. Die entstandenen Löcher müssen danach provisorisch gefüllt und neu asphaltiert werden.
Eine Aktion zu viel
Die Staatsanwaltschaft hat nun einen entscheidenden Hebel: Schwere Sachbeschädigung an kritischer Infrastruktur. Eine Staatsanwältin rückt an, dokumentiert den Sachverhalt akribisch. Die Aktivistinnen ahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was ihnen strafrechtlich droht. Denn als Bundeskanzler Karl Nehammer ihnen nach der Autobahnblockade vorwirft, das „gesellschaftliche Klima zu vergiften“, antworten sie mit der nächsten Aktion. Am 21. November betonieren sich Aktivisten – erneut mit Windl in den Reihen - vors Parlament auf die Wiener Ringstraße.
Nach der Ablösung vom Asphalt landen sie im Polizeianhaltezentrum und können am selben Tag wieder gehen. Nur Windl nicht. Die Staatsanwaltschaft beantragt Untersuchungs-Haft für die Deutsche. Das Landesgericht Wien sieht keine Gefahr in Verzug und lehnt die U-Haft ab. Nach vier Tagen ist Windl frei. Die Staatsanwaltschaft Wien will Beschwerde einlegen und wird vom Justizministerium zurückgepfiffen.
Ein Koalitionskrach zwischen der ÖVP und der grünen Justizministerin Alma Zadić folgt. Die Volkspartei wirft Zadić „Interventionen“ für die „Klima-Chaoten“ vor. Die Ministerin bestreitet das und spricht von einem „Angriff auf die unabhängige Justiz“. Ein Vorgeschmack auf die Nationalratswahlkampf 2024.
„Ich lasse mich nicht einschüchtern und mache weiter."
Anja Windl (26)
Showdown im Wahljahr
Windls Anwalt, Ralf Niederhammer, ist sich „100 prozentig sicher“, dass es 2024 zu Anklagen wegen schwerer Sachbeschädigung kommt. Bei den Prozessen wird dann über die Frage gestritten werden, ob die Beschädigung der A2 durchs Rausflexen nötig waren oder die Hände auch schonender abgelöst werden hätten können, wie die „Letzte Generation“ argumentieren wird. Auf schwere Sachbeschädigung stehen bis zu zwei Jahre Haft.
Weniger sicher ist sich Niederhammer, ob auch Anklagen wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung erhoben werden. Darauf stehen bis zu drei Jahre. „Eine Umweltschutzorganisation ist im Kern keine kriminelle Vereinigung. In diese Richtung hat bereits das Landesgericht Wien argumentiert.“ Die Argumentation erinnert an den Groß-Prozess gegen radikale Tierschützer im Jahr 2010. Sie wurden nach jahrelangen Ermittlungen schließlich vom Vorwurf der kriminellen Organisation freigesprochen.
Zum Fall „Letzte Generation“ sagt Strafrechtsexpertin Ingeborg Zerbes: „Ich sehe die Ermittlungen kritisch, weil die Gruppe im Kern einer legalen Tätigkeit nachgeht. Bei ihrem Kampf gegen den Klimawandel standen rechtmäßige Mittel bisher eindeutig im Vordergrund.“ Eine kriminelle Vereinigung müsse aber auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sein.
Vor Gericht am laufenden Band
Niederhammer ortet einen enormen Druck der Politik auf die Strafbehörden, „zu liefern“. Selbst ohne Anklage wegen krimineller Vereinigung würden die laufenden Ermittlungen nach § 278 einer „Zermürbungstaktik“ gleichen, die neue Aktivisten abschrecken könne. „Handys werden vielleicht schon abgehört, Hausdurchsuchungen sind möglich.“
Einen persönlichen Preis fürs ganz „normale“ Kleben zahlen die Aktivistinnen bereits jetzt. Sie fassen für jede Aktion eine Verwaltungsstrafe über mehrere Hundert Euro aus, die sie nicht bezahlen, sondern beeinspruchen. Dadurch kommt es früher oder später zu einer Gerichtsverhandlung. Fuisz stand am Tag vor dem Gespräch mit profil in Graz vor einer Richterin, für eine Klebeaktion im Juni. Am Freitag wartet der nächste Gerichtstermin auf sie. Dazwischen lieferte sie ihre Bachelorarbeit ab. Auch Windl hat Gerichtstermine am laufenden Band.
"Ich klebe oft, weil andere Protestformen nichts bewirkt haben."
Laila Fuisz (23)
Fuisz meint: „Ich werde wohl einen Teil der Strafen absitzen müssen.“ Sie habe kein Vermögen und lebe sehr einfach in einer Grazer WG. Vom Vater bekomme sie Alimente. Windl hat einen Nebenjob. Ihre Eltern in Deutschland würden sie unterstützen, nicht aber die Protestform. „Wenn ich in der Bild-Zeitung gewesen bin, traut sich Mama inzwischen eine Woche lang nicht zum Dorfkrämer, aus Sorge vor den Kommentaren.“
Dann denke sie an künftige „Todeszonen“ in den Inneren Tropen, in denen Menschen ohne Klimaanlagen nach ein paar Stunden im Freien „verkochen“ würden; oder an die Überlastung des Gesundheitssystems durch „jährlich über 100 Hitzetage“ in Österreich und sei wieder mit sich im Reinen.
Sie macht weiter. Auch mit Betonhänden? „Ich schließe es nicht aus.“