Mehrheit für Sobotka-Rückzug: „Hat es so noch nicht gegeben in Zweiter Republik“
Zwischen der großen Umfrage von Unique Research für profil im Oktober und der aktuellen Befragung im November liegen nicht nur vier Wochen, sondern auch eine brisante Enthüllung. Thomas Schmid, ehemals Generalsekretär im Finanzministerium, Vertrauter von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und vielleicht berühmtester Handynutzer Österreichs, möchte Kronzeuge der Staatsanwaltschaft werden. Um diesen Status zu erreichen, legte er ein umfassendes Geständnis ab und belastete nicht nur sich selbst, sondern auch führende (ehemalige) ÖVP-Politiker. Schmids Aussagen dürften dazu geführt haben, dass das Vertrauen in die Volkspartei weiter schwindet: In der aktuellen Umfrage geben nur noch 22 Prozent der Befragten an, dass sie bei einer Nationalratswahl die ÖVP wählen würden. Damit liegt die Volkspartei auf Platz drei, hinter SPÖ und FPÖ.
Schmid sagte auch aus, dass Wolfgang Sobotka – heute Nationalratspräsident, früher Landesrat in Niederösterreich – wegen Steuerprüfungen beim Alois-Mock-Institut und der Erwin-Pröll-Stiftung erfolgreich interveniert hatte. Sobotka selbst bestreitet die Vorwürfe vehement. Das Publikum reagiert skeptisch. Immerhin 55 Prozent der Bevölkerung sprechen sich laut profil-Umfrage für einen Rücktritt Sobotkas aus, 17 Prozent sind für seinen Verbleib. Nur unter ÖVP-Wählern findet eine knappe Mehrheit, dass er Nationalratspräsident bleiben sollte.
Christian Stocker, Generalsekretär der Volkspartei, hat für diese schlechten Umfragewerte eine einfache Erklärung: Die Berichterstattung sei schuld daran. „Eine Verantwortung kann ich Ihnen nicht nehmen“, sagt er im Club 3, dem gemeinsamen TV-Format von profil, „Kronen Zeitung“ und „Kurier“ zu den Journalistinnen. „Wenn immer über unbewiesene Behauptungen berichtet wird, dann ist der Vertrauensverlust in die Demokratie und in die Politik allgemein auch dem geschuldet.“
Sobotka hinter Kickl
Die Frage nach Sobotkas Rücktritt ist allerdings hypothetischer Natur. Denn der Nationalratspräsident denkt nicht im Ansatz an einen Rückzug; und im Unterschied zum Bundespräsidenten kann er nicht abgewählt werden. Allerdings weist das Stimmungsbild auf ein grundlegendes Problem hin. „Das Ansehen des Nationalratspräsidenten ist zentral für seine Amtsführung“, sagt Historiker Oliver Rathkolb, „weil er der erste Diener des Parlaments ist und es nach außen repräsentiert.“ Seine betont überparteiliche Rolle sei auch eine Lehre aus der umkämpften Ersten Republik.
Im APA-Vertrauensindex liegt Wolfgang Sobotka aktuell auf dem letzten Platz – hinter FPÖ-Chef Herbert Kickl. „Natürlich ist es wichtig, dass ein Nationalratspräsident positiv akzeptiert wird“, sagt Rathkolb. Und weiter: „Dass ein Nationalratspräsident in der Bevölkerung in diesem Ausmaß umstritten ist, hat es in der Zweiten Republik so noch nicht gegeben“. Der Historiker will Sobotka keinen Ratschlag geben. Er sieht es aber höchst an der Zeit, die Verfassung so abzuändern, dass künftig auch Nationalratspräsidenten abgewählt werden können.
Die Zweite Nationalratspräsidentin, Doris Bures (SPÖ), war von 2014 bis 2017 erste Hausherrin. Zur Frage, ob Sobotka sich zurückziehen soll, äußert sie sich nicht. Sie sagt allgemein: „Nationalratspräsidenten repräsentieren den Parlamentarismus in seiner Gesamtheit. Deswegen ist es wichtig, dass sie über die Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen genießen und von der Bevölkerung geschätzt werden. Das ist in der Zweiten Republik bisher allen Präsidentinnen und Präsidenten des Nationalrats gelungen.“
Wolfgang Sobotka polarisiert in seinem Auftreten.
Auch ÖVP-Generalsekretär Stocker räumt ein, „dass Sobotka in seinem Auftreten polarisiert“. Aber der Nationalratspräsident werde auch besonders kritisch beäugt. Zum Beispiel in seiner Funktion als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur mutmaßlichen Korruption der ÖVP. Auf Provokationen der Opposition im U-Ausschuss, findet Stocker, habe Sobotka „sehr besonnen reagiert“.
Einen klaren Trennungsstrich zur Ära von Sebastian Kurz will die ÖVP weiterhin nicht ziehen. Stocker möchte abwarten, zu welchem Ergebnis Staatsanwaltschaft oder womöglich Gerichte kommen. Erst dann will er darüber diskutieren, ob Kurz von der Partei ausgeschlossen werden soll. Thomas Schmid hat seine ÖVP-Mitgliedschaft zwar ruhend gestellt, aber nicht einmal er soll sein Parteibuch endgültig abgeben müssen. Zumindest nicht, solange die Causa nicht abgeschlossen ist. Stocker: „Persönlich habe ich dazu zwar eine Meinung, aber wir haben immer gesagt, wir wollen Ergebnisse beurteilen. Und das werden wir auch in diesem Fall tun.“
Schmid bleibt mit oder ohne Parteibuch die größte Bedrohung für die ÖVP. Vor der Korruptionsstaatsanwaltschaft packte er aus, doch im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss schwieg er. Im Jänner wird er reden müssen, hoffen die NEOS. Deswegen tragen sie eine einmalige Verlängerung des U-Ausschusses für Schmids zweiten Auftritt mit. Danach soll aber Schluss sein. Die SPÖ hätte den U-Ausschuss gern weitergeführt. In der profil-Umfrage meinen dazu 51 Prozent, die jüngsten Aussagen von Schmid hätten neue Erkenntnisse gebracht, daher solle der U-Ausschuss weiterlaufen.
Bumerang Balkanroute
Mit 25 Prozent Zuspruch in der profil-Umfrage haben sich die Freiheitlichen von der ÖVP (22 Prozent) mittlerweile klar abgesetzt. Ein Grund ist die Rückkehr der „Asylkrise“ in die politische Debatte (massenhafte Grenzübertritte, Zelte als Notquartiere, Halloween-Krawalle). Hatte Sebastian Kurz das Thema noch erfolgreich für die ÖVP gekapert und die FPÖ dadurch kleingehalten, schlägt das Pendel nun zurück zu den Freiheitlichen. Zwar bleibt ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer der früheren Kurz-Linie treu; und mit Innenminister Gerhard Karner hat er einen Hardliner an seiner Seite. Doch wenn die Balkanroute, die Kurz einst geschlossen haben will, nun wieder weit offensteht und wenn Karner Abschiebungen in Aussicht stellt, die rechtlich gar nicht möglich sind, verspielt die ÖVP ihren Kredit aus der Kurz-Ära. Und die FPÖ gewinnt fast automatisch dazu – völlig unabhängig von ihrem Parteichef Herbert Kickl, der in der Kanzler-Direktfrage nur halb so beliebt wie seine Partei ist.
Dass sie mit dem Thema „Zuwanderung“ aktuell nicht viel gewinnt, dürfte der ÖVP bewusst sein. Deswegen lag ihre Hoffnung auf den Hilfspaketen der Regierung gegen die Teuerung. Klimabonus & Co. können sich in ihrer Summe sehen lassen. Doch wieder einmal beweist sich der Spruch, wonach Dankbarkeit keine politische Kategorie ist. Die Empörung in der Bevölkerung über die vermeintliche Korruption wiegt schwerer. Auch ein Befreiungsschlag durch neue Anti-Korruptionsgesetze wie die Abschaffung des Amtsgeheimnisses wird der ÖVP da nur wenig helfen. Und ÖVP-Generalsekretär Stockers Wunsch, dass Medien künftig weniger über unanständige Chats berichten, wird sich ohnehin nicht erfüllen.