Hitlers "Mein Kampf": Der Bestseller des Bösen
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 30.1.2012 in der profil-Ausgabe Nr. 05/2012.
Wenn das kein Welterfolg ist, was dann? Seit fast 90 Jahren ist der Titel auf dem Markt - und noch immer ein Renner: Bei Waterstone’s, der größten britischen Buchhandelskette, lagen im Weihnachtsgeschäft ganze Stapel davon in den Filialen, angepriesen als "perfektes Geschenk“.
Auf amazon.com wird er in Dutzenden unterschiedlichen Ausgaben angeboten: antiquarisch, neu, als E-Book, von 50 Dollar abwärts bis zum Nulltarif für Premium-Kunden. Dass die Nachfrage groß ist, zeigen Hinweise wie: "Nur noch vier Stück auf Lager - bestellen Sie rasch.“
In Indien wurden in den vergangenen zehn Jahren rund 100.000 Stück davon verkauft, in der Türkei ebenso viele, in den Vereinigten Staaten hochgerechnet an die 250.000.
"Mein Kampf“ von Adolf Hitler ist in der Terminologie des Buchhandels Bestseller, Steadyseller und Longseller in einem. Ganz schön überraschend für einen Wälzer, der im Original 782 Seiten hat, stilistisch eine Zumutung darstellt, inhaltlich gegen alle Prinzipien steht, auf die sich die internationale Gemeinschaft verständigt hat - und nebenbei vermutlich nur von den wenigsten Käufern tatsächlich auch vom Anfang bis zum Ende gelesen wird.
"Das unlesbare Buch"
In Deutschland, wo während der Zeit des Nationalsozialismus mehr als zehn Millionen Exemplare in Umlauf gebracht wurden, sollte vergangene Woche eine neue Edition herauskommen: "Mein Kampf“ in einer Art Light-Version - 16 Seiten mit Originalzitaten und darauf Bezug nehmenden Kommentaren, publiziert von dem britischen Verleger Peter McGee, Auflage 100.000, Titel: "Das unlesbare Buch“.
Unlesbar ist es nun tatsächlich: Nachdem das bayerische Finanzministerium einen Verbotsantrag eingebracht und das Landgericht München I diesem Recht gegeben hatte, ließ McGee sämtliche Hitler-Zitate unkenntlich machen. Zu lesen bekommen die Deutschen nur die wissenschaftlichen Anmerkungen.
Der juristische Hintergrund ist klar: Dem Freistaat Bayern fielen nach dem Ende des Dritten Reichs die Urheberrechte auf "Mein Kampf“ zu. Seither nutzt er diesen Status, um Neuveröffentlichungen so weit wie möglich zu verhindern - auch aus dem Bestreben heraus, die Verbreitung von Nazi-Propaganda hintanzuhalten. Der Besitz und Verkauf von antiquarischen Exemplaren ist in Deutschland hingegen legal, das Zitieren von Auszügen daraus ebenfalls. Gleichzeitig können Verlage in den USA und Großbritannien auf Basis von Verträgen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg das gesamte Buch in Übersetzung immer wieder neu auflegen. Und in anderen Ländern werden unkontrolliert Raubdrucke verkauft.
Das hat zu einer einigermaßen seltsamen Situation geführt: Fast überall auf der Welt ist "Mein Kampf“ frei erhältlich. Im deutschen Sprachraum zirkulieren zwar unzählige aus der Zeit des Dritten Reichs übrig gebliebene Originalausgaben des Buchs - Hitler als Vintage-Objekt gewissermaßen. Eine vernünftig kommentierte Ausgabe des Gesamttexts darf es hier aber nicht geben, zumindest bis zum Jahr 2015, in dem das Urheberrecht erlischt.
Tabuisierung des Feindes verzichtbar?
Die geplante Broschüre von McGees Verlag Albertas hätte eine konsumentenfreundliche Version des Nazi-Wälzers sein sollen, mit ausgewählten Auszügen, politisch verlässlich kommentiert, am Kiosk erhältlich. Damit wäre - wenn man es positiv sehen will - demonstriert worden, dass Deutschland vor Hitler nicht länger beschützt zu werden braucht; dass die Gefahr, die von seinem Gedankengut einst ausgegangen ist, gebannt ist; dass die Demokratie unangreifbar ist und deshalb auf eine Tabuisierung ihres Feindes verzichten kann.
Man kann McGees Geschäftsidee auch kritischer betrachten. Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Österreich, findet die Publikation von "Mein Kampf“ "deplatziert, unnötig und geschmacklos“. Gleichzeitig wolle er wegen dieses "Spielens mit dem Feuer“ nicht in Hysterie verfallen, um dem Unterfangen nicht noch mehr Bedeutung zu verleihen, so Muzicant gegenüber profil.
Dennoch wird die Diskussion auch Österreich bald erfassen. Verleger McGee kündigt im Gespräch mit profil an, seinen leserfreundlichen "Mein Kampf“-Reader in Österreich auf den Markt bringen zu wollen.
McGee, der mit Zeitungsnachdrucken aus der Nazi-Zeit bereits zuvor für Aufregung und Beschlagnahmen gesorgt hatte, mag mit der Broschüre vor allem ein gutes Geschäft im Sinn gehabt haben. Gleichzeitig offenbart der Streit um "Mein Kampf“, wie groß der Mythos und das Tabu immer noch sind, die Hitlers Buch bis heute umgeben - und die offenbar weit verbreitete Angst, dass es möglicherweise doch noch eine gefährliche Wirkmacht entfalten könnte.
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Der Mythos von "Mein Kampf“ beginnt bereits mit den Umständen, unter denen es verfasst wurde. Im Jahr 1924 sitzt Adolf Hitler, damals 35 Jahre alt, nach einem gescheiterten Putsch zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, in einer Zelle der Festung Landsberg. Er wird am Ende nur neun Monate Haft verbüßen - diese nutzt er nach anfänglichen Selbstmordgedanken dafür, sich teilweise neu zu erfinden und zum Helden hochzustilisieren. Als Mittel zum Zweck soll ihm ein Buch dienen.
Von der furchtbaren Kraft der nationalsozialistischen Propaganda ist anfangs nicht viel zu spüren: "Viereinhalb Jahre des Kampfes gegen Lüge, Dummheit und Feigheit“ lautet der einigermaßen sperrige Titel, den Hitler seinem Erstlingswerk geben will. Als er im Dezember 1924 vorzeitig aus der Haft entlassen wird, ist der erste, biografisch gehaltene Teil unter dem Titel "Eine Abrechnung“ mehr oder weniger fertiggestellt und wird im Sommer 1925 veröffentlicht.
Ein zweiter, programmatischer Teil über "Die nationalsozialistische Bewegung“ folgt - auch aufgrund der Angst vor Beschlagnahme wegen der darin enthaltenen politisch brisanten Passagen - im Jahr 1926. Zwei Jahre später fasst der spätere NSDAP-Parteiverlag Franz Eher Nachfolger beide Bände zu einer "Volksausgabe“ zusammen.
"Mainstream der völkisch-rechten Szene"
In seiner Urfassung dürfte "Mein Kampf“ schwere stilistische Schwächen aufgewiesen haben, die nach und nach von Vertrauten und Lektoren verbessert wurden; die Rede ist von rund 2300 Änderungen allein für den ersten Teil des Buchs. Ein Geniestreich war es aber auch inhaltlich nicht: "Es spiegelt den Mainstream der völkisch-rechten Szene des frühen 20. Jahrhunderts wider“, sagt der Salzburger Historiker und Germanist Othmar Plöckinger, ein ausgewiesener Kenner des Buchs. Er ist derzeit maßgeblich an der Erstellung einer historisch-kritischen Ausgabe von "Mein Kampf“ beteiligt, die das renommierte Münchener Institut für Zeitgeschichte nach dem Erlöschen des Copyrights herauszubringen plant.
Hitler habe sich ungeniert aus dem Wust an nationalistischen Flugschriften, Broschüren und Zeitungen bedient, die damals zirkulierten, es gleichzeitig aber vermieden, seine Quellen zu nennen, sagt Plöckinger: "Er übernahm viele Gedankengänge von anderen, versuchte aber gleichzeitig, sich als genuiner Denker zu positionieren, der keine Vorbilder notwendig hat.“
Was dabei herauskam, ist schwer auf einen Nenner zu bringen: "Am ehesten kann man es als Mischung aus ideologischer, organisatorischer und politischer, gleichzeitig sehr tagesaktuell geprägter Programmschrift bezeichnen - also ein Konglomerat von verschiedenen Text- und Bedeutungsebenen“, so Plöckinger.
Band eins verkaufte sich gut, nicht zuletzt, weil er Einblick in das Leben eines Putschisten versprach. Zwei Auflagen mit insgesamt 10.000 Stück setzt der Verlag binnen kurzer Zeit davon ab. Band zwei interessiert das breitere Publikum deutlich weniger. Ein Bestseller wird die "Volksausgabe“ von "Mein Kampf“ erst 1930, vor den Reichstagswahlen, bei denen die NSDAP zweitstärkste Partei hinter der SPD wird.
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Es ist ein weit verbreiteter Topos, dass jeder, der "Mein Kampf“ frühzeitig rezipiert hat, wissen musste, was mit Hitler und seiner Partei auf die Welt zukam. Gleichzeitig kommt kaum ein Artikel zu dem Thema ohne den Hinweis aus, das Buch sei wirr und unlesbar.
Bis zu einem gewissen Grad stimmt beides, aber auf unterschiedliche Art und Weise. ",Mein Kampf‘ ist eine unüberbietbare Quelle für das Verständnis Hitlers und seiner Intentionen“, sagte Barbara Zehnpfennig, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Passau, vor Kurzem in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "Die Welt“. Hitler entwickle darin eine "in sich konsequente, bewusst antimarxistisch angelegte Weltanschauung, und er stellt einen innen- und außenpolitischen Fahrplan vor, den er weitgehend abgearbeitet hat“. Letztlich gebiete die in "Mein Kampf“ formulierte Ideologie "den ewigen Kampf. Und weil Hitler in den Juden die Verhinderer dieses Kampfes sieht, da sie mit ihren Ideologien (etwa dem Marxismus) den ewigen Frieden propagieren und mit ihrem Geld (also dem Kapitalismus) den Kampfeswillen abtöten, glaube er, die Juden vernichten zu müssen. Das alles ist von einer ganz grässlichen Logik, und das alles findet sich in, Mein Kampf’“, so Zehnpfennig weiter.
"Das Prädikat, wirr‘ ist eher eine moralisch-ethische Kategorisierung, die als solche durchaus zutrifft“, analysiert auch der Germanist Plöckinger. "Politisch-organisatorisch und ideologisch ist das Buch aber durchaus konzise.“ Allerdings hätten in den 1920er-Jahren große Teile der Bevölkerung gleich oder ähnlich gedacht wie Hitler - und sich, was etwa den Antisemitismus oder den Revanchismus gegen Frankreich betrifft, durch die Lektüre also nicht gewarnt, sondern eher bestätigt gefühlt.
Staatliche und kirchliche Institutionen beschäftigten sich durchaus intensiv mit dem Buch. Die Reaktion vor allem der evangelischen Glaubensgemeinschaft war aber nicht durchwegs negativ: Ein bisschen radikal sei dieser Hitler schon, lautete der Tenor - aber so ganz Unrecht habe er vor allem mit seiner Einschätzung des Judentums ja wohl nicht. Ähnliche Einschätzungen waren, wenngleich in abgeschwächter Form, auch unter Katholiken weit verbreitet.
Innen- und Außenministerium der Weimarer Republik wiederum analysierten "Mein Kampf“ vor allem auf die Gefahr eines Staatsstreiches hin. Was sie dabei übersahen, war eine entscheidende Entwicklung: Die NSDAP wollte längst nicht mehr putschen. Sie wollte auf legalem Weg an die Macht.
Bis Anfang 1933 wurden in Deutschland 241.000 Exemplare von "Mein Kampf“ verkauft.
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1933 kommen die Nazis in Deutschland an die Regierung, und damit wird Hitlers Buch in Deutschland zur Pflichtlektüre oder, genauer gesagt, zum Pflichtbesitz. Allein in diesem Jahr werden 900.000 Exemplare verkauft. Ebenfalls 1933 erwirbt auch ein US-Verlagshaus die Übersetzungsrechte und bringt "My Battle“ in einer gekürzten Version auf den Markt. Das führt nach dem Kriegseintritt der USA im Jahr 1941 zu einem heute bizarr anmutenden Rechtsstreit: Als die Amerikaner die Auszahlung der vereinbarten Tantiemen stoppen, werden sie im Namen von Adolf Hitler geklagt. Auch gegen einige andere unautorisierte Ausgaben, etwa in Frankreich, geht der Reichskanzler gerichtlich vor. Den Handel mit Secondhand-Exemplaren lässt Hitler verbieten: Man ist ja kein Feind des eigenen Geschäfts.
In Österreich hält sich die Verbreitung bis zum "Anschluss“ 1938 im direkten Vergleich zu Deutschland in Grenzen. Angesichts der Bevölkerungszahl und der Tatsache, dass die Nazis im Ständestaat in der Illegalität sind, sind die Verkaufszahlen dennoch nicht unbeträchtlich: 6000 Stück werden hierzulande im Jahr 1937 abgesetzt, hat der Wiener Germanist und Journalist Murray G. Hall herausgefunden.
"Schwülstig, langatmig, formlos"
Der britische Kriegspremier Winston Churchill wird in seinem Meisterwerk "Der Zweite Weltkrieg“ später schreiben, dass keine andere Publikation nach der Machtübernahme der Nazis mehr Beachtung verdient habe als "Mein Kampf“ - dieser "neue Koran des Glaubens und des Kriegs: schwülstig, langatmig, formlos, aber schwanger mit seiner Botschaft“.
Möglich, dass der Einfluss des Buchs auf die Radikalisierung der Deutschen heute überschätzt wird. Nach der Machtergreifung wurde "Mein Kampf“ zum "Herrschaftssymbol und Herrschaftsinstrument“, sagt Germanist Plöckinger. "Aber die Ideologisierung der Bevölkerung erfolgte höchstwahrscheinlich auf andere Art und Weise: in den Organisationen, im Block, im Wohnhaus. Das Buch hatte man, um mit dem Besitz seine, Rechtgläubigkeit‘ zu dokumentieren und vielleicht auch, um punktuell nachzulesen, was der, Führer‘ zu einem Thema gesagt hatte - aber eher nicht als Nachtkästchenlektüre.“ Es sei durchaus denkbar, dass die Gegner der Nazis "Mein Kampf“ genauer gekannt hätten als die breite Masse der Anhänger.
Die schiere Zahl der verbreiteten Exemplare spricht dafür, dass das Buch während der NS-Zeit seine Wirkung auf die Gesellschaft nicht verfehlt: Am Ende des Zweiten Weltkriegs hat "Mein Kampf“ eine Gesamtauflage von mehr als zwölf Millionen erreicht. Einen Teil der Bücher, insgesamt sechs Millionen Stück, kauft praktischerweise der Staat: Ab 1936 wird jedem Brautpaar am Standesamt ein persönliches Exemplar überreicht, auch Staatsbeamte bekommen es gratis. Gegen die Hochzeitsaktion hätten sich viele Kommunen aus Kostengründen allerdings hinhaltend gewehrt, so Germanist Plöckinger: "Nur etwa die Hälfte aller deutschen Gemeinden nahm daran umfassend teil. Für die Verkaufszahlen spielte sie nur eine vergleichsweise geringe Rolle, nach dem Krieg diente sie allerdings als willkommenes Beispiel für die Zwangsverordnung eines, ungelesenen Bestsellers‘.“
Reich wird Hitler, der zehn Prozent Tantiemen bekommt, als Autor aber allemal: Allein im Jahr 1943 soll er 5,7 Millionen Reichsmark aus den Autorenrechten eingestreift haben.
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Die Meldeadresse von Adolf Hitler lautet offiziell Prinzregentenplatz 16, München, und in der bayerischen Landeshauptstadt befindet sich auch der NSDAP-Parteiverlag Franz Eher Nachfolger. Das ist der Grund, warum die US-Besatzungsbehörden nach dem Ende des Dritten Reichs die Urheberrechte an "Mein Kampf“ und den Schriften einer Reihe weiterer Nazi-Kapazunder an den Freistaat Bayern übertragen. Verbunden ist das mit dem Auftrag, die Verbreitung von nationalsozialistischer Propaganda zu verhindern.
Lange Zeit funktioniert das auch ganz gut. Gegen zwei Bücher, die wissenschaftlich kommentierte Auszüge aus "Mein Kampf“ enthalten, geht das mit der Wahrung der Urheberrechte befasste bayerische Finanzministerium nicht vor - und gegen die Neuauflagen im angelsächsischen Raum ist es machtlos. Wobei die dafür anfallenden Tantiemen in den USA und Großbritannien zumindest großteils an wohltätige Organisationen fließen.
Klassiker in Indien
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und mit dem Aufstieg des Internets setzt dann ein regelrechter Boom ein. In den meisten europäischen Reformstaaten des ehemaligen Ostblocks kommen Übersetzungen auf den Markt und werden oft umgehend verboten, wie eine Aufstellung des Germanistik-Professors Murray G. Hall zeigt. In Israel wird 1995 eine hebräische Ausgabe veröffentlicht, in der Türkei sind es 2004 gleich mehrere Übersetzungen. Und in Indien gilt "Mein Kampf“ als Klassiker.
Das hängt auch damit zusammen, dass Hitler dort als Erzfeind der Briten und somit der verhassten früheren Kolonialmacht wahrgenommen wird. Die britische Tageszeitung "Daily Telegraph“ fand vor ein paar Jahren heraus, dass Hitlers Werk besonders von indischen Business-Studenten begeistert konsumiert wird. Der Besitzer eines Verlags, der "Mein Kampf“ regelmäßig nachdruckt, erklärte: "Die Studenten sehen es als eine Art Erfolgsgeschichte eines Mannes, der eine Vision hatte, einen Plan entwarf und ihn dann erfolgreich in die Tat umsetzte.“ Eine, gelinde gesagt, originelle Synopsis des deutschen Bestsellers.
In Ungarn, wo rechtsextreme Tendenzen derzeit sehr stark verbreitet sind, wurde "Mein Kampf“ 1997 vom Budapester Stadtgericht verboten. Das Buch verletze die Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde von Mitmenschen und verstoße auch gegen die Pariser Friedensverträge von 1947, hieß es in dem Urteil. Das Gericht war aufgrund einer Klage der Jüdischen Kultusgemeinde in Ungarn tätig geworden. Diese hatte darauf reagiert, dass der rechtsextreme Autor und Landwirt Aron Monus 1996 "Mein Kampf“ in seiner eigenen Neuübersetzung auf den Markt gebracht hatte.
Online-Vertrieb in Ungarn
Das Urteil bewirkte, dass Hitlers Hasslitanei aus den offenen Auslagen der rechts-rechten Buchhandlungen verschwand. Gegen die rege Verbreitung über Internet oder seine Veräußerung bei Veranstaltungen der Rechtsextremisten unternehmen die ungarischen Behörden allerdings wenig. Monus vertreibt seine Übersetzung von "Mein Kampf“ weiter unbehelligt über seine eigene Webseite, als Paperback mit 368 Seiten zum Preis von 2961 Forint (zehn Euro). Die Gebrüder Gede, zwei umtriebige Verleger nationalsozialistischer und antisemitischer Literatur, bieten den Hitler-Klassiker im Hardcover für 4600 Forint (zirka 15 Euro) an.
Ein generelles Verbot des Vertriebs des Buchs ist heute ohnehin nicht mehr durchzusetzen. Im Internet lässt sich der Gesamttext auf Deutsch und Englisch auf diversen Websites schnell finden und herunterladen.
In diese Marktnische drängt nun auch noch der Brite McGee hinein, der bereits wegen seines Projekts "Zeitungszeugen“ in Deutschland einigermaßen umstritten ist. In den vergangenen Jahren brachte sein Verlagshaus Albertas Limited mehrmals Nachdrucke von Zeitungen aus der Nazi-Zeit auf den Markt, "vollständig nachgedruckt, von Experten kommentiert“, wie der Werbeslogan lautet - in Österreich 2008 etwa unter dem Titel "Nach-richten“. Als Berater fungierten dabei bereits prominente Historiker wie Hans Mommsen oder der Österreicher Gerhard Botz.
McGees Kurzversion von "Mein Kampf“ besteht aus drei Broschüren im Umfang von je 16 Seiten, die sich mit den Themenbereichen Biografie, Propaganda und Ideologie beschäftigen. Darin sind Originalzitate aus dem Buch wissenschaftlichen Erläuterungen, Analysen und Kommentaren gegenübergestellt.
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McGee argumentiert unter anderem damit, Hitlers Buch die "schwarze Magie“ nehmen zu wollen, die es umgibt: "Wenn es erst einmal entzaubert ist, kann es getrost dem Mistkübel der Literatur übergeben werden.“
Im profil-Interview bezeichnet der Verleger die Veröffentlichung des "unlesbaren Buchs“ mit unleserlich gemachten Passagen aus "Mein Kampf“ als "lächerlich“. Was immer der wahre Beweggrund des Verlags gewesen sein mag - Aufklärung oder kommerzielles Interesse -, das Ergebnis ist grotesk. Hitlers Buch im Deutschland des Jahres 2012 als unkenntlich gemachten Text an den Kiosken zu verkaufen, verleiht dem Autor posthum einmal mehr den Nimbus des verfemten Dichters, dessen Originalworte der Bevölkerung nicht zumutbar sind. Alles wäre besser gewesen als das. Mit dem "unlesbaren Buch“ wäre Hitlers "Mein Kampf“ heimgekehrt, und es wäre bestimmt kein triumphaler Empfang geworden. "Der beste Weg, schlechten Ideen zu begegnen, ist nicht, sie zu ignorieren, sondern ihnen ins Auge zu blicken“, sagt McGee.
Der demokratischen Reife unwürdig
Eine Neuauflage birgt keine Gefahr, dass sich die Geschichte wiederholt. Was jetzt kommt, ist Symbolismus. Umso peinlicher wirkt das aktuelle Fiasko. Eine weitere Debatte darüber, ob man Hitler lesen darf, ist der demokratischen Reife Deutschlands - und auch Österreichs - unwürdig. Auch Kultusgemeinde-Präsident Ariel Muzicant hat "prinzipiell nichts dagegen“, wenn "Mein Kampf“ wissenschaftlich seriös bearbeitet publiziert wird. Genau das nimmt der Dortmunder Journalistik-Professor Horst Pöttker, der den Kommentar zu den "Mein Kampf“-Auszügen verfasst hat, für sein Vorhaben in Anspruch. Im Interview mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa sagte Pöttker: "Das Ziel des Projekts ist, historisches Material, aus dem zu lernen ist, wie es zu den Schrecklichkeiten der damaligen Zeit kommen konnte, nicht nur Fachwissenschaftern, sondern einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“
Die Politikwissenschafterin Barbara Zehnpfennig ergänzt: "Die Bürger sollten die Möglichkeit haben, selbst nachzulesen, was Hitlers Intention und seine Antriebskräfte waren.“
Diese Möglichkeit werden sie nun doch nicht bekommen. Je nachdem, wie lange sich das Verfahren hinzieht, wird es vielleicht noch einige Jahre dauern, ehe "Mein Kampf“ endgültig in den Kiosken und in den Regalen der Buchhandlungen angekommen ist. Hitler würde die Erregung bestimmt freuen. Eine der hervorstechenden Eigenschaften von "Mein Kampf“ ist ein Übermaß an Zorn, Empörung und Eifer mit grotesk-komischen Zügen. Vermutlich ist indifferente Herablassung die adäquateste Art, dem cholerischen Wahnwerk "Mein Kampf“ zu begegnen.
Doch das scheint nicht ganz einfach zu sein.