Debakel statt Orakel

Superwahljahr. Die Meinungsforschung steht als Verliererin der Wahlen 2013 bereits fest

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„Wenn kommenden Sonntag Wahlen wären – wen würden Sie wählen?“
„Jörg Haider
„Aber gnädige Frau, mit Verlaub, der ist seit einigen Jahren tot.“
„Das ist mir egal.“

Dieser Dialog begab sich kürzlich zwischen einem Interviewer eines Meinungsforschungsinstitutes und einer Befragten. Mit derart krausen Antworten fangen die Probleme für die Meinungsforscher erst an, sollen sie doch entschlüsseln, wen die „gnädige Frau“ am ehesten wählen könnte: FPÖ? Doch BZÖ? FPK? Stronach? Ganz wen anderen? Niemanden? Und: Ist die Zuordnung der Aussage der Frau zu einer bestimmten Partei überhaupt noch Wissenschaft oder reines Daten-Vodoo?

Fest steht: Das p.t. Wahlvolk lässt sich immer schwerer durchleuchten. Die Wähler werden wankelmütiger, entscheiden sich sehr spät für eine Partei – und schwindeln ihre Interviewer noch dazu gerne an. Dazu kommen technische Kalamitäten: Die Zahl der Parteien wächst ins Unübersichtliche. Bei der Landtagswahl in Tirol am vergangenen Sonntag etwa kandidierten elf Listen, das macht Prognosen sehr kompliziert. Nicht zuletzt sind bestimmte Wählerschichten, besonders Jüngere, kaum zu erreichen – und wenn, dann nur am Handy. Kein Wunder, dass ein sicherer Verlierer des Superwahljahres 2013 bereits feststeht: die Demoskopen. Ihr Orakel gerät immer öfter zum Debakel – vor allem dann, wenn sie sich darauf einlassen, im Brustton der Überzeugung ein Wahlergebnis bis auf die zweite Kommastelle genau vorhersagen zu wollen.

„Derartige Prognosen sind teils nur Hokuspokus“, hält der Innsbrucker Politologe Gilg Seeber nüchtern fest. Der Beweis für diese wissenschaftliche Skepsis an der Meinungsforschung, die eben keine exakte Wissenschaft ist, lässt sich am besten in Kärnten finden. Die vergangenen beiden Wahlen dort gerieten zum Waterloo der Demoskopen: Vor dem Urnengang 2009 wurde aufgeregt ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ zwischen BZÖ und SPÖ prognostiziert. Tatsächlich kam Gerhard Dörflers BZÖ auf 45, die SPÖ auf 28 Prozent – das geht selbst bei großzügigster Auslegung nicht als „Kopf an Kopf“ durch. Für die Wahl im heurigen März wurde Dörflers FPK ein Ergebnis knapp hinter der SPÖ und bei rund 25 Prozentpunkten vorhergesagt. Am Wahlabend waren es dann kümmerliche 16,8 Prozent.
„Dieses Wahlergebnis vorherzusehen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Ich will nicht nach Ausreden suchen, aber dass es eine Partei so zerbröselt wie die FPK, ist ein Sonderfall, der nur alle 50 Jahre vorkommt“, seufzt Wolfgang Bachmayer vom OGM-Institut. Vor ein paar Jahren nahm er seine Zunft vor der anschwellenden Kritik sogar in einem offenen Brief in Schutz. Heute sagt Bachmayer: „Demoskopie braucht eine gewisse Grundstabilität der politischen Verhältnisse.“

Nur, die gibt es schon lange nicht mehr. Die Finanzskandalwahl in Salzburg (für die Bachmayer übrigens einen Sieg der ÖVP, die Konkurrenz dagegen – erraten – das beliebte Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert) hat besonders wenig „Stabiles“ an sich, die Tirol-Wahl mit ihren selbst für Polit-Feinspitze schwer zu durchschauenden zahlreichen ÖVP-Abspaltungen detto. Und auch die Nationalratswahl hat mit voraussichtlich drei (Stand: Ende April) erstmals bundesweit antretenden Parteien (Stronach, Neos, Piraten) experimentellen Charakter.

Nationalratswahl als Experiment
Eine Prognose stimmt daher sicher: Im Superwahljahr 2013 wird es so schwierig wie nie zu ermitteln, was die Wähler wollen könnten. Mehr Parteien steigern die Volatilität der Wähler zusätzlich – dabei wächst diese ohnehin ständig.

In den 1960er-Jahren, als Karl Blecha das Ifes-Institut gründete, war das ein vergleichsweise einfaches Geschäft: Rund 80 Prozent der Österreicher waren damals Stammwähler. Fünf Jahrzehnte später bleibt nur mehr ein Drittel seiner Partei von Wahl zu Wahl treu, das zweite Drittel wechselt innerhalb eines Lagers, etwa zwischen SPÖ und FPÖ oder zwischen ÖVP und BZÖ, und ein weiteres Drittel entscheidet sich je nach Stimmung und Nachrichtenlage. „Diese Stimmungen ändern sich schnell. Jede Umfrage, die jetzt zur Nationalratswahl gemacht wird, ist eine Momentaufnahme und keine Prognose für den Herbst“, warnt Sophie Karmasin, die unter anderem für profil befragt, vor Fehlinterpretationen von Umfragen.

Die sozialen Milieus, von Arbeitern bis zu den höheren Töchtern, sind zerbröselt und keine Bank für eine Partei mehr. Dazu kommt, dass jeder vierte Wähler erst in den letzten Tagen vor der Wahl entscheidet, wo er sein Kreuz macht. Die Gemengelage wird immer schwerer zu durchschauen, sagt Meinungsforscher Peter Hajek: „Wir sind keine Physiker, wir sind Sozialwissenschafter. Die ständig wachsende Beweglichkeit der Wähler und der rapide Zugang neuer Parteien macht es extrem schwer, die Stimmungslage einzufangen.“ Die politische Stimmungslage, wohlgemerkt. Denn andere Umfragen sind im Vergleich dazu babyleicht, erzählt Hajek: „Die Autobranche ist herrlich für Sozialforscher. Da erzählen die Leute bereitwilligst alles, bis hin zur Farbe des Armaturenbretts.“

Guter Sex und absolute Mehrheiten
Bei Sex und Politik hingegen wird gelogen und getäuscht. Würden die Meinungsforscher die Antworten zu diesen Themen für bare Münze nehmen, dann käme als Ergebnis der Umfragen heraus: Jeder Österreicher zwischen 14 und 91 hat mindestens vier Mal die Woche tollen Sex. Und die Grünen werden, wie jedes Jahr, an der absoluten Mehrheit kratzen.

Peter Ulram, ein Altmeister unter den Forschern, beschreibt das Phänomen so: „Ein Interview mit einem Umfrageinstitut ist eine soziale Situation, daher gibt man lieber an, eine nette Partei wie die Grünen zu wählen.“ Das kann ein kleiner Flunkerer sein, typischerweise von einem jungen Städter: Würde er wählen, bekämen die Grünen seine Stimme – wie viele junge Städter geht er aber dann doch nicht zur Wahl. Oder es kann eine glatte Lüge sein, weil man nicht verraten will, dass man FPÖ wählt. Ulram erzählt dazu gerne folgende Geschichte eines ungeplanten, aber aussagekräftigen Experiments: Vor ein paar Jahren hatte er in einer Woche zwei Umfragen laufen. In der ersten wurde nach Wahlabsichten gefragt; sechs Prozent gaben an, die FPÖ wählen zu wollen. In der zweiten Umfrage ging es eigentlich um die Einstellung zu Ausländern, danach wurden Parteien abgefragt – und 13 Prozent bekannten sich zur FPÖ. „Erst wenn die Leute glauben, man darf über das Thema reden, fällt die Antworthemmung weg“, analysiert Ulram.

Die Forscher wissen um diese Effekte und gewichten, mit einer Mischung aus Erfahrung und Empirik, die Antworten. Das macht die Ergebnisse zusätzlich fehleranfällig. Dazu kommt das Problem Mobiltelefon: Als noch jeder einen Festnetzanschluss hatte, war es leichter, repräsentative Stichproben zu erstellen. Der Computer würfelte die letzten Ziffern von Telefonnummern, und die Interviewer wussten, ob sie in Kleinstädten, in Gebirgsorten oder in Wien anriefen. Bei Anrufen auf Handys ist es komplexer, eine Gruppe von Befragten zusammenzustellen, die in etwa dem Bevölkerungsschnitt entspricht – aber fast ein Viertel der Wahlberechtigten hat gar keinen Festnetzanschluss mehr.

Selbst am Handy sind manche Wähler kaum zu kontaktieren oder zu einem Interview zu bewegen: „Junge Männer unter 30 Jahren, die schlecht gebildet sind, sind am allerschwierigsten zu erreichen“, weiß Imma Palme. Sie erforscht seit drei Jahrzehnten für das Ifes-Institut (und oft im Auftrag der SPÖ) die Stimmungslage und weiß aus der Erfahrung: „Eine aussagekräftige Stichprobe muss man sich leisten können – zeitlich und finanziell.“

Wenn manche Medien sofort möglichst spektakuläre Ergebnisse präsentieren wollen, ist beides unmöglich. Dann zählt nur aufgeregte Action, die mit seriöser Demoskopie wenig zu tun hat. Politologe Seeber würde sich daher ein wenig Deutschland in Österreich wünschen: Dort machen die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF und ARD seit Jahrzehnten regelmäßig monatlich ihre großen „Politbarometer“- und „Deutschlandtrend“-Umfragen. „Das nimmt der demoskopischen Berichterstattung das atemlos Sensationelle“, sagt Seeber.

In Österreich hingegen finden die prognostizierten Sensationen oft nicht statt, und die tatsächlichen Sensationen werden nicht angekündigt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Nationalratswahl 2006: Damals lag in allen veröffentlichten Umfragen die ÖVP unter Wolfgang Schüssel auf Platz eins. Josef Kalina, damals Bundesgeschäftsführer der SPÖ, erinnert sich, dass er kurz vor der Wahl aus Umfragedaten „zu erahnen begann“, dass es für Alfred Gusenbauer und die SPÖ zum Wahlsieg reichen könnte. Kalina behielt das lieber für sich. Wer weiß, wie die Wahl sonst ausgegangen wäre.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin