Mercosur: Das Freihandelsabkommen wird Wahlkampfthema
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lobte den „historischen Moment“ der Einigung auf ein Freihandelsabkommen der EU mit den vier Mitgliedern des südamerikanischen Staatenbundes „Mercosur“ – Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Am 28. Juni erklärte er am Rande des G20-Gipfels in Osaka: „In einer Zeit internationaler Handelsspannungen geben wir heute mit unseren Partnern aus dem Mercosur deutlich kund, dass wir für einen auf Regeln beruhenden Handel stehen.“ Es wäre das größte Handelsabkommen, das die EU jemals geschlossen hat: Allein die bisher auf EU-Produkte eingehobenen Zölle in der Höhe von jährlich vier Milliarden Euro würden bei Inkrafttreten wegfallen und so Europas Exporte ankurbeln. Dazu blieben die strengen EU-Vorschriften der EU bezüglich Umweltschutz, Arbeitnehmerrechten und Lebensmittelsicherheit weiter bestehen. Die Mercosur-Länder hätten sich auch zum Erhalt der Regenwälder und zu anderen Maßnahmen zum Klimaschutz verpflichtet. „Das Abkommen bringt beiden Seiten Vorteile“, so der Kommissionspräsident.
Doch nach der Euphorie folgten – wie meist in der EU – Rückschläge: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte an, das Abkommen nicht ratifizieren zu wollen. Vor allem aus Angst vor Protesten französischer Bauern nach dem abklingenden Aufstand der „Gelbwesten“. Frankreich verlangt Garantien zum Schutz des Regenwaldes am Amazonas und für eigene Rinderzüchter.
Auch aus Belgien, Polen, Irland und Österreich meldeten sich Kritiker des Abkommens zu Wort. Ablehnung signalisierten die Grünen, die FPÖ und SPÖ sowie Agrar- und Umweltverbände. Sie verlangen alle Nachverhandlungen in vielen Bereichen, obwohl das Abkommen im Wortlaut noch gar nicht veröffentlicht wurde. Widerstand kommt auch von Gewerkschaftsverbänden jenseits des Atlantiks: Viele Industriezweige würden mit den EU-Importen nicht mithalten, was Millionen Arbeitsplätze kosten könnte.
"Kein Ramschfleisch aus Südamerika"
Auch der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz mahnte zur Vorsicht, obwohl er 2017 den Freiheitlichen die Zustimmung zu EU-Freihandelsabkommen als Koalitionsbedingung abtrotzen konnte. Man müsse den heimischen Bauern den Rücken stärken, weil diese schwer mit den großen Agrarbetrieben in Südamerika konkurrieren könnten, schwenkte Kurz am 7. Juli in den Wahlkampfmodus um. Außerdem sei die Sicherheit der Lebensmittel in Gefahr. „In Österreich darf es kein Ramschfleisch aus Südamerika geben“, so Kurz.
Die EU wird freilich nur 100.000 Tonnen Rindfleisch aus Mercosur-Ländern zollfrei pro Jahr importieren, meist hochwertiges Steak-Fleisch. Bei einem Gesamtverzehr von acht Millionen Tonnen Rindfleisch pro Jahr in der EU fallen diese Importe, die schon jetzt in doppelter Menge trotz Zöllen stattfinden, kaum ins Gewicht. Kurz stellte aber klar, im Rahmen einer neuen Regierungsverantwortung dem Abkommen erst dann zustimmen zu wollen, wenn darin auch die finanzielle Absicherung der heimischen Landwirte gesichert sei.
In der EU-Kommission reagiert man auf die Kritik aus den Mitgliedsstaaten verärgert. Immerhin wurde über das Abkommen 20 Jahre lang verhandelt. Und die erzielte Einigung in diversen Kapiteln wurde stets den EU-Regierungen zur Kenntnis gebracht, so ein Sprecher der EU-Kommission. „Viele Punkte, die auch aus Österreich kritisiert werden, wurden in den Verhandlungen längst im Interesse der EU-Betriebe und Konsumenten geregelt“, so ein Sprecher. Gerade für EU-Bauern seien Schutzmaßnahmen und Ausgleichszahlungen von insgesamt einer Milliarde Euro vorgesehen.
Beide Seiten haben sich zu nachhaltigen und ökologischen Produktionsmethoden, zum Pariser Klimaschutzabkommen sowie zur Respektierung von geltenden Regelungen für den Arbeitsmarkt verpflichtet. Die EU darf bei Verletzungen dieser Prinzipien Schutzmaßnahmen beschließen und so auch Importe einschränken. In einem eigenen Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung werden die Erhaltung der Wälder, die Achtung der Arbeitnehmerrechte und die Förderung eines verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns festgelegt. Weiters wurde im parallel ausgehandelten Assoziierungsabkommen die Achtung der Menschenrechte und der Schutz indigener Völker verankert. Die EU und die Mercosur-Staaten dürfen weiter frei regeln, was sie im öffentlichen Interesse für richtig halten. Zudem können auch öffentliche Dienstleistungen weiterhin autonom organisiert werden.
Erinnerungen an CETA und TTIP
In Österreich erinnert die nun auch im Wahlkampf anlaufende Kampagne gegen das Mercosur-Abkommen an die früheren Widerstände gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada, „CETA“, das inzwischen ratifiziert wurde, und das Abkommen mit den USA, „TTIP“, das der neue US-Präsident Donald Trump selbst zur Makulatur machte. Und neuerlich meldeten sich die gleichen Akteure mit ähnlichen Argumenten zu Wort. Bauernbund, Landwirtschaftskammer und der Chef der Handelskette „Spar“, Gerhard Drexel, sehen wieder die heimische Landwirtschaft bedroht. Grüne und Gewerkschaftsvertreter warnen vor einer Aushöhlung der Vorschriften im Umweltbereich oder bei den sozialen Rechten. Der Agrana-Konzern befürchtet billige Zucker-Importe. Die „Kronen-Zeitung“ wettert täglich gegen das „Monster-Abkommen“, das nur Großkonzernen diene.
Doch im Wirtschaftsministerium wird auf profil-Anfrage darauf verwiesen, dass Österreich in die Verhandlungen stets eingebunden war „und seine Position – auch zu den nun medial debattierten Themen einbrachte“. So sei es gelungen, ein Nachhaltigkeitskapitel einschließlich Vorsorgeprinzip ins Abkommen zu verankern, obwohl dies ursprünglich nicht im Mandat für die Verhandlungen vorgesehen war.
Die amtierende Wirtschaftsministerin Elisabeth Udolf-Strobl betont, dass eine endgültige Bewertung des Abkommens erst nach Vorlage der finalen Texte möglich sei. Österreich bekenne sich zu Freihandelsverträgen, wenn sie „sinnvoll und von hoher Qualität“ seien. „Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob so große und umfassende Freihandelsabkommen heute noch zeitgemäß sind. Freihandel kann nicht alle Probleme der Welt lösen. Die Zukunft gehört modernen und fokussierten Abkommen, wie etwa mit Kanada oder Japan, die beide ein Erfolg und Gewinn für Österreichs Wirtschaft sind“, so Udolf-Strobl.
Als „Chance für heimische Betriebe und Arbeitsplätze“ bewertet ÖVP-Abgeordneter Karl-Heinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich, das Abkommen mit den vier südamerikanischen Ländern. „In Zeiten drohender Handelskriege ist die Einigung zwischen der EU und Mercosur gerade für ein exportorientiertes Land wie Österreich ein wichtiges Signal für freien Handel und gegen Abschottung“. Die größten Vorteile für heimische Exporteure seien der Abbau von Zöllen, ein hoher Grad von Rechtssicherheit bei Geschäften mit den Mercosur-Ländern sowie die Reduzierung bürokratischer Hemmnisse. Mit dem Abkommen stehe für heimische Betriebe ein Markt mit 260 Millionen Einwohnern offen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre erwartet die EU eine Verdoppelung der Exporte in die Mercosur-Länder. „Das bedeutet mehr Arbeitsplätze und mehr Wohlstand für Österreich.“
Davon muss Kopf nun noch seinen Parteichef Kurz überzeugen.