Mernyi zur SPÖ: "Wenn das so weitergeht, radieren wir uns selbst aus"
Gewerkschafter Willi Mernyi outet sich als Fan von Andreas Babler und glaubt, dass der neue SPÖ-Chef mit seinem Linkskurs Wahlen gewinnen kann – wenn er nicht durch interne Querschüsse beschädigt wird.
Die mächtigen roten Gewerkschafter hatten sich vor dem SPÖ-Parteitag ein Schweigegelübde auferlegt. Sie wollten sich offiziell aus dem Streit heraushalten. Nun erklärt mit Willi Mernyi der erste führende Gewerkschafter, warum er aus Überzeugung Andreas Babler wählte – und was er sich vom neuen SPÖ-Chef erwartet.
Haben Sie am Parteitag für Andreas Babler gestimmt?
Mernyi
Natürlich.
Politikwissenschafter Peter Filzmaier bezeichnete Babler als „hochstilisierten Pseudoheld einer Twitter-Blase“ und entschuldigte sich später dafür. Kaum jemand hat Babler den Sieg zugetraut. Wie hat er das geschafft?
Mernyi
Andi Babler ist nicht Bernie Sanders. Aber das Phänomen ist dasselbe: Die Parteiführung hat ihn lange nicht ernst genommen. Als zum Start der Mitgliederbefragung Tausende in die SPÖ eingetreten sind, weißt du als erfahrener Kampagnenmanager: Da entsteht eine Bewegung.
Die SPÖ hat chaotische Wochen hinter sich. Wie groß ist der Schaden?
Mernyi
Ich lasse mich ja gerne als Klassenkämpfer verunglimpfen, aber nicht als unfähig. Das tut doppelt weh.
Nicht gerade ein Traumstart für den neuen Parteichef.
Mernyi
Die Unprofessionalität hat ihn um den Triumph am Parteitag gebracht. Stellen wir uns vor, der wäre bereits in Linz als Sieger festgestanden. Das wäre das Märchen schlechthin gewesen. Der linke Basis-Underdog schlägt das Parteiestablishment – das ist die perfekte Story. Nur: Wen interessiert die jetzt? Das finde ich schade, dass er jetzt diese peinliche Sache erklären muss.
Kritiker sagen, er sei zu links für die Macht.
Mernyi
Na hallo, wenn man schon Angst vor der Forderung nach einer 32-Stunden-Woche hat, wird man sie nie umsetzen. Wenn ein Mensch Vollzeit arbeitet, muss er seine Familie davon ernähren können. Ist das wirklich marxistisch? Das ist doch geradeaus sozialdemokratisch. Hinter dem müssen wir uns alle versammeln.
Lange galt in der SPÖ ja eine mittige Positionierung als erfolgsversprechend.
Mernyi
Wo haben uns denn die Tony Blairs und Gerd Schröders hingeführt? Ich halte weder was von einem unklaren Mittelweg, noch von einem Anbiedern nach rechts.
Ist Hans Peter Doskozil für Sie ein Rechter?
Mernyi
Diesen Vorwurf habe ich ihm nie gemacht. Aufgrund meiner antifaschistischen Grundhaltung bin ich wahnsinnig vorsichtig mit so einer Zuschreibung. Er ist nicht rechts, aber er vertritt oft nicht meine Positionen. Ich halte den Mindestlohn für den verkehrten Weg. Und ich habe auch am Parteitag diese sinnlose Quotengeschichte, die er dort angezettelt hat, nicht verstanden.
Die meisten Landesparteichefs waren im Doskozil-Lager, sie waren überzeugt davon, dass nur er einen Kanzler Herbert Kickl verhindern kann. Wie sehen Sie das?
Die Delegierten brauchen im Jahr 2023 keinen Landesparteichef mehr, der ihnen sagt, wie sie stimmen sollen. Die haben mit ihrem Herz entschieden.
Mernyi
Bei manchen frage ich mich, ob sie die Richtigen sind, um Tipps zu geben, wie man Wahlen gewinnt. Schon die SPÖ-Innenminister Karl Schlögl und Franz Löschnak haben es mit einem restriktiven Kurs versucht. Die haben das überzeugend vorgetragen aber es war immer falsch. Denn den Aufstieg der FPÖ hat das nicht verhindert.
Trotzdem: Unter den Landesparteichefs hat Babler wenig Fans.
Mernyi
Ich wäre vorsichtig mit den Landesparteien. Wir wissen, dass Babler nicht alleine durch die Stimmen von Wien und der Gewerkschaft gewonnen hat. Das geht sich gar nicht aus. Die Delegierten brauchen im Jahr 2023 keinen Landesparteichef mehr, der ihnen sagt, wie sie stimmen sollen. Die haben mit ihrem Herz entschieden.
Wenn wir uns heute nicht zusammenreißen, gibt es uns morgen nicht mehr. Dann heißt es: Ende Gelände, Sozialdemokratie.
Kann die SPÖ mit Andreas Babler Wahlen gewinnen?
Mernyi
Kann die KPÖ ein zweistelliges Ergebnis in Salzburg einfahren? Kann konsequente linke Politik Wahlen gewinnen? Ganz ehrlich: Ich sage ja.
Die Bruchlinie in der SPÖ könnte man so zuspitzen: Wien gegen den Rest der Länder.
Mernyi
Diese Querschüsse, die es gegen Rendi-Wagner gab, müssen jetzt aufhören. Wenn das so weitergeht, radieren wir uns selbst aus. Babler muss mit allen Landesparteien auf Gerade kommen. Aber ein Wienbashing brauchen wir halt auch nicht.
Beobachten Sie in der SPÖ ein Wienbashing?
Mernyi
Ich merke es beim politischen Gegner und möchte verhindern, dass das in unserer Partei Einzug hält, immer mit dem Finger auf die Wiener zu zeigen. Die machen Politik für die Wiener. Die Steirer machen Politik für die Steirer. Da müssen wir einen Konsens finden.
Zuletzt fiel die SPÖ ja nicht gerade mit Disziplin auf. Warum sollte das jetzt anders werden?
Mernyi
Wenn wir uns heute nicht zusammenreißen, gibt es uns morgen nicht mehr. Dann heißt es: Ende Gelände, Sozialdemokratie. Wenn Journalisten ganz genau wissen, was wir im Parteivorstand diskutieren, dann stimmt etwas nicht. Es sind Menschen gestorben für die Idee der Sozialdemokratie. Wir sollten mit dem Erbe anders umgehen, als wir es jetzt tun.
Sie kennen Andreas Babler seit Jugendtagen. Wie wird er seine Rolle jetzt inhaltlich anlegen?
Mernyi
Er wird die Themen forcieren, die er am Parteitag angesprochen hat: Kinderarmut bekämpfen, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Frage des Respekts für Menschen, die arbeiten gehen. Und natürlich die ungerechte Vermögensverteilung.
Im internen Wahlkampf holte ihn ein altes Video ein, in dem er die EU als „aggressives militärisches Bündnis“ bezeichnete. Ist das die neue SPÖ-Linie?
Mernyi
Natürlich ärgere ich mich manchmal über das Europa der Konzerne. Aber den Vergleich mit dem Militärbündnis teile ich nicht.
Die proeuropäische Ausrichtung der SPÖ wird sich nicht ändern?
Mernyi
Nein. Das wäre fatal.
Die SPÖ hat einige wichtige Positionen zu besetzen. Wird Babler auf Doskozil zugehen?
Mernyi
Ich bin überzeugt, dass sich Babler – so wie auch Michael Ludwig nach seinem Sieg über Andreas Schieder – die besten Köpfe suchen wird. Wenn er jetzt in meinen und deinen Kandidaten denkt, verliert er.
Es gab auch viel Kritik an der Führung der Parteizentrale. Was kann Babler ändern?
Mernyi
Der Andi redet nicht nur von Demokratie, der ist so. Es sind wirklich viele Menschen beigetreten, damit sie ihn unterstützen können. Er wird sicherlich einen Prozess aufbauen, um die Leute einzubinden. Es wäre auch sinnvoll, jetzt wieder eine Mitgliederoffensive zu starten.
Sollen Julia Herr und Eva-Maria Holzleitner künftig eine stärkere Rolle spielen?
Mernyi
Jeder Parteivorsitzende wäre gut beraten, die beiden in sein Team zu holen.
Sie waren in der Vergangenheit auch immer wieder im Gespräch für die Führung der Löwelstraße.
Mernyi
Es gibt keinen schöneren Job als Bundesgeschäftsführer der FSG. Das habe ich noch jedem Parteivorsitzenden gesagt.