Interview

Warum will sich die ÖVP nicht von Kurz abgrenzen, Herr Ikrath?

Michael Ikrath war bis 2013 ÖVP-Justizsprecher im Nationalrat und initiierte im Vorjahr das Antikorruptions-Begehren mit. Er erklärt, warum sich seine Partei so schwertut, das Erbe von Sebastian Kurz aufzuarbeiten.

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Wie geht es Ihnen als ÖVP-Mitglied mit den Korruptionsvorwürfen gegen Ihre Partei?
Ikrath
Es übernimmt niemand Verantwortung. Als dieses Familienunternehmen von Sebastian Kurz in Konkurs gegangen ist und er und sein enger Kreis abtreten mussten, hatte ich große Hoffnungen, dass mit Karl Nehammer ein Richtungswechsel stattfindet. Ich hoffte, dass die ÖVP Verantwortung für die Fehler übernehmen  und einen Schwerpunkt in der Korruptionsbekämpfung setzen würde. Ich war sehr traurig, als das erste Statement lautete: Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem. Damit war die Chance auf einen neuen Stil – und zwar einen ernsthaften – eigentlich schon wieder vertan. Das wirklich Schlimme ist: Den massiven Vertrauensverlust werden wir noch lange spüren.
Warum tut sich die ÖVP mit einer glaubwürdigen Abgrenzung von Sebastian Kurz so schwer? 
Ikrath
Den amtierenden Parteichef beneide ich um seine Aufgabe in keinster Weise. Er hat in seinen Reihen viele Abgeordnete, die ihre Mandate nur wegen Sebastian Kurz erhalten haben. Diese Vertreter haben eine gewisse Dankesschuld gegenüber Kurz und bekleiden nach wie vor Schlüsselpositionen im Parlament – von Wolfgang Sobotka bis August Wöginger.
Das ist die interne Sichtweise. Aber ein Schlussstrich nach den ganzen Skandalen müsste doch allein schon im strategischen Interesse der Partei liegen.
Ikrath
Ich verstehe auch nicht, warum man nicht die Flucht nach vorn angetreten und gesagt hat: Ja, Österreichs Politik hat ein Problem mit Korruption. Das betrifft ja nicht nur den Bund, sondern auch Länder wie Wien. Dort wird auch nicht immer mit Anstand und Integrität gearbeitet. Deswegen sind wir in allen internationalen Korruptions-Rankings dramatisch abgestürzt. Da müsste der Kanzler jetzt sagen: Gehen wir gemeinsam gegen dieses Gift vor.
In Hintergrundgesprächen rechtfertigen sich aktive ÖVP-Politiker derzeit so: Interventionen wären eben Teil des politischen Alltags. Ist das so?
Ikrath
Eine Intervention muss nicht immer problematisch sein. Wenn Missstände in der Verwaltung von einem Bürger an seinen Volksvertreter herangetragen werden und durch die Intervention eine Korrektur erfolgt, dann ist das in Ordnung. Deshalb hat der Bürger ja seine Mandatare. Problematisch wird es nur dann, wenn eines der Grundprinzipien unserer Verfassung, die Gleichheit vor dem Gesetz, missachtet wird. Wenn persönliche Vorteile durch Parteimitgliedschaften erzielt werden, dann wird eine Intervention giftig. Dann darf der jeweilige Adressat dieser Intervention keinen Raum geben, das liegt in der Verantwortung des Politikers, die kann ihm keiner abnehmen.
Nach den Vorwürfen durch Thomas Schmid gab es keinen einzigen Rücktritt.
Ikrath
Ich halte es für ziemlich verheerend, dass die Orientierung in der Politik zunehmend nur am Strafrecht stattfindet. In unserer bürgerlichen Partei hat es einmal Anstand und Verantwortungsbewusstsein für das Ganze gegeben, jenseits des Strafrechts – das muss wieder mehr zum Tragen kommen. 
Im Regierungsprogramm findet sich kein Vorhaben, um Postenschacher einzudämmen. Bräuchte es gesetzliche Verschärfungen?
Ikrath
Aus meiner persönlichen politischen Erfahrung komme ich immer wieder zu einem Schluss: Wir kriegen das nur dann in den Griff, wenn Menschen in wichtigen Positionen einfach anständig handeln. Natürlich bedarf es einer konsequenten Postenschacher-Bekämpfung durch entsprechende Gesetze. Unser Antikorruptions-Begehren hat über 70 konkrete Vorschläge gegen alle Formen von politischer Korruption formuliert, man müsste diese nur umsetzen. Das ist aber der einfachere Teil. Das schwierigere ist, dass die Amtsträger sich auch daran halten. Korruption ist so verheerend, weil damit der Anspruch auf gleiche Chancen infrage gestellt wird. Wenn Bewerber für Jobs oder Anbotleger aus der Wirtschaft nicht die Sicherheit haben, dass nach Qualität beurteilt wird, dann wird es dazu führen, dass wir in der Verwaltung inkompetente Beamte haben und gewisse Unternehmen in Österreich gar nicht mehr anbieten.  

 

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Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.