Michael Ludwig: Achtung SPÖ!
Das Wichtigste zuerst: Gut, dass Bernhard Heinzlmaier aus soziologischer, bisweilen polemischer Sicht (niemand glaubt, die Wiener SPÖ könne mit „Bobos“ allein Mehrheitspartei bleiben) manche Probleme der Sozialdemokratie beleuchtet hat (profil 18/2017). Ebenso gut, dass sich mit Renate Brauner eine hochrangige Kommunalpolitikerin dieser Debatte gestellt hat (profil 20/2017), bisweilen ebenso polemisch (auch Heinzlmaier will wohl um Österreich keine Mauer errichten). Am besten, dass sich daraus vielleicht eine Chance ergibt, einen unproduktiven „Grabenkampf“ zu beenden. Denn beide Positionen, die der sogenannten „Bobo-Bezirke“ und die der bevölkerungsstarken, stimmen im Wesentlichen überein: Die SPÖ (nicht nur die Wiener SPÖ) wird nur dann weiter erfolgreich sein, wenn sie sowohl die Interessen der – vor allem schlechter verdienenden – Lohnabhängigen vertritt wie auch jene der – vor allem „kleinen“ – Selbstständigen, jene der ArbeiterInnen und Angestellten, der in Ausbildung wie in Pension Befindlichen wie auch jene, die nur Teilzeitverträge – oft auch noch befristet – haben oder sich darum bemühen. Kurzum, eben all jener, die „sich jeden Tag anstrengen müssen, um ihre Familie zu erhalten“ (Bundeskanzler Christian Kern).
Leichter geschrieben als getan. Nach Ende von Faschismus und Weltkrieg konnten es sich viele aus der Arbeiterbewegung endlich gut gehen lassen, bescheidenen Wohlstand genießen und das Gefühl haben, dass es ihre Kinder und Kindeskinder noch ein Stück besser haben würden. Sie wurden soziologisch zur Mittelschicht, emotional blieben sie weiter der Sozialdemokratie verbunden. Speziell Bruno Kreisky hatte es geschafft, die SPÖ als Bündnis zwischen den „kleinen Leuten“ und jenen zum Erfolg zu führen, die mit ihr „ein Stück des Weges“ gemeinsam gingen – den jungen Aufsteigern (das Wirtschaftsprogramm 1968 unter Kreisky und Androsch nannte sich „Leistung-Aufstieg-Sicherheit), jenen, die für die Emanzipation und Selbstbestimmung der Frauen kämpften, für eine Bewahrung der Umwelt und des Friedens, gegen die autoritär-kleinbürgerlichen Muster der Nachkriegszeit und für demokratisch-liberale Lebensentwürfe. Bald bildeten sich aus Frauen-, Öko- und Friedensbewegung stabile Bündnispartner für die klassische Arbeiterbewegung. Schon damals predigte Karl Blecha die nötige „Versöhnung zwischen Ökonomie und Ökologie“, versuchte Michael Häupl einen „rot-grünen Anstoß“ zu geben, gründete Josef Cap eine „rot-grüne Plattform“. Nur dieses geistige Bündnis zwischen Arbeiterbewegung und „neuen Mittelschichten“ konnte der Sozialdemokratie lange im Sinne von Antonio Gramsci die „geistige und kulturelle Hegemonie“ erhalten und es Franz Vranitzky (mit verantwortungsvollen Kontrahenten wie Mock und Busek) ermöglichen, Österreich in die EU zu führen.
In einer Welt, die scheinbar aus allen Fugen gerät, suchen viele Menschen Halt.
Dieses Kernelement der Sozialdemokratie wurde spätestens 2008 durch die internationale Finanzkrise bedroht. Viele Eltern mussten sich um ihren Job und die Perspektiven ihrer Kinder sorgen. Die Flüchtlingsströme wurden als zusätzliche Bedrohung der eigenen Situation empfunden. Nationalistische Rechtspopulisten gewannen an Einfluss, versuchten die realen Sicherheits- und Integrationsprobleme zu nutzen – auch in Wien: Nur eine starke Sozialdemokratie mit ihrem starken Bürgermeister konnte deren Ansturm auf das Rathaus 2015 – unter den damals einmaligen Umständen einer beeindruckenden Solidarität mit Schutzsuchenden – abwehren.
Wie die SPÖ in Zukunft mit der FPÖ umzugehen hat, wird sehr stark von deren Inhalten und Positionen (Stichwort Kriterienkatalog), aber auch von den handelnden Personen abhängig sein. Eine – seit 1986 im Bund und in Wien bis heute – inhaltlich begründete Abgrenzung zur FPÖ ist keine Ausgrenzung, sie darf aber nicht zur Doktrin erstarren – und sie darf kein Politikersatz werden.
Das gilt auch für die Wiener SPÖ. Sie zeichnet bis heute für das hervorragende Funktionieren dieser Stadt verantwortlich. Wien zählt zu den lebenswertesten Metropolen der Welt. Aber Wien wächst, 2020 könnte die Zwei-Millionen-Grenze erreicht werden. Damit wächst auch soziales Konfliktpotenzial.
Für die einen ist Globalisierung und Internationalisierung eine Bereicherung des Lebens – etwa durch Studienmöglichkeiten in anderen Ländern (die sich unsere Generation immer wünschte) –, für andere ist es zusätzlicher Druck auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. In einer Welt, die scheinbar aus allen Fugen gerät, suchen viele Menschen Halt. Und diesen Halt, Sicherheit und Heimat muss die Sozialdemokratie mit zeitgemäßen Angeboten vermitteln.
Entscheidend ist aber unser Kampf an „alten“ Fronten: für soziale Gerechtigkeit, Mindestlöhne und niedrigere Mieten, gegen Steuerprivilegien und Dumpinglöhne, auch für strenge, aber gerechte Zuzugs- und Aufenthaltsregeln. Die SPÖ muss sich weiter (oder wieder) als Klammer für solch widersprüchliche Interessen anbieten, es gibt keine Alternative zur Kompromisssuche. In diesem Sinn: Ja zu einer – auch hitzigen – inhaltlichen Debatte, inner- und außerhalb der Partei, aber ohne persönliche Diffamierung.