Nehammer will die Lohnnebenkosten senken. Da müsste doch die SPÖ dafür sein, dadurch sinkt die Steuerbelastung auf Arbeit.
Ludwig
Viele Lohnnebenkosten finanzieren Sozialleistungen, von der Arbeitslosen- über die Kranken- bis zur Pensionsversicherung und zu Familienleistungen. Will man da kürzen? Oder gibt es Gegenfinanzierung? Beides ist nicht klar, daher bin ich skeptisch.
Alle Experten sagen, dass die Steuern auf Arbeit zu hoch sind. Es ist doch sinnvoll, wenn die Steuerquote sinkt.
Ludwig
Es gibt ein Ungleichgewicht zwischen Einkommen aus Vermögen und Einkommen aus Arbeit. Daher gehört Arbeit entlastet. Aber man muss dazusagen, welche sonstigen Einnahmen man erschließen oder welche Sozial-Leistungen man reduzieren möchte. Die SPÖ schlägt die Besteuerung von sehr hohen Erbschaften und Vermögen vor. Der Plan der ÖVP zur Gegenfinanzierung steht aus.
Nehammer will das Arbeitslosengeld kürzen, um stärker zum Arbeiten zu animieren.
Ludwig
Davon halte ich gar nichts. Wenn man will, dass mehr Menschen arbeiten, muss man sie besser qualifizieren. Das wird man mit gesenktem Arbeitslosengeld nicht erreichen. Das führt nur zu steigender Familienarmut.
Sie haben jetzt viele Punkte aus dem ÖVP-Plan für den falschen Weg erklärt. Könnten ÖVP und SPÖ überhaupt zusammenarbeiten?
Ludwig
Sicher, in manchen Punkten durchaus, etwa beim Ausbau der Kinderbetreuung oder beim Ausbau der Infrastruktur. Den Ausbau der Stromnetze etwa halte ich für ein unterschätztes Thema, das ist für Alternativenergie wie Photovoltaik sehr wichtig. Da gäbe es Grundlagen für eine Zusammenarbeit nach der Wahl. Der ÖVP-Obmann wird sich bewusst sein, dass er nicht alles durchsetzen wird, außer die ÖVP schafft eine absolute Mehrheit. Man weiß allerdings nicht, wann die Nationalratswahl stattfinden wird. Die ÖVP analysiert offenbar Tag und Nacht Pro und Contra, was aus ihrer Sicht das Beste ist. Es ist auf jeden Fall gut zu sehen, dass die SPÖ auf Bundesebene vorbereitet ist, egal, wann der Wahlgang kommt.
SPÖ-Chef Andreas Babler nennt den ÖVP-Plan eine „Verarsche“. Sie klingen anders.
Ludwig
Ich trete für eine neue politische Kultur ein. Denn es gilt, große Herausforderungen zu meistern. Da sollten wir uns nicht in Symbolthemen und in parteipolitischem Hick-Hack verlieren. Denn eine gewisse Vertrauensbasis zwischen den demokratischen Parteien wird notwendig sein, um sich Koalitionen vorstellen zu können. Daher ist es wichtig, nicht schon vor der Wahl alle Brücken abzureißen, sondern auch darüber nachzudenken, wo es Kompromissvarianten geben kann.
Reißt man mit Kraftausdrücken wie „Verarsche“ oder „geht mir am Hammer“ von ÖGB-Chef Wolfgang Katzian Brücken ab?
Ludwig
Es gibt auch nicht gerade freundliche Äußerungen über SPÖ-Politiker. Man darf in der Politik nicht zu heikel sein. Aber im Regelfall sind Kraftausdrücke nicht förderlich. Natürlich müssen sich Parteien unterscheiden, im Wahlkampf geht es pointiert zu. Aber man sollte immer aufpassen, dass man keine Brücken abbricht, die man nach der Wahl braucht. Dabei geht es auch um Glaubwürdigkeit. Niemand sollte Koalitionen ausschließen und dann nach der Wahl doch eingehen. Das ist keine leichtfertige Entscheidung.
Es war also ein Fehler, dass Babler eine Koalition mit der ÖVP ausschließt, wenn diese gegen Reichensteuern ist?
Ludwig
Die SPÖ schließt nur eine Koalition mit der FPÖ aus. Das ist keine Sache von Sympathie oder Bauchgefühl. Aber das macht deutlich, dass die SPÖ ein diametral anderes Menschen- und Gesellschaftsbild als die FPÖ hat.
Ist Herbert Kickl rechtsextrem?
Ludwig
Er behauptet selbst, dass er diesen Vorwurf wie einen Orden trägt. Daher kann man ihn als rechtsextrem bezeichnen, zuletzt hat es der Bundeskanzler getan. Und wenn er davon spricht, eine Koalition mit der Kickl-FPÖ auszuschließen ist das für mich eine Phantomdiskussion- es gibt nur eine FPÖ.
Sie gelten als Fan eines Revivals der SPÖ-ÖVP-Koalition. Versuchen Sie die Weichen für diese mittelgroße Koalition zu stellen?
Ludwig
Ich versuche die Weichen dafür zu stellen, dass jene Parteien zusammenarbeiten, die sich gemeinsame Ziele vorstellen können, in der Wirtschafts- oder Sozial- und Europapolitik. Daher bin ich ein großer Freund der Sozialpartnerschaft und versuche in Wien mit ÖVP, Grünen und Neos gut zusammenzuarbeiten. Diese vier Parteien haben nun in Wien gemeinsam beschlossen, eine Europaschule auf den Weg zu bringen. Jetzt ist eine gute Zeit zu zeigen, dass diese vier Parteien gemeinsame Werte haben – trotz aller Unterschiede. Die Wählerinnen und Wähler erwarten sich von der Politik Problemlösungen und nicht nur parteipolitisches Hick-Hack.
Aber die Große Koalition steht für Lähmung, war mitverantwortlich für den Aufstieg der FPÖ.
Ludwig
Die sogenannte Lähmung in der Großen Koalition ist von Quertreibern wie Sebastian Kurz bewusst herbeigeführt worden, um die Regierung mit der FPÖ vorzubereiten. Da wurde alles versucht, um gute Lösungen zu hintertreiben, etwa wenn ein Bundesland gegen den Ausbau der Kinderbetreuung aufgehetzt werden sollte.
Die Lähmung gab es schon vor Sebastian Kurz.
Ludwig
In weiten Teilen der Zweiten Republik gab es unter der Großen Koalition große Fortschritte. Es war auch ein Ergebnis dieser manchmal schwierigen, aber sehr wirksamen Regierungsform, dass Österreich unter den wohlhabendsten und sichersten Ländern ist.
Kann man die FPÖ, falls sie stärkste Partei werden sollte, von der Regierung ausschließen?
Ludwig
Dass man den ersten Platz bei einer Nationalratswahl erlangen kann und trotzdem nicht den Bundeskanzler stellt, diese Erfahrung haben wir als SPÖ 1999/2000 gemacht. Selbst wenn die FPÖ Erste wird, muss sie erst einen Regierungspartner finden. So wie es 1999 war, damals hat Wolfgang Schüssel entgegen aller Versprechungen mit der FPÖ koaliert.
Ob sich die SPÖ überhaupt Gedanken über eine Koalition machen braucht, hängt vom Wahlergebnis ab. Vor rund einem Jahr eskalierte der parteiinterne Streit mit Mitgliederbefragung und Kampfparteitag, seither kommt Parteichef Andreas Babler nicht vom Fleck. Woran liegt das?
Ludwig
Vieles ist in Bewegung, auch wegen der Polykrisen. Vor einem guten Jahr lagen wir bei 30 Prozent auf Platz 1. Auch jetzt ist nichts entschieden, ich bin überzeugt, dass es bei der Nationalratswahl ein knappes Rennen zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ gibt. Die Chance, Erster zu werden, ist für die SPÖ aufrecht. Dafür müssen wir allerdings gemeinsam auftreten. Da gab es im letzten Jahr Luft nach oben.
Nicht nur im letzten Jahr: Burgenlands Hans Peter Doskozil und Tirols Georg Dornauer widersprechen Andreas Babler bei jeder Gelegenheit, Sie lassen ihn allein wursteln.
Ludwig
Ich werde meinen Beitrag leisten, dass es Geschlossenheit gibt. Denn die Gegner der SPÖ sitzen nicht in der eigenen Partei. Die Wiener SPÖ steht loyal zur Bundespartei. Wir werden alles für ein gutes Wahlergebnis tun.
Wie müssen wir uns Ihren Beitrag für Geschlossenheit vorstellen: Reden Sie auf Doskozil ein?
Ludwig
Ich habe im letzten Jahr sehr viele Gespräche mit Doskozil geführt. Es ist alles besprochen. Er wird seinen Weg gehen und ich meinen. Wir arbeiten weiterhin auf Ebene der Landeshauptleute zusammen.
Klingt nicht nach enger Parteifreundschaft. Ist der akzentuierte Linkskurs von Babler erfolgsversprechend oder müsste die SPÖ mehr in die Mitte?
Ludwig
Wir in Wien sind in Regierungsverantwortung und versuchen einen sehr breit aufgestellten Weg zu gehen. Auf Bundesebene ist die SPÖ in Opposition, dort entscheidet der Parteivorsitzende den Kurs.
Wie soll die SPÖ mit der Konkurrenz von links, der Bierpartei, umgehen?
Ludwig
Man wird sehen, ob die Bierpartei überhaupt antritt. Wir können uns Mitbewerber nie aussuchen. Daher sollten wir nicht zu sehr auf andere Parteien schielen, sondern den eigenen Weg konsequent gehen. Das kann ich allen in der SPÖ empfehlen.
Die FPÖ punktet mit dem Migrationsthema. Die ÖVP will Sozialleistungen für Asylwerber reduzieren. Braucht es schärfere Migrationspolitik?
Ludwig
Asylwerber in Heimen bekommen 40 Euro – nicht pro Tag, sondern pro Monat, für Hygieneartikel oder Fahrscheine. Da wüsste ich nicht, wo man einsparen kann oder was eine Umstellung auf Sachleistungen bringen soll. Das ist populistisch, mehr nicht. Klüger wäre es, Lösungsvorschläge zu liefern, nicht nur Überschriften.
Auch Ihr Koalitionspartner, die Neos sagen: Die Schulen in Wien sind am Limit. Da wird ignorieren nicht helfen.
Ludwig
Wir haben allein im vorigen Schuljahr tausende Kinder aus der Ukraine ins Schulsystem integriert. Natürlich fordert uns das ungemein. Wien ist das einzige Bundesland, das die Quote bei Asylwerbern erfüllt. Daher erwarte ich mir konkrete Unterstützung des Bundes. Eigentlich gibt es ja ein Integrationsministerium.
Jeder fünfte Arbeitslose in Wien ist Flüchtling. Was ist Ihr Lösungsvorschlag?
Ludwig
Es ist wichtig, Menschen schnell in Arbeit zu bringen. Wir brauchen dringend Arbeitskräfte. Daher sollten wir Nostrifizierungen beschleunigen und Ausbildungen schneller anerkennen. Das dauert zu lange. Bildungsabschlüsse etwa von ukrainischen Flüchtlingen werden nur langsam anerkannt, auch in der Pflege, wo dringend Arbeitskräfte gesucht werden und Ukrainerinnen arbeiten möchten. Neben der Sprache ist Arbeit der wichtigste Schritt zur Integration.
Glauben Sie, dass Sie so FPÖ-Wähler zur SPÖ holen?
Ludwig
In der Politik sollte nicht nur Taktik Gültigkeit haben. Taktik ist nur das Sahnehäubchen in der Politik. Die wesentliche Aufgabe ist, Herausforderungen zu lösen. Wir haben die Flüchtlinge nicht eingeladen, sie sind aber da, wir müssen mit ihnen umgehen. Wir sollten nicht in den Wettbewerb eintreten, wer die grauslichsten Vorschläge macht. Sondern die demokratischen Kräfte sollten in den Wettbewerb um Lösungsansätze eintreten.
Was machen die anderen Parteien falsch, dass die FPÖ fünf Jahre nach dem Ibiza-Skandal so stark ist?
Ludwig
Die FPÖ sammelt den Zorn ein und bündelt ihn zu Wut. Da spielen emotionelle Kriterien mit, Lösungsansätze hat die FPÖ keine. Das ist kein österreichisches Phänomen, das sieht man in Europa und in die USA, wo ein Sturm aufs Kapitol möglich war: Rechtspopulisten mobilisieren Stimmung. Das kreide ich der FPÖ besonders an: dass sie Emotionen politisch instrumentalisiert. Das ist gefährlich. Auch wenn manche FPÖ-Politiker persönlich durchaus sympathisch sind.
Welche denn?
Ludwig
Einer meiner Stellvertreter im Städtebund ist der Welser Bürgermeister Andreas Rabl, mit ihm kann man in der Sache konstruktiv zusammenarbeiten. Aber in Summe mobilisiert die FPÖ den Zorn so, dass keine konstruktiven Ergebnisse mehr möglich sind. Das macht mir Sorge. Daher wünsche ich mir, dass sich jetzt, in den entscheidenden Monaten vor der Wahl, mehr Mutige zu Wort melden, die für eine Kooperation der demokratischen Kräfte werben. Und Grundpositionen außer Streit stellen: Etwa das Bekenntnis zu Europa oder dass Justiz und Medien unbeeinflusst agieren sollen. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, droht aber ins Wanken zu geraten, wenn man manche Ankündigungen aus der FPÖ hört.