Michael Ludwig: "Kern hat das unterschätzt"

Michael Ludwig: "Kern hat das unterschätzt"

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig über die Rolle Wiens bei der Kür Rendi-Wagners, die Schwächen des Christian Kern und seine Sorgen um die Zweite Republik.

Drucken

Schriftgröße

Interview: Clemens Neuhold, Christa Zöchling

profil: Es gibt Vorbehalte gegen Pamela Rendi-Wagner – gerade in Wien. Warum hat man sich dennoch so rasch auf sie geeinigt? Ludwig: Ich wollte eine schnelle Entscheidung. Es wäre nicht gut gewesen, wenn sich die SPÖ jetzt wochenlang auf Suche begeben hätte. profil: Rendi-Wagner wurde von der West-Achse in der Partei stark gepusht. Wien ist offenbar nicht mehr das alleinige Machtzentrum. Ludwig: Wir sind immer noch die größte Landesorganisation, aber wir machen alles in engster Abstimmung.

profil: Haben Sie auch deswegen so rasch zugestimmt, um eine Kampfabstimmung wie Ludwig vs. Schieder in Wien zu vermeiden? Ludwig: Schieder und ich haben das anständig über die Bühne gebracht. Aber das hat viel Zeit, Kraft und Energie abgezogen. profil: Ist es nicht merkwürdig, dass die Wunschkandidatin von Christian Kern, der die SPÖ in das Dilemma gestürzt hat, nun seine Nachfolgerin wird? Ludwig: Ich glaube, sie ist nicht nur die Wunschkandidatin von Kern, sondern es ist eine Entscheidung, die eine möglichst breite Zustimmung in der SPÖ gefunden hat.

Ich bin nicht der Meinung von Kern, dass man Oppositionspolitik mit dem Bihänder ausüben muss.

profil: Rendi-Wagner ist Quereinsteigerin. Sie wollten doch jemanden mit politischer Erfahrung. Kennt sie die Partei gut genug? Ludwig: Niemand deckt alles ab. Man muss immer Abstriche machen und schauen, dass Stärken auf der einen Seite Schwächen auf der anderen ausgleichen. Die Wählerschicht insgesamt hat sich stark ausdifferenziert, sodass kein Nachfolger von Kern alle Bereiche – Wien, andere Städte, das Land, die verschiedenen Arbeitswelten – hätte abdecken können. profil: Dafür bräuchte es fast eine Doppelspitze. Ludwig: Nein. Es muss klar sein, wer die Verantwortung trägt. Das ist aber natürlich verbunden mit zeitlichem und psychischem Druck. Das hat Kern auch bestätigt. Als Manager war er ebenfalls sehr schwierigen Situationen ausgesetzt, aber als Politiker kommt die permanente Öffentlichkeit dazu. Das hat er offenbar unterschätzt.

Clemens Neuhold und Christa Zöchling im Interview mit Michael Ludwig

profil: Wenn ein Ex-ÖBB-Vorstand und Bundeskanzler damit nicht mehr zurechtkommt, warum dann eine Quereinsteigerin wie Rendi-Wagner, die nicht einmal zehn Monate Gesundheitsministerin war? Ludwig: Ich bin nicht der Meinung von Kern, dass man Oppositionspolitik mit dem Bihänder ausüben muss. Mit guter strategischer Planung kann man diese Politik anders anlegen. Dann wird man nicht nur daran gemessen, ob man mit einem freundlichen Gesicht die Medien bedient. profil: Rendi-Wagner ist strategisch doch die Anti-These zu dem, was Sie bei der nächsten Wien-Wahl vorhaben: Freiheitliche Wähler wieder verstärkt zurückzuholen. Ludwig: Es geht nicht allein um FPÖ-Wähler. Ich bin nicht so arrogant und versuche, mir die Wähler auszusuchen. Ich will mit meiner Politik alle mitnehmen. So gibt es auch keine Anti-These auf Bundesebene. Im Gegenteil: Eine Politikerin, die im urbanen Milieu wirkt, kann uns in Wien einen starken Rückenwind geben.

Die Bundesregierung ist in Wirklichkeit aber gar nicht interessiert, diese Fragen zu lösen, weil sie mit Problemen gut lebt.

profil: Finden Sie die jetzige schwarz-blaue Regierung gefährlicher als jene im Jahr 2000? Ludwig: Sie rüttelt stärker an Grundfesten der Zweiten Republik. Es ist ganz deutlich zu spüren, dass sie die Sozialpartnerschaft, den Föderalismus und die Möglichkeit der politischen Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger schwächen will. Das alles geschieht hinter dem Vorhang der vorgeschobenen Frage der Zuwanderung, der Integration, des Asyls. Die Bundesregierung ist in Wirklichkeit aber gar nicht interessiert, diese Fragen zu lösen, weil sie mit Problemen gut lebt. Das kennen wir ja schon aus dem Wiener Gemeinderat. Immer wenn die FPÖ etwas besonders kritisiert hat und wir ein Mehr an Integration vorschlugen, trug sie die Beschlüsse nicht mit.

profil: Ein großer Teil der Bevölkerung trägt die Sozialpolitik der Regierung dennoch mit, solange in erster Linie Flüchtlinge, Ausländer oder kinderreiche Migrantenfamilien schlechter aussteigen – siehe Familienbonus. Die Zuwanderung der vergangenen Jahre wurde vielen offenbar zu viel. Ludwig: Ich gehöre ja zu jenen in der SPÖ, die schon vor langer Zeit darauf hingewiesen haben, dass wir uns mit dem Thema Integration offensiv auseinandersetzen und dabei auf die soziale Gerechtigkeit achten müssen. Ich verstehe, dass es viele Menschen als ungerecht empfinden, wenn Menschen, die ganz neu im Land sind, alle Sozialleistungen 1:1 bekommen. Der Wien-Bonus bei der Vergabe der geförderten Wohnung bevorzugt jene, die bereits hier leben, auch wenn sie selbst vor längerer Zeit zugewandert sind – um nur ein Beispiel zu nennen. So haben jene, die bereit waren, mehr für die Stadt zu leisten, auch Vorteile.

profil: Zurück zu Rendi-Wagner, weil es zum Gerechtigkeitsempfinden passt: Sozialdemokraten, die der Partei ihr ganzes Leben, ihre Zeit und ihr Engagement geschenkt haben, sagen uns, sie finden es irgendwie ungerecht, dass jemand wie Rendi-Wagner gleich ganz oben einsteigt. Immerhin sei sie erst in die Partei eingetreten, als sie Ministerin wurde. Ludwig: Politische Erfahrung ist wichtig, aber es gibt auch andere Parameter. Jeder von uns hat Vorteile und Defizite. Und dann ist es sinnvoll, wenn man sich Leute ins Team holt, die Defizite kompensieren. profil: Apropos Vorteile und Defizite: Was haben Sie an der kurzen Ära Kern positiv und was negativ empfunden? Ludwig: (lange Pause) Positiv ist sicher, dass Christian Kern medial sehr eloquent auftreten kann und eine sehr gewinnende Art in der Öffentlichkeit hat. Das, was ich im Nachhinein als verbesserungswürdig empfinde, ist eine konsequente, strategische Planung für sich und die Partei.

Das hat uns alle wirklich nicht gefreut.

profil: Herr Ludwig, man kann aus der Geschichte lernen, aus Vorgängen, die schiefgehen, seine Schlüsse ziehen. Wann haben Sie vom Rückzug Kerns erfahren? Am Sonntag? Dienstagvormittag? Oder gar erst bei der Pressekonferenz um Abend? Ludwig: Ich bin bekannt dafür, dass ich nicht aus Vieraugengesprächen zitiere. Ich habe alle Informationen, die ich von Christian Kern bekomme habe, weder parteiintern und schon gar nicht den Medien weitergegeben. Er hat eine zutiefst persönliche Entscheidung getroffen, die Gründe möchte ich gar nicht bewerten. Sie waren persönlich und nicht politisch; und schon gar nicht hat ihn eine Intrige dazu genötigt, wie das völlig falsch in manchen Medien zu lesen war. Ich hätte mir seine Entscheidung viel früher gewünscht und nicht 2,5 Wochen vor dem Bundesparteitag, der stark auf ihn fokussiert war. Das hat uns alle wirklich nicht gefreut. Nun haben wir rasch die beste Lösung in einer schwierigen Situation gefunden, an der weder die Mitglieder noch die Mitarbeiter der Partei schuld waren, sondern die Ergebnis einer persönlichen Entscheidung von Christian Kern war.

profil: Werden Sie ihn dennoch als EU-Spitzenkandidaten unterstützen? Ludwig: Die Form der Kandidatur war natürlich – um es diplomatisch zu sagen – verbesserungswürdig. Aber dass er seinen Weg in der EU sucht, halte ich für eine gute Entscheidung. Ich glaube, dass das ein politisches Umfeld ist, in dem er seine Vorteile ausspielen kann. Wenn er sie auch konsequent einsetzt.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.