Wien-Wahl

Michael Ludwigs Kampf um die rote Hochburg

Mit einer vorgezogenen Neuwahl will Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig sein Amt sichern und die blaue Siegeswelle bremsen. Doch er verantwortet ein milliardenschweres Budgetloch.

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Michael Ludwig ist auch nach nahezu sieben Jahren als Wiener Bürgermeister zwar keine Rampensau, ein Alphatier ist er allemal. In polierten Schuhen und gemächlichen Schrittes betritt der 63-jährige Floridsdorfer den Sitzungssaal des Gemeinderats. Die Fresken im gotischen Prunkbau Wiener Rathaus zeigen Szenen der Habsburger-Dynastie, seit Ende der Monarchie ist das hier jedoch – mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus – lückenlos eine Trutzburg der Sozialdemokratie. Das Zentrum des Raums bildet ein 3,2 Tonnen schwerer Luster mit 213 Glühbirnen – die Sonne hier ist Michael Ludwig. 

Seine Gravitas offenbart sich zunächst an den Rändern: So mancher roter Hinterbänkler korrigiert seine Sitzhaltung, sobald er Ludwig erblickt, manche Rote schreiten aus, um ihm die Hand zu schütteln. Ludwig ist nicht nur der unhinterfragte Spitzenkandidat der Wiener Sozialdemokraten, der seine Partei in die nächste Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahl führen wird – ­sie wurde vergangenen Dienstag von September auf den 27. April vorverlegt; er ist auch einer der mächtigsten Roten des Landes.

Wenn man Ludwig dieser Tage zuhört, bekommt man fast den Eindruck, als würde sich Ludwig in einer historischen Mission wähnen, die Republik vor der Rechtswende zu verteidigen – und wenn schon nicht die Republik, dann zumindest die rote Hochburg Wien. So trommelt Ludwig in einer Videobotschaft: Mit dem ersten blauen Bundeskanzler stehe, die Zweite Republik an einem „Scheideweg“ – das rote Wiener Rathaus sei das „Gegenmodell“ zu Blau-Schwarz im Bund.

Es ist eine alte Botschaft mit neuer Dringlichkeit. Eine weitere Wiener Wahl, die die SPÖ zum Duell mit den Freiheitlichen inszeniert. Zuletzt etwa 2015 gegen den damals starken blauen Bürgermeisterkandidaten Heinz-Christian Strache als die FPÖ 30,79 Prozent erreichte, ihr bisher stärkstes Wiener Wahlresultat.

Neuwahlen mit Messlatte

2020 konnte Ludwig bei seinem ersten Antritt Wahlanalysen zufolge 32.000 Stimmen von der FPÖ holen, mehr als von jeder anderen Partei. Allerdings: Das war mitten in der Corona-Zeit, als Regierende punkten konnten, nur eineinhalb Jahre nach dem Ibiza-Skandal und der Spesen-Affäre, die FPÖ donnerte auf 7,11 Prozent herunter.

„Ich denke, dass bei der kommenden Wien-Wahl viele ÖVP-Wähler zur FPÖ gehen werden, sich aber im Lager SPÖ, Grüne und Neos nicht viel bewegen wird,“ sagt Meinungsforscher Peter Hajek. „Es ist klar, dass Michael Ludwig Bürgermeister bleiben wird.“ Trotzdem sei die Vorverlegung der Wahlen ein kluger Schachzug, wenn auch nicht besonders raffiniert: „Es ist Kapitel Eins aus dem Kampagnenlehrbuch“. Die Stimmung nach der Wahl und den zerplatzten Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos sei „hoch aufgeladen“, die Sozialdemokraten sei hochmotiviert.

Im Burgenland hat dies vergangene Woche funktioniert. Bei der Landtagswahl verzichtete der burgenländische SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil auf Hilfe aus Wien oder dem Bund – und fuhr ein respektables Ergebnis ein. Die SPÖ bleibt mit 46,6 Prozent nah an der absoluten Mehrheit, die FPÖ mit 23,1 Prozent weit hinter ihrem Ergebnis bei der Nationalratswahl, als sie mit 28,8 Prozent der Stimmen den ersten Platz erreichte. Der Burgenländer setzt damit eine hohe Messlatte für Ludwigs vorgezogene Wahl Ende April.

Doskozils Rezept mit rechter Migrationsrhetorik und linker Versorgungsfolklore haben im Burgenland funktioniert – was jedoch ist Ludwigs Vision für Wien? Eine Stadt, in der 45,5 Prozent der Bevölkerung ausländischer Herkunft sind; in der mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler nicht Deutsch als Alltagssprache haben; eine Stadt, deren Bevölkerung im letzten 15 Jahren um über 300.000 Einwohner, der Größe von Graz, der zweitgrößten Stadt des Landes, gewachsen ist. Was ist das Ludwig-Wien?

Seine Vorgänger prägten die Stadt jeweils auf ihre Weise: Unter Helmut Zilk wurde aus dem verschlafenen Wien nahe des Eisernen Vorhangs ein kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Mitteleuropas; Michael Häupl wagte erstmals eine rot-grüne Stadtkoalition, die die Sozialdemokratie in vielfacher Hinsicht herausfordern sollte.

Kann Michael Ludwig mehr als verwalten? Vermag der promovierte Historiker und einer der besten Kenner des Roten Wien, eine politische Programmatik zu skizzieren, die ein neues, Rotes Wien des 21. Jahrhunderts erahnen lassen könnte?

Nina Brnada

Nina Brnada

Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.