Mikl-Leitner: „Beim Umgang mit Rivalen gibt es keinen Einserschmäh“
Johanna Mikl-Leitner ist Österreichs einzige Landeshauptfrau. Ein Gespräch darüber, wie viel Testosteron man als Frau in der Landespolitik braucht, was eine konservative Feministin sein soll, über die Kirche und Erwin Pröll.
Wie muss ich Sie anreden. Sind Sie Frau Landeshauptmann oder Frau Landeshauptfrau?
Johanna Mikl-Leitner
Gern einfach Frau Mikl-Leitner. Aber offiziell Frau Landeshauptfrau.
Und wie sage ich jetzt richtig zu Ihrem FPÖ-Stellvertreter?
Mikl-Leitner
Als Stellvertreter einer Landeshauptfrau ist man ein Landeshauptfraustellvertreter. Das ist die eigentlich sehr einfache Logik der deutschen Sprache.
Udo Landbauer nennt sich aber lieber Landeshauptmannstellvertreter. Wehrt er sich da schon gegen das überbordende Gendern, das man in Niederösterreich laut Arbeitsübereinkommen abschaffen will?
Mikl-Leitner
Ich würde sagen, so wie ich es eben erläutert habe, ist es jedenfalls das amtlich korrekte „Gendern“.
Die einen wollen unbedingt das Gendersternchen – und die anderen wollen die Frauen überhaupt unsichtbar machen. Ich halte beides für überzogen.
Johanna Mikl-Leitner
über "korrektes" Gendern
Was ist eigentlich so schlimm am Gendern?
Mikl-Leitner
Dazu stellt sich zuerst die Frage: Was ist eigentlich „Gendern“? Die einen wollen unbedingt das Gendersternchen – und die anderen wollen die Frauen überhaupt unsichtbar machen. Ich halte beides für überzogen. Bei uns werden Frauen und Männer sprachlich gleichberechtigt sichtbar gemacht. Wir gendern nach normalem Maß. Bei uns heißt es „Schülerinnen und Schüler“. So wie es der Rat der deutschen Rechtschreibung vorgibt. Das ist jene offizielle Institution, die die amtlichen Regeln im deutschen Sprachraum vorgibt. Man ist als Amt daher gut beraten, wenn man sich an deren Empfehlungen hält. Mehr ist es nicht.
Sie bezeichnen sich als konservative Feministin. Das ist etwas widersprüchlich. Weil konservativ heißt, dass sich nichts ändern soll.
Mikl-Leitner
Das ist nicht richtig. Konservativ heißt, Bewährtes dann zu verändern, wenn sich damit etwas verbessert. Darum bin ich eine überzeugte Kämpferin für die Chancengleichheit und die Rechte der Frauen.
Wie viel Mann muss man als Frau sein, um in so einer Testosteron-Politik wie der Landespolitik zu bestehen?
Mikl-Leitner
Ein gesundes Selbstbewusstsein und Freude an der Zusammenarbeit reichen völlig aus.
Was reizt Sie an der Macht?
Mikl-Leitner
Das ist eine Frage der Definition. Für mich heißt Macht positives Gestalten und Verantwortung übernehmen - und damit als Führungsperson auch ein Vorbild zu sein.
Haben Frauen einen anderen Zugang zu Macht als Männer – auch wenn Sie sich mit Ihrem Vorgänger Erwin Pröll vergleichen?
Mikl-Leitner
Ich glaube das hat nichts mit Mann oder Frau zu tun – sondern mit der Persönlichkeit. Für mich heißt das, anderen mit Wertschätzung und Respekt zu begegnen – und vor allem auf Augenhöhe.
Früher hatte man insgesamt ein bisschen ein anderes Grundverständnis, würde ich sagen.
Johanna Mikl-Leitner
über Erwin Pröll
Erwin Pröll hat Sie aber schon manchmal sehr patriarchalisch behandelt, oder?
Mikl-Leitner
Früher hatte man insgesamt ein bisschen ein anderes Grundverständnis, würde ich sagen. Erwin Pröll aber gehört zu meinen größten Förderern, und er hat mich immer auf Augenhöhe behandelt.
Wenn Macht nur eine Frage der Persönlichkeit ist - warum gibt es dann viel mehr Männer in Führungspositionen als Frauen?
Mikl-Leitner
Wir sind auf einem guten Weg, das zu ändern. Seit ich Landeshauptfrau sein darf, haben sich die Frauen in Führungspositionen im Landesdienst um 60 Prozent gesteigert. Auch in der Privatwirtschaft geht was weiter. Ich denke da etwa an die EVN, an Raiffeisen oder Siemens
Braucht es die Quote?
Mikl-Leitner
Im öffentlichen Bereich gibt es Gott sei Dank eine Quote – und die hat auch Signalwirkung auf die Privatwirtschaft. Ich würde die Privatwirtschaft dazu jetzt aber nicht verpflichten. Die kämpft schon mit genug Auflagen und Geboten – und das in ohnehin schwierigen, herausfordernden Zeiten.
Was tun Sie, um andere Frauen in der Politik zu fördern?
Mikl-Leitner
Wir haben 219 Bürgermeisterinnen in ganz Österreich – davon kommen 81 aus Niederösterreich. Also der höchste Anteil. Eine schöne Zahl, aber ausbaufähig. Darum ist es mir auch wichtig, Frauen zu fördern. Wir tun das im Rahmen von Mentoringprogrammen. Und wir haben auch als erstes Bundesland die Bürgermeisterinnen-Karenz eingeführt.
Werden Sie bei der Listenerstellung der nächsten Nationalratswahl auf eine gewisse Quote Rücksicht nehmen?
Mikl-Leitner
Ja selbstverständlich.
Aber für mich ist auch klar: Gerichtsentscheidungen sind zu akzeptieren.
Mikl-Leitner
zum Schuldspruch gegen Kurz
Sebastian Kurz war ein Verfechter des sogenannten „Reißverschlusssystems“ bei Postenbesetzungen und Listenerstellungen. Was nichts anderes war als eine Quote. Aus bekanntgewordenen Chats weiß man aber, dass man auch „steuerbare“ Frauen gesucht hat. Nehmen Sie ihm das übel?
Mikl-Leitner
Ich habe diese persönliche Erfahrung nie mit ihm gemacht.
Wenn wir schon bei ihm sind: Was sagen Sie zum Schuldspruch?
Mikl-Leitner
Für viele war er wohl überraschend. Jetzt geht es in die Berufung, man wird sehen. Aber für mich ist auch klar: Gerichtsentscheidungen sind zu akzeptieren.
Wie gehen Sie persönlich mit Rivalen um?
Mikl-Leitner
(Lacht) Beim Umgang mit Rivalen gibt es keinen Einserschmäh. Man muss die Persönlichkeit jedes einzelnen ergründen und sich eine Strategie überlegen, wie man mit Querulanten umgeht.
Haben Männerbünde wie der CV Ihrer Meinung nach ausgedient?
Mikl-Leitner
Ich würde sagen, es braucht auch Frauenbünde.
Sind Sie in solchen Netzwerken?
Mikl-Leitner
Ich bin Ehrenmitglied bei den Rotariern, bin Ehrenmitglied bei der Studentenverbindung Babenberg Klosterneuburg – und auch in anderen Netzwerken. Mir geht es darum, andere zu stärken, freue mich aber auch selbst über denAustausch. Ich bin eben gern unter Menschen.
Der einflussreichste Männerbund ist die katholische Kirche. Gerade in Niederösterreich mit seinen bedeutenden Stiften von Klosterneuburg bis Melk sind sie sehr einflussreich. Ist es Zeit für Frauen im katholischen Priesteramt?
Mikl-Leitner
Ich habe früher immer gedacht, Frauen könnten das Personalproblem der katholischen Kirche lösen. Aber die evangelische Kirche lehrt uns etwas anderes. Dort ist das erlaubt und es gibttrotzdem Personalmangel. Aber natürlich würde es der katholischen Kirche nicht schaden, sich weiter für Frauen zu öffnen.
Was heißt das?
Mikl-Leitner
Einfach noch offener und liberaler. Ich denke, dass wir hier auf einem guten Weg sind, wenn man etwa an die Akzeptanz der Homosexualität denkt.
Naja. Mit der ist es nicht überall allzu weit her in der Kirche.
Mikl-Leitner
Man muss die Persönlichkeit jedes einzelnen ergründen und sich eine Strategie überlegen, wie man mit Querulanten umgeht.
Mikl-Leitner
über Querulanten in den eigenen Reihen
(lacht) Ich maße mir nicht an der Kirche konkrete Anleitungen in die Hand zu legen. Das würde zu weit führen.
Warum gab es bisher keine ÖVP-Bundesparteiobfrau?
Mikl-Leitner
Vielleicht war die Zeit noch nicht reif. Derzeit steht das auch nicht zur Diskussion. Wir haben nämlich einen sehr guten Parteiobmann und der heißt Karl Nehammer.
Wird Nehammer auch nach der Wahl noch Bundesparteiobmann sein?
Mikl-Leitner
Ja. Definitiv.
Wer ist derzeit Ihrer Meinung nach das größte, weibliche Talent in der ÖVP?
Mikl-Leitner
Da gibt es viele. Bei den Jungen ist Claudia Plakolm sicher ein großes Talent. Sie kann sich auf dem politischen Parkett gut bewegen, sie ist lernfähig und versteht auch den Umgang mit Menschen. Das ist in der Politik wichtig: Dass man Inhalte mit einem guten Zugang zu Menschen verknüpfen kann.
Was kann ÖVP-Frauenministerin Susanne Raab besser als die legendäre SPÖ-Frauenministerin Johanna Dohnal?
Mikl-Leitner
Man kann sie nicht vergleichen, weil es ganz andere Zeiten sind. Johanna Dohnal hat sehr viel für uns Frauen getan. Susanne Raab bemüht sich auch, etwas in Bewegung zu bringen. Ich denke, einiges ist auch gelungen: Der Ausbau der Kinderbetreuung auf Länderebene. Aber auch das Bohren harter Bretter wie das Pensionssplitting
Was ist Ihr drängendste Anliegen in der Frauenpolitik?
Mikl-Leitner
Wir müssen gesamtgesellschaftlich gegen Klischees arbeiten, die heißen: Frauen sind für Kinder zuständig, Männer für die Karriere. Als der erste Mann bei mir im Team in die Väterkarenz gehen wollte, lief die ganze Mannschaft zusammen, um mir das zu „beichten“. Ich habe gesagt: „Holt ihn mir her“.Und ich habe mich bei ihm dafür bedankt, dass er das macht und sich als Rolemodel zur Verfügung stellt.
Wie haben Sie sich das mit Ihrem Mann geteilt?
Mikl-Leitner
Der Schwerpunkt Familienarbeit lag bei ihm als die Mädels noch klein waren. Mein Mann hat mir sehr den Rücken freigehalten.
Die ÖVP redet derzeit so gerne über Leitkultur. Wie werden Frauen hier abgebildet?
Mikl-Leitner
Leitkultur ist die Art und Weise unseres Zusammenlebens. Leitkultur ist eine Aneinanderreihung von Normalitäten unserer Gesellschaft. Das heißt etwa Gleichstellung von Männern und Frauen statt Paschatum und Patriarchat. Das heißt auch, sich den Gesetzen unterzuordnen und nicht der Scharia. Das heißt, dass man unsere Traditionen und Umgangsformenlebt und pflegt – und nicht versteckt. Dazu gehört auch, dass man auch Frauen bei der Begrüßung die Hand gibt und nicht nur Männern. All das sind keine Kampfansagen, sondern Grundprinzipien unseres gemeinsamen Zusammenlebens. Das muss jedermann und jederfrau bei uns einmal verinnerlichen – egal ob in Österreich geboren oder nicht. Es ist allerdings schon eine Tatsache, dass in den vergangenen Jahrzehnten viele Männer aus Kulturen zugewandert sind, die nicht allzu viel von Gleichstellung halten.
Leitkultur ist eine Aneinanderreihung von Normalitäten unserer Gesellschaft. Das heißt etwa Gleichstellung von Männern und Frauen statt Paschatum und Patriarchat.
Mikl-Leitner
zur ÖVP-Lieblingsdebatte zur Leitkultur
Was soll diese Leitkultur sonst noch so beinhalten? Wird das ein Schriftstück sein – oder wie funktioniert die Vermittlung?
Mikl-Leitner
Ich denke, man braucht nicht viel erarbeiten. Leitkultur ist schlicht die Art und Weise, wie wir hier in Österreich zusammenleben und miteinander umgehen.
Schon. Aber wenn wir sagen, es kommen Menschen hier ins Land, und denen will man das vermitteln, wie passiert das?
Mikl-Leitner
Man muss in den Schulen ansetzen. Wir müssen auch die Mädels dabei unterstützen, zu selbstbewussten Frauen heranzuwachsen . Und Männer, egal welcher Herkunft, müssen Wertschätzung für Frauen lernen. Ich war gerade bei einer Runde von jungen Frauen, die sich über die schrecklichen Femizide unterhalten haben. Sie haben sich sehr darüber geärgert, dass sie von ihren Eltern immer wieder empfohlen bekommen, sich nicht aufreizend zu kleiden; dass sie auf ihr Verhalten aufpassen sollen, damit man nicht Opfer von Gewalt wird. Das kann es einfach nicht sein, das ist der falsche Ansatz. Man muss den Männern beibringen, wie man mit Frauen umgeht.
Viele Femizide finden in den eigenen vier Wänden statt. In Niederösterreich hat es zuletzt zu wenig Plätze in Frauenhäusern gegeben – und Hilfeschrei jener, die diese Schutzeinrichtungen betreiben. Was tut man da?
Mikl-Leitner
In Österreich gibt es ein gutes Netz an Gewaltschutz- und Beratungszentren sowie Frauenhotlines. Ich finde, wir müssen niederschwelliger beginnen, Notrufnummern besser publizieren. Und ich betone nochmal, dass bereits in den Schulen die richtige Prägung stattfinden muss – auch bei den Eltern. Das ist auch Inhalt unserer Nulltoleranzinitiative. Es geht darum, Eltern integrationsunwilliger Familien in die Pflicht zu nehmen. Es geht um mehr Mitbeteiligung. Es geht auch darum, dass es bei uns üblich ist, dass man einer Lehrerin die Hand gibt und zu Elternsprechtagen geht. Das ist ein Mindestmaß an Respekt. Und da wird es in letzter Konsequenz auch härtere Strafen brauchen.
Und wie bringt man es den österreichischen Männern bei? Statistisch gesehen sind sie es, die zu Hause die meisten schwerwiegenden Verbrechen an Frauen begehen.
Mikl-Leitner
Im Gewaltschutz ist schon einiges passiert – aber es muss mehr sein. Männer, die bekannt sind, gewaltbereit zu sein, die brauchen mehr als einen kurzen Kurs nach Begehung der Tat. Es braucht verpflichtende, langfristige Kurse, die auch wirklich eine Verhaltensänderung bewirken können.
Es trägt eine bürgerliche Handschrift, ich kann jeden Punkt auch heute unterschreiben.
Mikl-Leitner
zum schwarz-blauen Arbeitsprogramm
Mitte März jährt sich die Unterzeichnung des Arbeitsübereinkommens zwischen ÖVP und FPÖ in Niederösterreich. Bei der Präsentation machten Sie ein Gesicht, das fast die Traisen einfrieren ließ. Wie schlimm ist die Kooperation mit der FPÖ? Und sagen Sie jetzt bitte nicht, dass eine Koalition keine Liebesheirat ist.
Mikl-Leitner
Jeder weiß, dass ich zuerst die Zusammenarbeit mit der SPÖ gesucht habe – aber ihr neuer Chef wollte nicht.. Deswegen gibt es die Zusammenarbeit mit ÖVP und FPÖ. Mit dem Blick ein Jahr zurück kann ich sagen: Wir haben eine Grundlage der professionellen Zusammenarbeit gefunden und das ist unser Arbeitsprogramm mit mehr als 200 Punkten.
Gibt es in dem Programm Punkte, die Sie bereuen und nicht mehr unterschreiben würden?
Mikl-Leitner
Nein. Es trägt eine bürgerliche Handschrift, ich kann jeden Punkt auch heute unterschreiben.
Gibt es auch auf Bundesebene ein Auslangen von ÖVP und FPÖ?
Mikl-Leitner
Die ÖVP hält sich alle Koalitionsoptionen auf Bundesebene offen. Bis auf eine Ausnahme
Aber ist nicht gerade die Niederösterreichische FPÖ nicht von Kickl zu trennen? Einige seiner wichtigsten und engsten Vertrauten sind hier am Ruder.
Mikl-Leitner
Herr Landbauer ist die vergangenen Monate wesentlich konsensualer geworden, wenn wir nur an den Landtags-Wahlkampf davor denken. Bei der Bewertung von Herrn Kickl vertraue ich auf die Einschätzung von Karl Nehammer.
Sie sind gerade 60 geworden. Gratulation an dieser Stelle. Freuen Sie sich schon mehr auf die Pension, oder haben Sie noch immer Lust auf die Politik?
Mikl-Leitner
60 ist das neue 40 – ich bin relativ gechillt und schaue frohen Mutes in die Zukunft und will noch viele Jahre arbeiten.
Interview: Anna Thalhammer, Bilder: Alexandra Unger