Millionenshow: Wie die ÖVP in NÖ sich für das Verteilen von Steuergeld feiern lässt
Ein Genosse postete das Flugblatt auf Facebook mit einem Smiley. Das machte es für Marion Wedl aber nicht besser. Die SPÖ-Bürgermeisterin von Seebenstein, einer 1500-Seelen-Gemeinde in der Buckligen Welt, ärgerte sich trotzdem, als sie darauf ihren örtlichen ÖVP-Obmann erkannte; neben ihm Johanna Mikl-Leitner, die Landeshauptfrau von Niederösterreich. Tags darauf schwärmten schwarze Funktionäre aus und verteilten Hochglanz-Folder an jeden Haushalt der Gemeinde. 200.000 Euro "gemeinsam erarbeitet“ und "miteinander erreicht“, stand darauf. Frech fand Wedl das: Dieselben ÖVP-Politiker hatten sich beim Budget quergelegt. Es seien Mittel aus St. Pölten veranschlagt, mit denen nie und nimmer zu rechnen sei, sagten sie. Nun rühmt sich die Fraktion, genau diese - inzwischen zugesagten - Mittel nach Seebenstein geholt zu haben.
"Unsauber“ nennt Raimund Holzer, österreichweit nachgefragter Experte auf dem Gebiet kommunaler Finanzen und Grüner im Gemeinderat von Scheibbs, diese Praxis: "Bei den Mitteln geht es um Bedarfszuweisungen, also Geld, das den Gemeinden ohnedies zusteht.“
Man muss sich mit ein paar technischen Details vertraut machen, um die Entrüstung zu verstehen.
Der Finanzausgleich regelt, wie die gesamten Steuereinnahmen von rund 80 Milliarden Euro (im Jahr 2016) auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt werden. Sie laufen zunächst beim Bund zusammen, der an die Länder sogenannte Ertragsanteile überweist (rund 45 Milliarden), damit diese wiederum einen erklecklichen Teil (rund 15 Milliarden) an die Kommunen weiterleiten. Dabei können sie nicht viel falsch machen. Der Schlüssel richtet sich nach Finanzkraft und Einwohnerzahl der Gemeinden.
Flugblatt Groß-Siegharts
Anders sieht es bei den Bedarfszuwendungen aus; die Mittel dafür stammen ebenfalls aus dem Finanzausgleich. Ein Teil davon ist für Kommunen reserviert, die aus eigener Kraft keinen positiven Haushalt schaffen. Ein erheblicher Teil aber fließt für spezielle Vorhaben, etwa die Sanierung von Schulen, die Instandhaltung von Straßen und Wegen, den Bau neuer Sportanlagen oder die Verschönerung von Dorfplätzen. Von diesen Beträgen ist auf den ÖVP-Foldern die Rede.
Bei der Verteilung dieser Projektförderung haben die Länder halbwegs freie Hand. Wann der Geldhahn aufgeht, ist reichlich intransparent, wie in Rechnungshof- und Europaratsberichten regelmäßig gerügt wird. Im Gros der Bundesländer spielt die politische Farbe der Gemeinden bei der Zuweisung nach wie vor eine Rolle. Nur in Salzburg verständigten sich die Parteien bereits vor rund zehn Jahren auf Vergabekriterien, die für alle Seiten nachvollziehbar sind. Kärnten zog nach. "Wir fordern, dass es diese Transparenz überall in Österreich gibt“, sagt Thomas Prorok, Co-Geschäftsführer des KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung.
In Niederösterreich weht ein anderer Wind. Die erwähnten Flugblätter kursieren nicht nur in Seebenstein, sondern auch in Schwadorf, in Hohenau an der March und anderen Gemeinden, bevorzugt dort, wo die SPÖ den Bürgermeister stellt, die ÖVP sich aber Chancen ausrechnet, bei der nächsten Wahl zum Zug zu kommen. Sie unterschieden sich in Details. Das Outfit der Landeshauptfrau wechselt, die Gesichter an ihrer Seite und Summen ändern sich: 300.000 Euro für Ybbs, 221.000 Euro für Groß-Siegharts, 130.000 Euro für Golling an der Erlauf. Die Botschaft aber bleibt gleich. Tenor: Ohne unsere guten Beziehungen zum Land bliebe der Geldsegen aus.
Flugblatt Seebenstein
Nachdem die SPÖ-Fraktion 2008 ihren Sanktus zum Landesbudget verweigert hatte, zog der damalige ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll die Agenden der roten Gemeinden an sich. Seinem damaligen Stellvertreter und heutigen Innenminister Wolfgang Sobotka oblagen die schwarzen Gemeinden. Ermessensspielräume nützten beide nach Gutdünken. So durfte sich Sobotkas Heimatgemeinde Waidhofen an der Ybbs 2010 über mehr als 593.000 Euro freuen, während die SPÖ-geführte Kommune Amstetten mit knapp 89.000 Euro auskommen musste.
2011 berichtete profil ausführlich über die Benachteiligung unliebsamer Bürgermeister. Im Bezirk Neunkirchen bekamen schwarze Gemeinden vier Mal so viel Geld wie rote. In manchen Orten hatte das System bizarre Züge angenommen: In Sonntagberg, Bezirk Amstetten, regierte bis März 2010 ein SPÖ-Mann, der sich im Land vergeblich um Zuwendungen bemühte. Kaum war ihm ein ÖVPler nachgefolgt, stand der Geldhahn offen: 2009 kam das 4000-Einwohner-Dorf auf 26 Euro pro Kopf, 2010 waren es 257 Euro.
Bereits damals beschwerten sich rote Bürgermeister über ÖVP-Funktionäre, die ungeniert mit ihrem guten Draht ins Landhaus warben. Doch wollten die wenigsten ihre Kritik öffentlich machen. Die Angst, beim nächsten Mal leer auszugehen, saß allen im Nacken. Unter Prölls Nachfolgerin Johanna Mikl-Leitner, seit einem halben Jahr im Amt, arbeitet die Geldverteilungsmaschinerie weiter. Zwar klagen weniger SPÖ-Bürgermeister über Zurücksetzungen, seit Exlandeshauptmann Pröll sich mit den Roten im Land darauf verständigte, die Mittel nach Wahlresultat zu verteilen. Dem Vernehmen nach gilt der Schlüssel: 80 Prozent für die schwarzen Kommunen, 20 für die roten. Aus dem Büro der Landeshauptfrau heißt es dazu: "Es gibt ein Übereinkommen, das dazu führt, dass die Förderungen fair und sachlich vergeben werden.“ Eine am Wahlergebnis orientierte Aufteilung wird nicht bestätigt.
Flugblatt Schwadorf
In der Professionalisierung ihres Auftritts als Gönnerin der Gemeinden geht die Landespartei nun einen Schritt weiter. Der Sprecher der ÖVP-Niederösterreich sagt auf profil-Anfrage, man stelle für Funktionäre im Internet Vorlagen und Fotos bereit, damit jeder für seine Zwecke ein Bild der Landeshauptfrau herunterladen und sein eigenes Foto dazumontieren könne. Wie viele dieser "Gemeinsam erarbeitet, miteinander erreicht“-Folder inzwischen die Runde machen, sei ihm unbekannt. Naturgemäß findet man in der Parteizentrale nichts dabei, die finanzielle Unterstützung der Gemeinden als Leistung der ÖVP darzustellen: "Es ist der normale Job einer Partei, den eigenen Einsatz hervorzustreichen. Wenn eine SPÖ-Politikerin ein Feuerwehrhaus einweiht, hat sie das auch nicht selbst gebaut.“
Im roten Lager sieht man das freilich anders. Franz Schnabl, neuer Chef der SPÖ in Niederösterreich, kämpft für "eine gerechte Verteilung von Bedarfszuweisungen nach sachlichen Kriterien“ statt einer "Vergabe nach Gutsherrenart“. Wohin diese führe, zeige sich an den Finanzen von Wiener Neustadt. Bis 2015 schaltete und waltete hier ein SPÖ-Bürgermeister. Bedarfszuweisungen 2013: 52.800 Euro; 2014: 21.700 Euro. Im Jahr 2015, als ihm der niederösterreichische ÖVP-Klubobmann Klaus Schneeberger im Amt nachfolgte, stiegen sie auf 1,7 Millionen Euro; 2016: 1,5 Millionen Euro; 2017: 2,2 Millionen.
Mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 8171 Euro liegt Niederösterreich laut Statistik Austria auf Platz eins der am höchsten verschuldeten Bundesländer, und noch deutlich vor Wien (6939 Euro). Für Kommunalexperten Holzer liegt das auch daran, dass hier lange Zeit ein übermächtiger Landesvater "beinahe zügellos Geld ausgeben konnte. In Wahrheit braucht es die Länder für die Verteilung all dieser Mittel nicht. Eine Verwaltungsreform müsste unbedingt hier ansetzen.“
Falls es die jemals gibt.