Mirsad O.: Der gefährlichste Prediger Österreichs
Wer sagt aus gegen Mirsad O. ?
Seit seiner Verhaftung in einer Novembernacht des Jahres 2014 sitzt der serbische Staatsbürger isoliert von anderen Häftlingen in einer Zelle des Grazer Landesgerichts. Seine Frau hat keine Besuchserlaubnis, weil sie es sich verbietet, die Burka abzulegen. Draußen sammelt derweil eine einschlägige Facebook-Gruppe Spenden für den "politischen Gefangenen“ und stellt Audio-Files von dessen Predigten ins Netz. Langatmige, zeitraubende Vorträge. An einer Stelle hört man Mirsad O. mit dröhnender Stimme sagen: "Österreich ist ein demokratischer Staat.“ Großes Gelächter unter seinen Zuhörern. In dieser Welt gilt der westliche Staat nichts. Man glaubt an die Scharia.
"Kein einziger Jugendlicher, der seine Predigten gehört hat, belastet Mirsad O. und behauptet, er hätte sie angestiftet, nach Syrien in den Kampf zu ziehen“, sagt sein Anwalt Stephan Jürgen Mertens, Exponent eben jenes Systems, das sie so leidenschaftlich ablehnen. Mertens sagt, er habe den Fall aus juristischem Ehrgeiz übernommen. Er sei Substitut eines Grazer Pflichtverteidigers, der vom Staat gestellt werden muss. Denn Mirsad O. hat kein Einkommen. Seit drei Jahren lebt die nun neunköpfige Familie in einer Wiener Gemeindewohnung von Sozialhilfe und Kindergeld.
Das Verfahren am Grazer Landesgericht ist ein Präzedenzfall. Niemals zuvor wurde ein Prediger als geistiger Brandstifter für Terror und Mord angeklagt: als einer, der Jugendliche indoktriniert und ihnen die religiöse Legitimation gegeben haben soll, in den "Heiligen Krieg“ zu ziehen.
Darüber schweben unausgesprochen Fragen moralischer Natur: Wie geht eine Demokratie mit einer salafistisch-dschihadistischen Interpretation des Islam um? Einer Ideologie, die in totalitärer Anmaßung an einen zweiten Faschismus gemahnt. Die in Strukturen organisiert ist, die man aus Sekten kennt.
Und: Ist eine nicht strafbare Gesinnung zu trennen von den Taten, die durch sie vielleicht motiviert werden? Welche Rolle spielen dabei Geschworene, die naturgemäß gesellschaftlichen Stimmungslagen unterworfen sind?
Paranoide Weltsicht
Der Staatsanwalt beschuldigt den 34-jährigen Mirsad O., besser bekannt unter seinem Predigernamen "Ebu Tejma“, gebürtiger Serbe und Vater von sieben Kindern, bei Vorträgen in verschiedenen Moscheen in Österreich, Deutschland und Bosnien sowie im Internet und in Chatforen mit einer extremistischen Auslegung von Koran und Sunna seine Anhänger verführt, mit seiner paranoiden Sicht auf die Welt des Westens und auf andere Muslime, die nicht seine Lehre teilen, den Hass genährt und sie angestiftet zu haben, sich einer Terror-Organisation anzuschließen.
Der Zweitangeklagte, ein 28-jähriger Tschetschene, wird des mehrfachen Mordes beschuldigt. Mucharbek T. soll im Namen des IS mit seiner Einheit in der Provinz Aleppo Zivilisten erschossen, Frauen versklavt und beim Rückzug getötet und eine Gruppe schiitischer Frauen und Männer mit Messern aufgeschlitzt haben. Es gibt einen Kronzeugen: Einen ehemaligen Kämpfer der Freien Syrischen Armee, ebenfalls ein Tschetschene, der zur selben Zeit am selben Ort war, der Funksprüche aufgefangen, Gespräche abgehört und den Beschuldigten dort auch gesehen haben will.
Die Anklage wiegt schwer: Mord oder Anstiftung zum Mord im Zusammenhang mit Terrorismus kann mit 20 Jahren Freiheitsentzug geahndet werden.
Es gibt einige Österreicher, die diesen Prozess in großer Anspannung verfolgen werden: Mütter und Väter, die einst als Gastarbeiter nach Österreich gekommen waren. Abgearbeiteten Männern laufen heute Tränen über die Wangen, wenn die Rede auf "Ebu Tejma“ kommt. Sie sagen, er habe ihnen ihre Kinder gestohlen. Irgendwann seien sie nicht mehr heimgekommen, hätten in der Moschee übernachtet, darunter waren auch 14-Jährige.
Sie sagen: Unsere Söhne haben aufgehört, jung zu sein. Sie ließen sich einen Bart wachsen, trugen über Nacht einen Kaftan, verteufelten die Disco-Welt und herrschten ihre Mütter und Schwestern an, weil die sich nicht verhüllten.
Einmal hatte sich eine Mutter um fünf Uhr morgens in der Altun-Alem-Moschee in der Wiener Venediger Au entschlossen Zutritt zu den Räumlichkeiten verschafft, was Frauen strengstens verboten ist, sich dort auf den Boden geworfen und gedroht, sie gehe nicht eher nach Hause, bis man ihr ihren Sohn wiedergäbe.
Vor Gericht wird das keine Rolle spielen. Die Eltern, mit denen profil sprechen konnte, schämen sich. Zu groß ist das Gefühl der Schande, dass sie ihre Kinder nicht beschützen konnten. Über "Ebu Tejma“ sind Familien und Freundschaften zerbrochen. Eine Familie gibt in ihrer Verzweiflung der anderen die Schuld, dass deren Sohn ihren Sohn in die Moschee mitgeschleppt hat.
Auch Mädchen seien angelockt worden und hätten etwa in der Altun-Alem-Moschee in Wien Fotos abgegeben für arrangierte Hochzeiten mit Syrienkämpfern. Einmal sei eine IS-Flagge versteigert worden. Das erzählt man sich im Umfeld von Mirsad O.
Es ist Tatsache, dass zwei bis drei Dutzend Jugendliche, die in den vergangenen Jahren nach Syrien gegangen sind oder es versucht haben, vorher in irgendeiner Form mit Mirsad O. Kontakt gehabt haben. Entweder waren sie in einer der Moscheen aufgetaucht, in denen Mirsad O. predigte, hatten sich seine Internet-Predigten reingezogen, CDs erworben oder waren in Chatforen auf "Ebu Tejma“ gestoßen. Freilich hatten sie auch andere Prediger gehört und sich auf eigene Faust auf einschlägigen Websites mit IS-Propaganda-Material, Videos und Fotos versorgt. Wer kann sagen, wann die Anstiftung beginnt?
Die Welt des Mirsad O.
Wie stellt sie sich dar, die Welt des Mirsad O.? profil hat sich im Internet eine ganze Reihe seiner Predigten angesehen. Wenn er auf Deutsch predigt, verwendet er seltsame Begriffe. Er sagt "schlachten“ wenn es um das Töten von Menschen geht. Er spricht von einer "Dienerin“, wenn er eine Haushaltshilfe meint. Meist hat er ein Pult vor sich, auf das er sich stützt oder mit der flachen Hand schlägt. Er trägt weites Obergewand, einen langen Salafistenbart und eine Häkelmütze oder Kappe. Er spricht abgehackt und aggressiv, macht heftige Gebärden. Er kann sehr laut werden. Man kann sich vorstellen, dass Jugendliche Angst haben vor ihm. Auch wenn sie sagen, seine Predigten seien "faszinierend“.
Manchmal stellt einer seiner Jünger, die auf den Videos niemals im Bild zu sehen sind, eine Zwischenfrage. Bei einer Predigt, in der es um die Vorherrschaft der Scharia vor der Demokratie ging, um das alleinige Recht Allahs, Gesetze zu erlassen, wollte ein Junge in breitestem Wienerisch wissen, ob man ‚unseren‘ Staat stürzen dürfe? Mirsad O. lacht und antwortet: "Diese Sache überspringen wir. Sonst könnte man etwas falsch verstehen oder auch richtig verstehen.“ Jetzt lachten alle.
Mirsad O. liebt solche Anspielungen. Er macht das auch mit "Kaida“ (arabisch für Glaubensbasis, Anm. d. Red.) und Al Kaida, der Terror-Organisation, deren Anschläge er indirekt gutheißt ("Wegen 9/11 vergießen wir keine Tränen“).
Eine Aufzählung von Zitaten aus Mirsad O.s Predigten ergibt ein Weltbild, das man in Europa als faschistisch identifizieren könnte. Aus der islamischen Überlieferung, dass jeder Mensch als Muslim auf die Welt komme und nur von seinen Eltern zum Christen, Juden oder "Feueranbeter“ gemacht werde, konstruiert er ein System, in dem am Ende jeder selbst schuld sei und bestraft werden müsse, der sich nicht zum Islam bekenne. Wobei er den "richtigen“ Islam sehr eng auslegt. Mirsad O. gehört der Takfiri-Bewegung an, die alle jene, die gegen seine Lehre verstoßen, zu Kuffar, zu Ungläubigen erklärt. Mirsad O. ist dabei einer der Strengsten. Schiiten hasst er besonders. Mirsad O. teilt die unter seinesgleichen weit verbreitete Lehrmeinung, das Schiitentum sei einst von Juden in die Welt gesetzt worden.
Zitate aus Mirsad O.s Predigten:
Wer Allah beschimpft, müsse "geschlachtet“ werden. Märtyrer würden nicht für ihre Sünden bestraft. Die Erneuerer im Islam seien schlimmer als Christen und Juden. Der Nutzen der Ehe bestehe unter anderem in "Erzeugung oder Gebären von Muslimen, die auf dem Weg Allahs kämpfen werden“. - "Allah müsst ihr anbeten! Nur er darf angebetet werden!“ - Allah habe versprochen, der Kampf werde eintreten. "Wir sind auf Probe! Wenn von Kuffar umzingelt (…), werden wir sagen: wir gehen mit dir, auch wenn wir alle ums Leben kommen. Das ist der Glauben.“ - "Wenn es passiert, bist du nicht überrascht, (…) du wirst nicht sagen: was sollen diese vielen Waffen.“ - "Nicht dass ihr glaubt, Koran ist besser als Schwert.“
Es gibt ein Audio-File, das von der "FreeEbuTejma“-Gruppe ins Netz gestellt wurde (Zeitpunkt der Aufnahme unklar). Darin sagt Mirsad O:
"Es ist besser, dass man sich anschließt ..."
"Unsere Lage kann nicht schlechter sein. Ich meine unsere Lage, da, wo wir leben. Schlechter kann es nicht sein. Aber dort, wo die Mudschaheddin sind (…) Wer sich denen anschließen kann! Es ist besser, dass man sich anschließt, als dass man hier lebt. Ohne Zweifel.“
Wie ist Mirsad O. so geworden? Im Alter von elf Jahren kam er mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern nach Wien. Flüchtlinge des Bosnienkriegs 1992. Die Familie stammt aus der Kleinstadt Tutin im Sandschak, einer Region am Rande Serbiens, in der immer schon Muslime lebten und in der heute extremistische Islamisten den Ton angeben.
Sie wohnten in Wien-Favoriten. Mirsad O. besuchte die Hauptschule, das Polytechnikum und lernte Stahlbauschlosser. Im September 2001, als zwei Passagierflugzeuge in die Twin Towers in New York gelenkt werden und die Debatte über Terror im Namen des Islam hitzig wurde, stand die Familie vermutlich nicht auf der Seite des Westens. Bis heute unterstützen sie ihren Sohn in allen Belangen. Kurz danach, gerade einmal 20 Jahre alt, ging Mirsad O. nach Jordanien, um Arabisch zu lernen. Im Jahr 2002 erhielt er, vermutlich von der von Saudis finanzierten Moschee am Wiener Donaudamm, ein Stipendium für Medina oder Mekka. (Anklage und Verteidigung sind sich in diesem Punkt nicht einig.) Vor seiner Abreise heiratete er eine Bosnierin, standesamtlich und nach islamischem Ritus.
Radikale Islam-Gelehrte, die den Westen verdammen, zum gewaltsamen Dschihad bis hin zu Selbstmordattentaten ausrufen, werden seine Vorbilder. Mirsad O. befürwortet Terroranschläge im Irak. Er schließt sich Theologen an, die Saudi-Arabien als "Taghut“, Sinnbild eines korrupten Systems, ablehnen. Mirsad O. verficht die Errichtung eines "richtigen“ Islamischen Staats, eines Kalifats.
Er beruft sich auf Suleiman b. Nasir Al-Ulwan, einen wahabitischen Gelehrten, dessen Moschee in Medina in diesen Jahren als "Terrorfabrik“ galt. Seit 2013 sitzt Ulwan in Saudi-Arabien wegen Terror-Unterstützung in Haft. Der zweite Theologe, den Mirsad O. oft zitiert, ist Humud b. Uglan ash-Shuaibi: Durch ihn wurden etliche Afghanistan-Kämpfer angestachelt, die auf der Seite der Taliban in den Krieg zogen.
2008 kommt Mirsad O. wieder zurück nach Wien. Er arbeitet ein paar Monate lang auf Baustellen. Im Jahr 2009 wird er Religionslehrer an einer islamischen Privatschule im 20. Wiener Gemeindebezirk, bezahlt vom Wiener Stadtschulrat. Die Islamische Glaubensgemeinschaft unter Anas Schakfeh hat ihn als Religionslehrer akzeptiert.
Aus dieser Zeit, 2009 oder 2010, stammt ein Vortrag, in dem er Osama Bin Laden preist und über die richtige Art des Schlachtens fachsimpelt. Es geht dabei nicht nur um Tiere, sondern auch um Menschen. Anlass sind ihm Enthauptungsvideos von Al-Kaida-Terroristen. In seinem Vortrag "Die Pflichten eines jeden Moslem“ erzählt Mirsad O. von einem Bekannten, der gemeint habe, so könne man das nicht machen. Dieser habe erklärt: "Zuerst trennst du mit dem Säbel sein Rückenmark ab und dann schneidest du ihm den Kopf ab, weil es so schneller geht und für denjenigen, den du tötest, leichter ist“. Mirsad O. fährt dort: "Genauso wie es deine Pflicht ist, das Messer zu schärfen, wenn du ein Schaf schlachtest, ist es deine Pflicht, das Messer zu schärfen, wenn du jemanden schlachtest“ und dann verweist er auf den entsprechenden Hadith. Mirsad O. referiert dann auch noch die Geschichte, als der Prophet Mohammed in Medina 800 jüdische Männer töten ließ. Mirsad O. sagt: "hat schlachten lassen“.
"Vordenker des dschihadistischen Salafismus“
In diesen Jahren hat Mirsad O. begonnen, sich in der radikalen Wiener Szene als "Vordenker des dschihadistischen Salafismus“, so der Gutachter des Staatsanwalts, der Islam- und Terrorexperte Guido Steinberg, einen gewissen Ruf zu erwerben. Er ist nun häufig in einer Wiener Moschee anzutreffen, in der auch ein Landsmann von ihm, den er aus seinen saudi-arabischen Lehrjahren kennt, das Sagen hat. Selbst diesem Imam, für den schnell einer ein "Kuffar“, ein Ungläubiger ist, sind Mirsad O.s theologische Ansichten zu radikal. Mirsad O. weicht in die Moschee in der Venediger Au im 2. Wiener Gemeindebezirk aus. Er wird dort eine Art Stammprediger, gemeinsam mit dem Imam Adem D.. Ihrer beider Predigten werden im Internet auf Bosnisch verbreitet. Mirsad O. zieht seine Kreise. Er hat Kontakt zu Bilal B., einem ehemaligen Mudschaheddin aus dem Bosnienkrieg, der derzeit in Bosnien eine Haftstrafe wegen Terror-Rekrutierung verbüßt. Noch immer ist Mirsad O. Religionslehrer an einer islamischen Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht. Im Schuljahr 2011/12 wird sie geschlossen. Mirsad O. gilt fortan als karenziert. Er predigt jetzt mehr als jemals zuvor, unter anderem in einer Moschee im 8. Wiener Gemeindebezirk, in der auch der junge Mohamed Mahmoud, der vergangenes Jahr in Syrien vor laufender Kamera Menschen erschoss und diese Videos ins Netz stellte, anzutreffen ist. Bald erscheinen Mirsad O.s Predigten unter dem von Mahmoud gegründeten, schon bald verbotenen Label "Millatu Ibrahim“. Mirsad O. und Mahmoud hatten übrigens bis zuletzt miteinander Kontakt. Mahmoud hatte ihn laufend aus Syrien angerufen, ihm berichtet, was so vor sich gehe, und ihn aufgefordert, ins Kalifat zu ziehen.
Mirsad O. rückt in den Fokus des Verfassungsschutzes. Er predigte teils auf Deutsch, teils auf Bosnisch. Er war in Internet-Foren präsent, in denen sich Jugendliche über theologische Fragen austauschten. Auf Paltalk konnte man an "Ebu Tejmas“ Islamunterricht teilnehmen. In einem Chat-Forum fragte ein Mädchen aus Wien, ob auch Frauen in den Dschihad dürfen und ob sie die Erlaubnis der Eltern dafür brauchen? Eine andere postete daraufhin, "Ebu Tejma“ habe gesagt, der Dschihad sei individuelle Pflicht jedes Muslims. So dürfe man auch ohne Erlaubnis der Eltern, denn die seien ebenfalls verpflichtet.
In Ehedingen erläutert Mirsad O. die - bei Salafisten durchaus übliche - Ansicht, dass Väter anstelle ihrer Töchter das Eheversprechen abgeben können, Männer sollten möglichst minderjährige Mädchen heiraten, damit sie sich allmählich "an den Mann gewöhnen“ können. Ein Mann dürfe seine Frau schlagen, ihr jedoch nicht die Knochen brechen. Er dürfe sie nur "nicht wie einen Sack“ schlagen, zitiert Mirsad O. ein entsprechendes Hadith. Es sei auch nicht verboten, seine Frau im Autofahren zu unterweisen. Einen Führerschein brauche sie zwar nicht, doch könnte sie das Autofahren für etwaige Shahid-Aktionen (Selbstmordattentate, Anm. d. Red.) brauchen. Mirsad O.s Anwalt meint, sein Mandat hätte an dieser Stelle witzig sein wollen.
Im Rahmen der Lies-Aktion verteilte Mirsad O. am 26.3.2011 am Grazer Hauptbahnhof Koran-Exemplare. In einem bosnischen Video aus 2012 sprach er vor der berüchtigten schwarzen Flagge über die Scharia. Unterlegt von Maschinengewehr-Geknatter. Die Anklage wertet dies als Bekenntnis zur Terror-Organisation. Der Verteidiger sagt, keiner wisse, wer das Video gestaltet habe.
Im Oktober 2013 wurde Mirsad O. einer breiteren Öffentlichkeit durch ein Predigertreffen in Wien bekannt, zu dem die Stars der deutschen Salafisten-Szene angereist kamen. Offiziell handelte es sich um eine Benefizveranstaltung für Syrien. Ein Wiener Bub, der später in Syrien mit abgeschnittenen Köpfen posierte und mittlerweile tot ist, war auch dabei. Auch er hatte bis zuletzt mit Mirsad O. Kontakt gehabt. Bei diesem Treffen wurden IS-Flaggen versteigert.
Mirsad O. war ein gefragter Prediger. Er reiste viel. Besonders oft war er in Graz anzutreffen. Hin und wieder tauchte er in Gornja Maoca auf, in jenem Salafisten-Dorf in Bosnien, das 2001 von Männern mit langen Bärten in Besitz genommen worden war. Im vergangenen Sommer erregt ein IS-beflaggtes Haus in Gornja Maoca weltweites Aufsehen. In Bosnien gibt es mehrere solcher Enklaven, die von Afghanistan-Veteranen bewohnt werden. Bis heute fließen Unsummen von Geldern aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten in das Land, zur Verbreitung des Wahabitismus. In den Wäldern um Gornja Maoca wurde offenbar auch für Kampfeinsätze trainiert. Der Szene-Aussteiger Irfan Peci berichtet von der Schusswaffen-Ausbildung in den Wäldern um Gornja Maoca.
Freizeitbeschäftigung Kampfsport
In den Kreisen um Mirsad O. war Kampfsport eine häufige Freizeitbeschäftigung. Es gibt kaum einen verirrten Jugendlichen, der nach Syrien in den Dschihad gezogen ist und der nicht vorher irgendetwas mit dieser Sportart zu tun hatte. Mirsad O. besuchte mit seinen Anhängern einen Club in der Wiener Brigittenau. Einmal hatte er den Schweizer Kick-Boxchampion Valed Gashi zum Trainieren nach Wien geholt. Gashi ist heute mit einigen seiner Schüler beim IS in Syrien.
Der Syrienkrieg hat der salafistisch-dschihadistischen Strömung Auftrieb gegeben. Im Internet trägt der Hype pop-kulturelle Züge. Mirsad O. frohlockt, dass seine Moschee immer voller werde.
Irgendwann im Jahr 2011 stößt auch Mucharbek T. dazu. Der Tschetschene war zwölf Jahre alt, als seine Familie nach Österreich flüchtete. Mucharbek T. machte eine Tischlerlehre, arbeitete eine Zeitlang als Haustechniker im Palais Coburg und war Vize-Staatsmeister im Ringen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Jahr 2012, auf der Brünner Straße stadteinwärts, begab es sich, dass er zwei muslimische Teenager an einer Straßenbahnhaltestelle grob beschimpfte, die in seinen Augen zu enge Jeans und zu wenig Kopftuch trugen. Sie würden einmal "in der Hölle schmoren“. Er stieß ein Mädchen auf die Schienen, spuckte ihnen ins Gesicht. Seine Frau saß verschleiert im Auto und sah zu. Die beiden Mädchen notierten das Auto-Kennzeichen und erstatteten Anzeige.
Bei der Gerichtsverhandlung im März 2013 fehlte Mucharbek T. Da war er schon in Syrien. Mucharbek T. soll sich dort einer vor allem aus Nordkaukasiern bestehenden Terrorgruppe mit dem Namen JAMWA (Jaish al-Muhajireen wal-Ansar) angeschlossen haben. Sie wurde von Tarkhan Bativashvili alias Abu Umar al-Shishan geführt, der sich im Frühjahr 2013 zum IS bekannt hatte. Auf der ihm nahestehenden Propagandawebsite "fisyria“ ist der kollektive Übertritt seiner Kämpfer mit Fotos dokumentiert. Diese Gruppe, die Jamwa, könnte auch einem deutschen Hass-Prediger zum Verhängnis werden. Sven Lau, ein Konvertit, wurde im Dezember 2015 wegen des Verdachts der Unterstützung dieser Gruppe in Haft genommen.
Shishani, der "Tschetschene“, der eigentlich Georgier ist, genießt Kultstatus. Auch unter tschetschenischen Jugendlichen in Österreich. Videos und Fotos des Mannes mit dem henna-gefärbten Bart hat jeder Pop-Dschihadist auf seinem Handy.
Mucharbek T. soll damals einer Gruppe zugeteilt worden sein, die ein Bekannter aus Wien kommandierte, auch dieser ein Tschetschene aus den Kreisen der Altun-Alem-Moschee. Nach Medienberichten eroberten Einheiten der Jamwa im Sommer 2013 einen Flughafen in der Nähe von Aleppo. Die IS-Kämpfer setzten sich daraufhin in Orten nordwestlich von Aleppo fest, bezogen Häuser von Geflüchteten, requirierten Villen. Fotos von einem dieser Anwesen mit Swimmingpool geisterten ein paar Monate später durch die sozialen Netzwerke. Sie zeigen fröhlich im Pool planschende Tschetschenen. Sie wurden über eine pro-dschihadistische Website verbreitet. Die Aufnahmen sollten zeigen, wie schön es die Kämpfer dort haben. Heute finden sich diese Fotos von der Villa in Hraytan in den Beilagen der Anklage.
In Hraytan und in den umliegenden Dörfern sollen jene Mordtaten geschehen sein, deren Beteiligung die Staatsanwaltschaft Mucharbek T. zur Last legt. Ende 2013 waren die Kämpfe zwischen der Freien Syrischen Armee und dem IS in dieser Region aufgeflammt. Der Kronzeuge der Anklage, Aslan S. soll als Funkspäher Befehle und Gespräche der gegnerischen Gruppe aufgefangen und mitgehört haben. Er soll den Beschuldigten auch selbst einmal in Hraytan bewaffnet und mit Sprengstoffgürtel gesehen haben.
Dazu kommt, dass ausgerechnet in dieser Zeit ein tschetschenischer Vater aus Wien und dessen bester Freund in "Shishanis“ Villa in Hraytan auftauchten. In letzter Verzweiflung hatten sich die beiden Männer nach Syrien aufgemacht, um die minderjährige Tochter aus den Fängen der IS zu retten. Sie hatten sich an jene Leute gewandt, von denen in der tschetschenischen Gemeinschaft in Wien jeder wusste, dass sie dort etwas zu sagen haben. An "Shishani“ eben oder auch an Alkhasur D. - einen schon etwas älteren Kämpfer, der lange Zeit in Graz als tschetschenischer Asylwerber gelebt hat, angeblich ein guter Freund von "Shishani“. Auch hierzu existiert ein Foto, das schon einmal in einem Grazer Dschihadisten-Prozess gezeigt wurde: "Shishani“, Alkhazur D. und andere Kämpfer beim idyllischen Kirschenpflücken, entstanden im Herbst 2013.
In jener Villa in Hraytan sollen nun der Vater und dessen Freund auf Mucharbek T. gestoßen sein. Das Mädchen haben sie später in einer anderen Stadt gefunden und heil nach Hause gebracht. Man darf auf ihre Zeugenaussagen gespannt sein.
Mucharbek T. kam im Frühjahr 2014 nach Österreich zurück und war sofort wieder in den Kreisen um Mirsad O. zu finden. Zuerst in der Altun-Alem-Moschee, später in einer Moschee in der Brigittenau.
Im Frühjahr 2014 hatte sich Mirsad O. nämlich mit seinem Landsmann Adem D. in der Altun-Alem-Moschee über al-Nusra und IS zerstritten. In der Bereitschaft zum Terror bestehen zwischen diesen Gruppen kaum Unterschiede. IS ist stärker von apokalyptischen Tendenzen geprägt. "Falsche“ Muslime sind in ihren Augen noch gefährlicher als Ungläubige. Über den Streit und den Anlass dazu gibt es verschiedene Versionen. Es gibt eine Predigt, in der Mirsad O. sinngemäß sagt, er wolle sich da nicht einmischen, keine Stellungnahme für eine Terrorgruppe gegen die andere abgeben. Auch von seinen Anhängern hört man, es sei ausgemacht gewesen, hier keinen Standpunkt zu beziehen. Angeblich soll Mirsad O. jedoch in einer Grazer Moschee für den IS geworben haben. Nach dem Hörensagen sollen auch abgehörte Gespräche Mirsad O. belasten. Er hatte laufenden Telefon-Kontakt mit Leuten in Syrien. Das bestätigt sein Anwalt.
Eine geplante Schmier-Attacke auf die Redaktion der Zeitung "Österreich“ - Mirsad O. und seine Leute überlegten offenbar, eine schwarze IS-Fahne auf das Haus zu sprühen - sei kein ernst gemeinter Anschlag gewesen, sagt Anwalt Mertens. "Österreich“ war von Mirsad O. im Jahr 2013 wegen der Verwendung des Begriffs Hassprediger geklagt worden und hatte recht bekommen.
Mirsad O. soll selbst seine Ausreise nach Syrien geplant haben. Er soll buchstäblich in letzter Minute festgenommen worden sein. Mertens sagt: "Davon ist mir nichts bekannt.“