Männer raus aus den Kindergärten?
"In einem so sensiblen Bereich wie dem Kindergarten bin ich nicht unbedingt für eine hohe Männerquote. Und ja, es ist traurig, so was sagen zu müssen.“ Christoph Träumer (37) ist Lehrer in einer Wiener Mittelschule und reagiert auf den Missbrauchsskandal in Wien. Ein Pädagoge in einem städtischen Kindergarten soll sich an mehreren Kleinkindern vergangen haben. Die Eltern der Gruppe wurden erst 13 Monate später informiert und zum Stillschweigen aufgefordert. Die Leiterin der zuständigen Magistratsabteilung MA 10 wurde mittlerweile abgesetzt. Die Ermittlungen laufen.
Der Lehrer verleiht der Skepsis offen Ausdruck, die manche Eltern nur hinter vorgehaltener Hand artikulieren. Soll man die Arbeit mit den Kleinsten wirklich verstärkt in Männerhände legen? Vom Wickeln bis zum Hintern-Auswischen? Soll man das Risiko eines pädophilen Mitarbeiters eingehen, selbst wenn nur ein winziges Restrisiko besteht? Diese gewisse Grundskepsis, die männliche Kindergartenpädagogen entgegenschlägt, bekommt durch den Wiener Missbrauchsskandal neue Nahrung.
Der Anteil männlicher Elementarpädagogen liegt in Wien bei mickrigen fünf, in Gesamtösterreich gar nur bei zwei Prozent. Die Männerquote weiter zu steigern, ist erklärtes Ziel der meisten Politiker und Erziehungsexperten. „Kinder sollen im Alltag lernen, dass Männer und Frauen für Kinder ,zuständig‘ sind und hier die gleiche Kompetenz haben, vom Naseputzen übers Wickeln bis zum Trösten“, sagt die grüne Bildungssprecherin Sibylle Hamann. Den Missbrauchsverdacht wertet Hamann als Rückschlag im Kampf um mehr männliche Role Models: „Wer setzt sich schon gern einem unausgesprochenen Generalverdacht aus – oder auch nur blöden Witzeleien?“
„Ein Kind saß beim Morgenkreis zwischen meinen Beinen. Die Kollegin fuhr mich an, das sei sexuell anstößig.“
Gerade Lehrer wissen aus ihrer Arbeit mit Schülern, wie wichtig männliche Bezugspersonen sind. Skeptiker Träumer fragt sich aber stellvertretend für andere, die seinen Beitrag nur likten: „Sind männliche Bezugsperson für eine positive Kindesentwicklung nicht erst im Volksschulalter ausreichend? Dort kommt es in einem
wesentlich geringeren Ausmaß zu engem Körperkontakt.“
Körperkontakt. Das bedeutet im Kindergarten konkret: Wickeln und am Klo beim Auswischen helfen, von vorn bis hinten, gerade nach dem Mittagsschlaf mit Nachdruck. So wollen es die strengen Hygienevorschriften. Die Intimzonen zwischen Klo und Wickelraum sind die sensibelsten Bereiche für möglichen Missbrauch.
Zwei Kindergärtner, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, geben Einblicke in die heikelsten Facetten ihres Jobs: „Intime Situationen gehören einfach zum Beruf. Ich achte immer darauf, dass ich nicht versteckt die Windeln wechsle. Beim Auswischen lasse ich die Klotür offen, damit man mir theoretisch zuschauen kann. So will ich mich absichern“, erzählt ein Leiter eines privaten Kindergartens im 15. Wiener Bezirk. Der 33-Jährige hat Erfahrung im traditionellen Frauenjob und kennt die Vorurteile, die Männern im Kindergarten entgegenschlagen. In seinem Fall ging die Skepsis in erster Linie von Kolleginnen aus. „Während meines Praktikums holte die Leiterin eines Wiener städtischen Kindergartens zunächst die Erlaubnis der Eltern ein, bevor ich deren Kinder wickeln durfte.“ Ein völlig unüblicher Schritt, der mehr über die Unsicherheit der Leiterin als jene der Eltern aussagte.
Eine weitere Szene, die sich bei ihm eingebrannt hat: „Ein Kind saß beim Morgenkreis zwischen meinen Beinen. Eine Kollegin fuhr mich an, das sei sexuell anstößig. Ich solle das Kind sofort wegsetzen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, etwas falsch zu machen.“ Nach den ersten, harten Jahren seien die Reaktionen fast ausschließlich ins Positive gekippt. Vor allem seitens der Eltern. „Viele sahen es als längst überfällig an, dass mehr Männer den Job machen.“ Verständlich. Für Kinder von Alleinerzieherinnen oder von Vätern, die zu Hause kaum präsent sind, stellen männliche Elementarpädagogen nicht selten die zentrale, männliche Bezugsperson dar. „Es ist mir schon passiert, dass mich ein Kind Papa genannt hat“, erzählt der Kindergärtner. Auch das brennt sich ein.
Ein anderer Pädagoge, der seit drei Jahren in einem Kindergarten in Wien-Ottakring arbeitet, erzählt: „,Ein Mann im Kindergarten? Mit dem muss etwas nicht stimmen.‘ Ich weiß, dass manche Eltern solche Vorbehalte hegen.“ Mit solchen Gedanken im Hinterkopf hat er sich bei intimen Situationen von Beginn an unwohl gefühlt.
Seine goldene Regel: Die Kinder miteinbeziehen. „Ich frage immer, ob es okay ist, wenn ich mit ihnen aufs Klo gehe und ihre Windel wechsle. Oder ob sie eine Kollegin vorziehen. Und wenn ich der Einzige bin, der dafür infrage kommt, achte ich sehr darauf, dass sich das Kind wohlfühlt.“ Auch dieser Kindergärtner achtet akribisch darauf, nie mit einem Kind allein auf dem Klo zu sein.
Kleinkindern in intimen Situationen Geborgenheit und Sicherheit zu geben, gilt in der modernen Kindergartenpädagogik als ein wesentlicher Schlüssel zum Vertrauen. Doch je größer der Personalmangel und in weiterer Folge der Druck und Stress, desto unpersönlicher und hektischer wird gewischt und gewickelt. In der Realität vieler heimischer Kindergärten betreut nicht selten eine Pädagogin bis zu 25 Kinder – inklusive Klo- und Wickeldienst, während eine zweite Helferin Frühstück, Mittagessen oder Jause vorbereitet. In solchen Krippen oder Kindergärten ist das Personal froh, wenn es die Kinder ohne gröbere Verletzungen beim Spielen oder Streiten heil durch den Tag bringt. An die Umsetzung neuer pädagogischer Lehrformeln ist dabei gar nicht groß zu denken.
Wegen des extremen Personalmangels fällt ein wesentlicher Sicherheitsmechanismus gegen Missbrauch oft weg: Das Vier-Augen-Prinzip. Würde es eingehalten, bräuchte man über das Geschlecht des Personals gar nicht groß nachdenken.
„Die beste Prävention gegen Missbrauch ist, wenn nie jemand allein die Gruppe betreut“, sagt die Bundesgeschäftsführerin der Kinderfreunde, Daniela Gruber-Pruner. Denn auch Frauen seien nicht davor gefeit, „Dinge zu tun, die sie später bereuen und die als übergriffig aufgefasst werden könnten“. Deswegen sei eine „Fehlerkultur des Hinschauens und des offenen Feedbacks so entscheidend, ohne Angst, Kolleginnen und Kollegen zu vernadern“.
Was rasch umgesetzt werden sollte und von vielen Kindergärten schon jetzt praktiziert wird, ist ein Verbot für Kindergartenpersonal, allein mit einem Kind in einem geschlossenen Raum zu sein. Sowie der Einbau von großen Fenstern in jeden Wickelraum, um sie einsichtig und dadurch zu „Safe Spaces“ zu machen. Geld dafür fließt nun ausreichend. Die Bundesregierung hat eine Kindergarten-Milliarde bereitgestellt. Gruber-Pruner dämpft die Erwartungen: „Sie fließt über fünf Jahre. Der Betreuungsschlüssel – mehr Pädagogen pro Kinder – wurde außerdem nicht verändert.“
Die grüne Bildungspolitikerin Hamann widerspricht. „Die Materie Kindergarten ist Ländersache. Dass der Bund einfach zentral Gruppengrößen vorschreibt, geht überhaupt nicht. Es gibt durch die Milliarde aber gezielt mehr Geld für alle Kindergärten, die für mehr Pädagoginnen und Pädagogen pro Gruppe sorgen.“ Ein besserer Betreuungsschlüssel sei erklärtes Ziel.
Wie auch immer die Personalsituation verbessert wird: Elementarpädagogen aus Sicherheitsgründen aus den Kindergärten zu verbannen, wäre vom Männerbild her – „für Kleinkinder zu gefährlich und ungeeignet“ – fatal. Am breiten Konsens, wonach höhere Männerquoten den Kindergärten guttun, dürften auch die Missbrauchsvorwürfe nichts ändern.
Nun geht es aber eher darum, männliche Pädagogen nicht zu verlieren. Denn, wie sich der Leiter des Kindergartens im 15. Wiener Bezirk an seine Ausbildung zurückerinnert: „Wir haben damals gelernt, dass wir als Kindergärtner mit einem Fuß im Häfn stehen. Denn bei der kleinsten Schramme am Kind kann es Anzeigen wegen Verstößen gegen die Aufsichtspflicht hageln.“
Das gilt für Männer und Frauen. Durch die medial dauerpräsenten Missbrauchsvorwürfe stehen nun speziell Männer unter Beobachtung. Und die muss man im Kindergarten ohnedies suchen.