Falls Sie die Nachricht beunruhigend fanden, dass Österreichs Luftraum am Wochenende ungeschützt war, seien Sie an dieser Stelle vorgewarnt: Die nächsten Zeilen könnten noch mehr Unbehagen auslösen. Denn die sogenannte aktive Luftraumüberwachung mit startbereiten Eurofightern zur Abwehr feindlicher Fluggeräte findet für gewöhnlich nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang statt. In der Nacht ist der Luftraum ungeschützt. Die Radaranlagen sind zwar rund um die Uhr im Dienst, aber wenn eine Drohne im Dunkeln nach Österreich fliegt oder sich gar eine feindliche Rakete hierher verirrt, kann ihr das Bundesheer nur zusehen oder darauf hoffen, dass ein Nachbarland sie abfängt.
Die Tagwache der Eurofighter hat viele Gründe. Österreich besitzt nur 15 Stück, viel zu wenige für eine lückenlose Überwachung. Lange hatte das Heer auch nicht genügend Geld, um das Potenzial der Flieger auszureizen. Mit der Zeitenwende nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat sich zwar die Budgetlage geändert – bis 2032 sind 16 Milliarden Euro für Investitionen vorgesehen –, aber ein Problem können Budgetpfad und Beschaffungen auf die Schnelle nicht lösen: den Personalmangel. Jahrelang wurden Stellen im Heer abgebaut, die jetzt neu besetzt werden müssen – ausgerechnet im Fachkräftemangel und während einer Pensionierungswelle. Was nutzt also das modernste Gerät, wenn niemand bereitsteht, um es zu bedienen?
Militärischer Ärztemangel
Das Verteidigungsministerium sucht in allen Bereichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Im Ressort arbeiten 2566 Berufsoffiziere aller Waffengattungen, damit sind 69 Prozent der benötigten Stellen besetzt, ähnlich sieht es bei Berufsunteroffizieren aus. Die Posten für Piloten sind zu 71 Prozent besetzt, bei Technikern liegt die Quote bei 65 Prozent, bei Ärzten gar nur bei 58 Prozent.
Die Unterbesetzung hat weitreichende Folgen. Wenn ein Eurofighter in Zeltweg bereitsteht, braucht es neben Piloten unter anderem auch Techniker, Radar-Betriebspersonal oder Feuerwehrmänner und -frauen. Ist eine dieser Stellen unbesetzt, kann der Flieger nicht starten. So geschehen am Wochenende: Die Luftraumüberwachung wurde abgesagt, weil die Fluglotsen ihre massiven Überstunden abbauen mussten.
75 Prozent der Fluglotsen-Stellen besetzt
Ihre Mehrbelastung hat viele Gründe. Seit 2021 sichern die Eurofighter in Zeltweg den Luftraum allein, nachdem die Saab-105-Flieger mit ihrem Standort in Hörsching ausgemustert wurden. Und durch die Airpower-Flugshow des Heeres fielen zusätzliche Überstunden an. Bei der knappen Besetzung sind sie besonders spürbar: Nur 75 Prozent der Stellen sind besetzt.
Sollte die derzeitige Situation wirklich die behauptete Tragweite erreicht haben, hielte ich es für fahrlässig, dass zur Lösung des Problems seitens des Verteidigungsressorts nicht der dafür vorgesehene Weg beschritten wurde, sondern die Verantwortung weitergeschoben werden sollte.
Werner Kogler
der Beamtenminister in einem Brief an Verteidigungsministerin Klaudia Tanner
Um das Problem zu lösen, möchte das Heer seinen Fluglotsen durch Sonderverträge mehr Gehalt zahlen. Dafür braucht es aber die Zustimmung des Beamtenministeriums (BMKÖS) des Grünen Werner Kogler. Generalstabschef Rudolf Striedinger rückte in der „Krone“ aus: „Das Verteidigungsministerium arbeitet seit Jahren an der Lösung des Problems von zu wenigen Fluglotsen. Dazu gab es unzählige Gespräche mit dem BMKÖS, das jedoch die Tragweite der Problematik nicht erkannt hat oder nicht erkennen wollte.“ Im Heer ärgert man sich schon länger über das Beamtenministerium, das die Einstufung von Posten freigeben muss. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, ÖVP, forderte für die nächste Regierung mehr Zuständigkeiten für ihr Haus: „Die Personalhoheit, die gehört in das Ressort, das dafür die Verantwortung trägt. Ich nehme gerne die ganze Verantwortung, wenn ich sie für die Frage der Sonderverträge – ob es welche gibt und in welcher Höhe, die möglich sind – auch habe.“
„Mit besten Grüßen, Werner Kogler“
Nun reagierte Werner Kogler mit einem internen Brief, der profil vorliegt. Man kann die angespannte Stimmung zwischen den Ministerien herauslesen. Kogler schreibt an die „liebe Klaudia“: „Die jüngsten Berichte (…) haben Schwächen der Landesverteidigung aufgezeigt, die viele Österreicherinnen und Österreicher sorgenvoll stimmen und von uns, die Verantwortung tragen, schnellstmöglich und konstruktiv behoben werden müssen.“ Und weiter: „Sollte die derzeitige Situation wirklich die behauptete Tragweite erreicht haben, hielte ich es für fahrlässig, dass zur Lösung des Problems seitens des Verteidigungsressorts nicht der dafür vorgesehene Weg beschritten wurde, sondern die Verantwortung weitergeschoben werden sollte.“ Die Sektion öffentlicher Dienst stehe „jederzeit bereit, um tragfähige und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen“. Die Initiative müsse aber gesetzlich vom jeweiligen Ressort, also dem Verteidigungsministerium, ausgehen. Eine „Personalproblematik in der Flugsicherung“ sei bisher noch nie thematisiert worden. Gemeinsam werde man einen Weg finden, um potenzielle Sicherheitsrisiken zu beheben. „Mit besten Grüßen, Werner Kogler“.
Tatsächlich hat die Frage, wie viel Fluglotsen beim Heer verdienen dürfen, sogar schon den Verfassungsgerichtshof beschäftigt. 2010 kippten die Höchstrichter die Mehrleistungszulage dieser Gruppe beim Heer. Seitdem schafften es Beamten- und Verteidigungsressort nicht, sich auf eine verfassungskonforme Lösung zu einigen.
Man muss wissen: Soldatinnen und Soldaten sind in einem strikten Gehaltsschema und können nicht wie in der Privatwirtschaft eine Gehaltserhöhung verhandeln. Das Vertragsbedienstetengesetz sieht aber vor, „dass das BMKÖS in Ausnahmefällen eine Richtlinie für Sonderverträge festlegen kann“, sagt Bernhard Smutek, Leiter der Abteilung Allgemeine Personalangelegenheiten im Verteidigungsministerium, zu profil. „Diese Sonderverträge haben sich in den Fachbereichen entwickelt, wo man im Verhältnis zur konkurrierenden Privatwirtschaft oder anderen staats- nahen Unternehmen monetär nicht mithalten kann.“ Für Militärärzte oder Piloten gibt es also diese Sonderverträge, und prinzipiell auch für Fluglotsen – nur eben ohne die entscheidende Mehrleistungszulage.
"Ein Fall bekannt"
Damit kann das Heer mit anderen Arbeitgebern schlecht mithalten. Rund 4350 Euro Einstiegsgehalt auf 32,5 Wochenstunden gerechnet verdient man als Fluglotse beim Heer. Bei der Austro Control, die für den sicheren Ablauf des gesamten Flugverkehrs in Österreich verantwortlich ist, liegt das Einstiegsgehalt mit derselben Arbeitszeit bei 6600 Euro. So leicht könne man vom militärischen zu einem zivilen Arbeitgeber aber nicht wechseln, sagt die Austro Control: „Vielmehr müssen – bei Interesse – nach erfolgreichem Selektionsverfahren für zivile Fluglotsen erst erhebliche Teile der Ausbildung nachgeholt werden. Aus den vergangenen Jahren ist ein Fall bekannt, in dem ein Fluglotse des Heeres zu Austro Control gewechselt hat und sich derzeit noch in Ausbildung befindet.“ Wenn, dann entscheiden sich die Bewerber also schon vorher gegen das Militär.
Der „verstärkte Wettbewerb um Talente“ mache sich allerdings auch bei der Austro Control bemerkbar, sagt ein Sprecher. „Mit attraktiven Arbeitsbedingungen, einer guten Work-Life-Balance und verantwortungsvollen, herausfordernden Jobs gelingt es aber, ausgezeichnete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden.“
55.000 Männer und Frauen bis 2032
Im Bundesheer konnte man den Abwärtstrend zumindest abmildern. Im Vergleich zu 2004 gab es im Vorjahr zum Beispiel 40 zusätzliche freiwillige Meldungen für den Job des Militärpiloten. Aber man weiß auch, dass höhere Gehälter allein das Problem nicht lösen werden.
Vor allem, weil es sich in Zukunft noch verschärfen wird: Bis zum Jahr 2032 soll die Truppe aus 55.000 Männern und Frauen bestehen. Ein guter Teil davon soll der Miliz angehören – das sind Personen, die einen zivilen Hauptberuf haben und nur für bestimmte Einsätze die Uniform anziehen. In diesem Bereich fehlen noch etwa 5400 Milizunteroffiziere.
Das Verteidigungsministerium will mit Weiterbildungsmöglichkeiten und sicheren Arbeitsplätzen locken, hat manche Aufnahmekriterien, etwa für Frauen, gesenkt. Außerdem soll die Truppe selbst beim Rekrutieren helfen: Seit Juni wurde eine Prämie eingeführt, die schon 200 Mal beantragt wurde: Wer jemanden erfolgreich zum Heer holt, erhält 300 Euro.
Ja, das gilt auch für Fluglotsen.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.