Misstrauensantrag gegen Kurz: Schärfstes Kontrollmittel, bisher nie erfolgreich
Der Misstrauensantrag ist für den Nationalrat das schärfste Mittel der Kontrolle. Nach einem Misstrauensvotum muss der Bundespräsident das betreffende Regierungsmitglied (bzw. die gesamte Regierung) des Amts entheben, ohne dass dafür eine besondere Begründung nötig wäre. Nötig ist allerdings die Mehrheit in der Abstimmung. Und so kam es - obwohl es seit 1945 schon 185 Mal versucht wurde - noch nie dazu.
Bisher hatten alle Regierungen die Nationalratsmehrheit hinter sich. Auch wenn Koalitionen zerbrachen und Neuwahlen ausgerufen wurden, hielten sich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen bis zur Neuwahl daran, nicht gegen noch im Amt befindliche Kanzler oder Minister zu stimmen. Und umstrittene Regierungsmitglieder, denen der Vertrauensentzug drohte, traten immer zurück, ehe es dazu kam.
Der heute in der Sondersitzung bevorstehende 186. Misstrauensantrag der Zweiten Republik könnte eine Mehrheit finden. Stimmen der bisherige Regierungspartner FPÖ und die SPÖ zu, müsste Bundespräsident Alexander Van der Bellen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bzw. die gesamte Regierung des Amtes entheben. Wobei heute zwei Misstrauensanträge angekündigt sind: einer der Liste JETZT gegen Kanzler Kurz und einer der SPÖ gegen die gesamte Regierung. Die Geschäftsordnung sieht vor, dass zuerst der weitergehendere zur Abstimmung gelangt. Wenn also der SPÖ-Antrag angenommen wird und die gesamte Regierung abgewählt wird, wird über den Antrag gegen Kurz alleine nicht mehr abgestimmt.
Für den Vertrauensentzug reicht die einfache Mehrheit im Nationalrat - allerdings mit dem verschärften Erfordernis, dass die Hälfte der Abgeordneten bei der Abstimmung im Plenarsaal anwesend sein muss. Und es gibt noch eine Besonderheit: Auf schriftliches Verlangen eines Fünftels der Abgeordneten muss die Abstimmung über einen Misstrauensantrag auf den zweitnächsten Werktag vertagt werden. Damit soll laut Parlamentshomepage verhindert werden, dass z.B. in Zeiten einer Grippewelle Regierungsmitglieder durch "Zufallsmehrheiten" zu Fall gebracht werden. Die ÖVP hätte die nötigen Abgeordneten dafür, sie hat aber bereits angekündigt, keine Verschiebung zu beantragen.
Besonders begründet werden muss ein Misstrauensantrag - anders als z.B. eine Ministeranklage - nicht. Es muss also z.B. keine rechtliche Verfehlung eines Regierungsmitglieds vorliegen. Gerichtet sein kann der Antrag entweder gegen ein einzelnes Regierungsmitglieder oder gegen die gesamte Regierung. Im Vorfeld wurde darüber spekuliert, dass man die Abstimmung geheim abhalten könnte oder aber auch eine namentliche Abstimmung machen könnte. Nach derzeitigem Stand ist keine dieser Varianten geplant.
Bisher 185 Misstrauensanträge in der Zweiten Republik
In der Zweiten Republik gab es bisher insgesamt 185 Misstrauensanträge. In der aktuellen XXVI. Legislaturperiode lehnte die - bisherige - türkis-blaue Mehrheit sieben solcher Ansinnen ab. Einmal versuchte die SPÖ, die Amtsenthebung des - mittlerweile zurückgetretenen - Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (FPÖ) zu erreichen. Und sechs Mal versuchten SPÖ, NEOS und Liste Jetzt (teilweise auch gemeinsam) Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) das Misstrauen auszusprechen.
Wobei der Opposition in der Regel auch klar ist, dass ihr Antrag nicht durchkommen wird - aber er wird als starkes Zeichen des Protests genutzt, und zwar besonders seit den 70er-Jahren. In kaum einer der letzten Legislaturperioden gab es weniger als zehn Misstrauensanträge. Auffällig ist die XXIV. Gesetzgebungsperiode von 2008 bis 2013. In dieser überstand die rot-schwarze Koalition 41 Misstrauensanträge von FPÖ, BZÖ und Grünen. Drei richteten sich gegen die ganze Regierung, fünf gegen Kanzler Werner Faymann (SPÖ).
Auch während der ersten schwarz-blauen Zusammenarbeit bekundeten rote und grüne Oppositionspolitiker der Regierung häufig - ohne freilich die Mehrheit zu finden - ihr Misstrauen. Von 1999 bis 2002 blockte die ÖVP-FPÖ-Mehrheit 13 Anträge ab - und in der XXII. Periode von 2002 bis 2006 waren es 18. Jeweils einer betraf Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und jeweils einer die gesamte Regierung - und einige davon brachte Alexander Van der Bellen als damaliger Chef der Grünen ein.