Mixed Martial Arts: Der heimliche Massensport
Noch deutet nichts auf das Spektakel hin. Vor der Wiener Stadthalle treiben sich an einem sonnigen Septembermorgen einige Touristen herum, drinnen werken Bühnenbauer an Stahlrohrkonstruktionen. Plakate an der Fassade bewerben vergangene Konzerte von Schlagerstar Helene Fischer, kommende von Popikone Céline Dion und das „Erste Bank Open“, Wiens traditionsreiches Tennisturnier.
Doch schon am 7. Oktober wird hier, in der großen Halle D, „Sparta 3“ über die Bühne gehen. Es wird wohl das größte Kampfsportevent in Wien, seit Johann „Hansi“ Orsolics 1969 vor 14.000 Zuschauern zum zweiten Mal Europameister wurde. Diesmal lockt aber nicht der klassische Boxsport in die Stadthalle, sondern Mixed Martial Arts, kurz MMA. Dabei wird geboxt, gekickt und gerungen. Gekämpft wird in einem achteckigen Käfig, verboten sind nur wenige Dinge wie Beißen, Haare ziehen oder Angriffe auf Augen und die Lendengegend.
Der Sport hat die Welt erobert, mittlerweile greift der Hype auch in Österreich voll um sich. In Windeseile ist „Sparta“ zum Branchenführer geworden, im ganzen Land poppen Veranstaltungen auf. Das große Vorbild ist die US-Profiliga UFC, in der es um Millionenbeträge geht. Dem Sport helfen aber nicht nur martialische Inszenierungen, ihm kommt der Zeitgeist entgegen. Vom Krafttraining im Fitnessstudio ist der Weg zum Box-Gym nicht weit, unter jungen Männern boomt der Körperkult. Joe Rogan, dessen Podcast jeden Monat millionenfach gehört wird, hat früher UFC-Kämpfe kommentiert, er spricht oft über MMA und die Bedeutung davon, männlich und stark zu sein.
Sparta ist nicht nur Kampfsport, sondern auch Entertainment.
Tschetschenische Ursprünge
Der 27-jährige Magomed Ozniev ist einer der Gründer von „Sparta“. Er kam 2009 nach Wien. Geboren wurde er in Tschetschenien, dort ist MMA Volkssport, viele Kämpfer – auch in Mitteleuropa – haben ihre Wurzeln in der russischen Teilrepublik. Ozniev war durchaus erfolgreich, seinen ersten Kampf bestritt er mit 18, von seinen ersten sieben Duellen verlor er kein einziges. Die Initialzündung für die Gründung kam im Februar 2020, als er nach einem gewonnenen Fight in Wien vergeblich auf seine Gage warten musste. „Es ist mir nicht ums Geld gegangen, sondern um den Respekt“, sagt er. „Da habe ich gemerkt, dass in Österreich ein professionelles Event fehlt.“ Gemeinsam mit dem ebenfalls tschetschenisch-stämmigen MMA-Kämpfer Muslim Danaev und dem Unternehmer Sinan Bozogul zog er „Sparta 1“ auf, die erste Auflage, im Multiversum im niederösterreichischen Schwechat.
Beim Gespräch mit profil in einem Wiener Kaffeehaus sitzt neben Ozniev Ernst Khan. Er hat in einer Wiener Marketingagentur gearbeitet, jetzt ist er „Managing Director of Consulting and Marketing“ von „Sparta“. Das Vokabular der Branche hat er verinnerlicht, er redet von „brandbuilding“ und der „customer journey“. „Für uns ist ,Sparta’ nicht nur Kampfsport, sondern auch Entertainment“, sagt Khan. Damit die Marke keinen Schaden abbekommt, verpflichten sich die Kämpfer, die bei „Sparta“ unter Vertrag stehen, auf Social Media keine extremistischen Inhalte politischer oder religiöser Art zu posten. Beides kommt in der Szene ab und an vor. „,Sparta’ ist weltoffen“, sagt Khan.
Am Programm für den Abend in der Stadthalle stehen neben den Kämpfen auch Sänger aus Serbien und Rapper aus Deutschland. Das kostet viel Geld. Alleine die Miete für die Halle belauft sich laut Khan für den Abend auf knapp 150.000 Euro. Neben dem Verkauf von Eintrittskarten – die billigste kostet 40 Euro – helfen namhafte Sponsoren bei der Finanzierung. Dazu zählen ein bekannter Fabrikant von Energydrinks, ein Onlinecasino und ein deutscher Hersteller von Gaming-Sesseln. „Finanziell ist die Stadthalle ein Risiko“, sagt Khan. „Aber wenn wir den Zuschauern was bieten, bin ich zufrieden. Bei ,Sparta 2’ haben wir das auch geschafft.“
Brachial in Schwechat
„Sparta 2“ war der bisherige Höhepunkt der Eventreihe. Gut 4000 Menschen kamen im März ins Multiversum, die Ränge waren brechend voll, die Zuschauer mehrheitlich jung und männlich. Ozniev führte als Showmaster durch den Abend, Muslim Dulatov – eine große Nummer, auf Instagram folgen ihm 130.000 Menschen – entschied seinen Fight in Sekundenschnelle, zwei Wiener Influencer maßen sich im Showkampf.
Das Highlight aber war das Aufeinandertreffen von Patrick Rainer und Rafael Tupy. Rainer hat ein Näheverhältnis zur aktiven Fanszene des SK Rapid, Tupy eins zu der der Wiener Austria. Als Wiener Derby wurde der Kampf beworben, je 400 Fans der beiden Vereine und ungefähr 100 Kobra-Beamte waren da. Im Multiversum herrschte eine Stimmung, wie man sie sonst nur von Fußballstadien kennt, das Hallendach verlieh den Gesängen eine brachiale Lautstärke. In der zweiten Runde gelang Rainer der entscheidende Würgegriff, Tupy gab auf. Beide Fansektoren feierten ihre Kämpfer, Rainer nahm mit blutiger Nase Glückwünsche entgegen. Der Fight verdeutlichte, welchen Stellenwert der Kampfsport in Fußballkreisen mittlerweile hat. Jede Fanszene, die etwas auf sich hält, hat eine eigene Hooliganabordnung. Dazu gehören keine versoffenen Wirtshausschläger, sondern austrainierte Sportler.
„So eine Stimmung wie bei unserem Kampf hat es in Österreich noch nicht gegeben“, sagt Tupy ein halbes Jahr danach im Gespräch mit profil, aber auch: „Die Niederlage war schwer für mich. Der Druck ist sehr groß gewesen.“ Tupy hat auf Armen und Beinen großflächige Tattoos und breite Schultern. Wenn er redet, spricht er im Wiener Dialekt, eher leise und selbstreflektiert.
Ehemaliger Unteroffizier
In der Jugend hat der 30-Jährige beim Wiener Traditionsklub FavAC gekickt, mit 17 verlor er das Interesse am Fußball. Stattdessen begann er, mit Kampfsport zu experimentieren. „Die Gewalt fasziniert mich weniger“, sagt Tupy. „Mir taugt das Eins-gegen-Eins.“ Im Februar hat Tupy beim Bundesheer abgerüstet – er war Unteroffizier bei der Garde –, nun gilt seine volle Konzentration dem Kampfsport. Nach dem Kampf gegen Rainer unterschrieb er einen Vertrag bei Sparta, das Unternehmen habe ihm vier Sponsoren organisiert, sagt er: „Das Geld reicht, um mir mein Leben zu finanzieren.“
Eigentlich hätte Tupy auch bei „Sparta 3“ kämpfen sollen, ein Rückkampf gegen Rainer war vereinbart. Doch Tupy verletzte sich an der Schulter, die Revanche muss warten. Damit die Austrianer trotzdem auf ihre Kosten kommen, geht Vasil Ignatov ins Rennen. Die beiden trainieren miteinander, auch Ignatov hat ein Naheverhältnis zur Fanszene der Violetten.
Grenzenlose Begeisterung
Tupy sagt, er wisse, dass ihm die ganz große Karriere verwehrt bleiben wird, sein Ziel ist, einmal bei einer kleineren Organisationen im Ausland zu kämpfen. Denn jenseits der Grenzen ist der Sport noch größer. Mit 20.000 Besuchern rechnet ein Veranstalter im November in Köln, 10.000 waren es Mitte September in Frankfurt. Die Kämpfe der UFC, der Champions League der MMA, bewegen sich in anderer Dimension. Sie füllen nicht nur Hallen, sondern Stadien. 2019 kamen zu einem UFC-Event im australischen Melbourne fast 60.000 Zuschauer.
Dass das in Österreich nicht möglich ist, wissen Khan und Ozniev. Aber auch sie denken international, künftige „Sparta“-Veranstaltungen könnten im Ausland stattfinden, sagen sie beide. Für den Moment muss aber erst einmal die Stadthalle gefüllt werden. „Viele Österreicher sind kampfsportbegeistert, ohne es zu wissen“, sagt Ozniev. „Aber wir sind auf einem guten Weg, sie zu überzeugen.“