Rekruten am Wiener Heldenplatz

profil-Morgenpost: Tagwache!

Heute senden wir Ihnen per Morgenpost einen Brief eines Präsenzdieners zum Zustand des Bundesheeres, der die Situation auf den Punkt bringt. Ungeschminkt und aus erster Hand.

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Im aktuellen profil-Cover vermessen wir den verheerenden Zustand der österreichischen Landesverteidigung. Für einen umfassenden Lagebericht reichten selbst zehn Seiten nicht aus.

Deswegen senden wir Ihnen per Morgenpost einen Brief eines Präsenzdieners nach, der die Situation auf den Punkt bringt. Ungeschminkt und aus erster Hand. Ihre Dusche werden Sie nach der Lektüre noch mehr genießen.

„Antike Geräte ohne Munition"

Ich bin nach meiner Matura im Herbst 2018 bei der 2. Gardekompanie in Wien eingerückt und wurde für die Grundausbildung nach Horn verlegt. Horn könnte meines Erachtens ein Inbegriff des Pleite-Bundesheers sein. Baugitter und Absperrungen mussten um Teile der Kaserne gezogen werden, da Dachziegel kontinuierlich runterfallen. Es gab für ein ganzes Stockwerk an Rekruten (rund 50 Mann) exakt vier Duschen, die waren so alt, dass kaum Wasserdruck vorhanden war.

Hälfte aller STG 77 nicht zu gebrauchen

Als Wachsoldat habe ich sehr viele verschiedene Berufssoldaten kennengelernt, da ist mir dann wirklich aufgefallen, dass das Bundesheer absolut kein Geld hat. Die Mechaniker müssen zum Beispiel Gerätschaften wie Bohrmaschinen privat reparieren, wenn die nicht ein Jahr darauf warten möchten. Generell haben die Leute aus der Werkstatt eigentlich nur noch privates Werkzeug dort, da das Bundesheer keines mehr zur Verfügung stellen kann. Die müssen dort Fahrzeuge in Stand setzen, welche doppelt so alt sind wie sie selbst. Auch einen Waffenmeister habe ich kennengelernt. Der hat gesagt, dass eigentlich gut die Hälfte aller STG 77 (Standartwaffe beim Bundesheer) nicht mehr wirklich zu gebrauchen sind.

Wieder anderen Unteroffizieren wurden einfach die Spezialstellen (MG-Ausbildner, Scharfschützenausbildner) gestrichen, da diese Ausbildungen einfach zu teuer sind. Keine Gerätschaft, keine Munition.

Nicht umsonst, aber gereicht

Da ich ja im September eingerückt bin, hab ich das Jahresende mitbekommen, da wurde es besonders brenzlig. Die Berufssoldaten wurden reihenweise in den Zwangsurlaub geschickt, da schlicht und einfach kein Geld für einen Überstundenabgleich da war. Die halbe Kaserne stand still, weil keiner Überstunden machen kann. Alles im allem bin ich gut über die Zeit drüber gekommen. Die meisten Leute beim Bundesheer sind echt erfinderisch, wenn es darum geht halbwegs einsatzfähig zu bleiben.

Die sechs Monate waren für mich definitiv nicht sinnlos, aber dann hat es auch gereicht. Auf persönlicher Ebene ist das Bundesheer viel mehr als nur ein bissl Quälerei, man lernt viele Menschen aus sozialen Schichten kennen, die man so nie getroffen hätte. Und beim Bundesheer halten wirklich alle zusammen. Man muss aber sagen, dass das Heer aus nicht mehr viel mehr als Manneskraft und ein paar antiken Gerätschaften besteht. Was mir noch einfällt: Gegenüber von uns waren die Aufklärer (Beschaffen Informationen über Gegner und deren Streitkräfte, Anm.). Dort war so wenig Geld für die Ausbildung vorhanden, dass ein ganzer Einrückungstermin nach einem Monat aufgelöst werden musste. Die Rekruten wurden gezwungenermaßen Funktionssoldaten in Wien, also Gärtner oder Köche.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.