profil-Morgenpost: Der Cousin mit der zerrissenen Hose
Guten Morgen!
Morgen findet wieder der Nationalfeiertag Österreichs statt - mit den üblichen Fitmärschen und der Leistungsschau des Bundesheeres am Wiener Heldenplatz. Nachdem Verteidigungsminister Thomas Starlinger erst vor wenigen Wochen den tristen Zustand des Heeres drastisch geschildert hat, fällt die Schau diesmal etwas sparsamer aus. So werden die Assistenzleistungen bei Katastrophenfällen und neue Abwehr-Methoden gegen Cyber-Attacken betont.
Dass in diesem Jahr der 30. Jahrestag des Falls des Eisernen Vorhangs gefeiert wird – und bald auch der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 - wird vom offiziellen Österreich nur verhalten zur Kenntnis genommen. Nur Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner erinnerte an die Wende bei einem Seminar in Melk und beim Europaforum in Göttweig. Außer einer Ausstellung in Weitra, einem Historiker-Symposium in Drosendorf im Dezember und einer mehrteiligen Dokumentation im ORF war der historische Umbruch, der Österreich aus einer Randlage wieder ins Zentrum Österreichs rückte, eher ein Nebenthema.
Vier Historikern aus Österreich und der Tschechischen Republik, Niklas Perzi, Hildegard Schmöller, Ota Konrád und Vaclav Smidrkal, gelang mit dem heuer erschienen „Österreichisch-tschechischen Geschichtsbuch - Nachbarn“ (Verlag Bibliothek der Provinz) ein wichtiger Beitrag zur vorurteilsfreien Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte. Dass darin auch mein 2002 geführtes Interview mit dem damaligen tschechischen Premierminister Milos Zeman erwähnt wird, hat mich besonders gefreut. Zeman hatte damals neben Attacken auf die damalige schwarz-blaue Regierung in Wien auch die Sudetendeutschen verhöhnt. Die Vertreibung sei human gewesen, weil vielen Sudetendeutschen für Landesverrat eigentlich die Todesstrafe gedroht hätte, so Zeman im profil.
Der deutsche Bundestag widmete diesem Interview eine „aktuelle Stunde“ und der damalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder sagte eine Prag-Reise ab. Wohl eines der folgenschwersten Interviews in der bald 50-jährigen profil-Geschichte.
Gestern wurde in der Botschaft der Tschechischen Republik der tschechische Nationalfeiertag vorbildhaft begangen. Botschafterin Ivana Cervenková erinnerte an die „Samtene Revolution“ im November 1989, als das reformunwillige KP-Regime in Prag innerhalb von wenigen Wochen die Macht abgeben musste. Eine Ausstellung zeigt die entscheidenden Phasen der Revolution, ehe der Schriftsteller Vaclav Havel Ende Dezember zum Präsidenten der damaligen Tschechoslowakei gewählt wurde. Auch ihn durfte ich für profil interviewen, als er noch Dissident war.
Österreich hat die neuen Nachbarn nicht sehr herzlich empfangen, auch weil es damals mit dem EU-Beitritt voll beschäftigt war. Nur wirtschaftlich hat Österreich die neuen Chancen der Osterweiterung gut genützt. „Wenn man in das Haus der Reichen eingeladen wird, nimmt man nicht gerne den Cousin mit den zerrissenen Hosen mit“, witzelte einer, der es wissen muss: Karel Schwarzenberg, langjähriger Kanzleichef des Präsidenten Havel und später Außenminister der Tschechischen Republik.
Otmar Lahodynsky