profil-Morgenpost: Wie geht es Ihnen beim Hochfahren?
Die Aufforderung „Sei spontan!“ bringe den Adressaten in eine ausweglose Situation, schrieb der 2007 verstorbene Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeut Paul Watzlawick in seinem Bestseller „Anleitung zum Unglücklichsein“. Auf Befehl spontan zu agieren, sei genauso unmöglich, wie etwas vorsätzlich zu vergessen oder absichtlich tiefer zu schlafen, erläuterte Watzlawick. „Entweder man handelt spontan, also aus freiem Ermessen; oder man befolgt eine Anweisung und handelt daher nicht spontan.“
In einer ähnlichen Lage sind wir derzeit alle: Wochenlang hat uns die Regierung sehr konsequent Angst eingejagt. Professionelle Kanzler-Versteher sagen jetzt, das sei total vernünftig gewesen, weil wir uns sonst nicht so folgsam an die Virusbekämpfungsmaßnahmen gehalten hätten. Ich glaube, die Kampagne hat ein wenig zu gut funktioniert: Seit alle Masken tragen, sieht man das panische Flackern in den Augen mancher Mitmenschen erst richtig deutlich. Würde da draußen Ebola grassieren, wären viele nicht schlechter drauf.
Aber nun möchte der Bundeskanzler die Wirtschaft wieder „hochfahren“ – was für uns Bürger wahrscheinlich bedeutet, dass wir ordentlich Geld ausgeben sollen. Eben noch hat man uns das Totenglöckchen geläutet, jetzt sind wir angehalten, Sandalen, Wanderausrüstungen und Spitzendessous zu shoppen. Das wird kompliziert, fürchte ich. Zumal wir uns laut Regierung weiterhin vor dem Virus fürchten müssen und außerdem bald kein Geld mehr haben werden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber meine Lust auf einen spontanen Kaufrausch war noch nie so leicht zu bremsen wie jetzt.
Parallel scheint bereits eine orchestrierte Meinungsbildung zu laufen, wonach der hiesige Lockdown in sämtlichen Details alternativlos gewesen sei. Hätten wir das nicht gemacht, dann aber! Die Selbstbeweihräucherung startet ein wenig zu früh, finde ich. Bewiesen haben wir bisher nur, dass es mit vereinten Kräften gelingen kann, ein prosperierendes, lebenswertes Land binnen Wochen an die Wand zu fahren. Was das Virus etwa aus dem 1. Mai gemacht hat, beschreibt diese Woche Christa Zöchling.
Noch ein Hinweis in eigener Sache: Corona-bedingt war das profil E-Paper in den letzten paar Wochen gratis abrufbar. Ab nächster Woche kostet es wieder etwas. Würde uns sehr freuen, wenn Sie uns trotzdem weiterhin lesen.
Einen schönen, möglichst angstfreien Tag!
Rosemarie Schwaiger
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