profil-Morgenpost: Wir müssen reden

Guten Morgen!

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Mit Beziehungen ist das so eine Sache: Zu Beginn ist die Euphorie groß, häufig folgt Ernüchterung, und wenn es ganz schlecht läuft, endet das Ganze in endlosen Kränkungen. Das trifft auf die Liebe genauso zu wie auf die Politik. In diesem Sinne ist unsere aktuelle Titelgeschichte von Angelika Hager über toxische Beziehungen auch eine Geschichte über das türkis-grüne Regierungsexperiment. "Wo verläuft der Grat zwischen normaler Streitkultur und pathologischer Zerstörungswut?", fragt Hager, als ob sie den Wickel zwischen den beiden Regierungspartnern in Sachen Justizreform geahnt hätte. Kanzler Sebastian Kurz hatte daraufhin Redebedarf und lud bekanntlich zu einer "Aussprache". Den Vorsitz dieser Gesprächstherapie übernahm er gleich selbst. Beziehungstechnisch nicht gerade vorteilhaft. Denn ein dauerhaftes Ungleichgewicht in einer Partnerschaft, so präzisiert Hager in unserem Podcast, führt geradewegs ins Unglück.

Das Liebesleben der Igel

Vizekanzler Werner Kogler, bekanntlich kein unsensibler Mensch, ist sich dieser heiklen psychologischen Beziehungslage bewusst. Allein, einen Ausweg sieht er nicht. "Die ÖVP ist fast drei Mal größer als die Grünen. Wie stark lässt man Sie das spüren?" Mit dieser schmerzhaften Frage haben meine Kolleginnen Eva Linsinger und Rosemarie Schwaiger den Vizekanzler auf der Interviewcouch konfrontiert. Koglers Antwort gräbt sich, wie in jeder guten Psychoanalyse, weit in die Vergangenheit zurück: "Wir müssen halt damit leben, dass die ÖVP gefühlt schon seit dem Zweiten Weltkrieg regiert …" Von dem Vergleich, ÖVP und Grüne gingen miteinander um wie zwei Igel, die Liebe machen, hält Kogler allerdings nichts: "Das will ich mir jetzt auch nicht vorstellen. Vom Liebesleben der Igel weiß ich nichts." Man muss sich in einer Beziehung auch nicht alles mit dem Partner vorstellen können.

Trennung wegen unüberbrückbarer Differenzen?

Wie lässt es sich aber herausfinden, welchen Zustand die eigene Beziehung bereits erreicht hat und wann es Zeit ist, zu gehen? "Erste Alarmzeichen einer toxischen Beziehung sind, dass man sich nicht wohlfühlt", sagt Bärbel Wardetzki, Spezialistin für destruktive Beziehungsmodelle. Wie wohl sich die türkis-grüne Regierung nach knapp sechs Wochen Partnerschaft fühlt, ist schwer zu sagen. Das Beste aus zwei Welten könnte sich aber langfristig als inkompatibel herausstellen. Miteinander reden könnte helfen. Oder ein Psychotherapeut. Wenn Sie einen guten kennen, geben Sie uns bitte Bescheid. Ansonsten bleibt am Ende vielleicht nur: Trennung wegen unüberbrückbarer Differenzen!

Ich wünsche Ihnen einen giftfreien Donnerstag!

Stephan Wabl

Was Sie heute hören sollten: Neil Young - Only Love Can Break Your Heart

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