Motiv Opportunismus: Auch Parteien können dazulernen
Die Opposition hat nur wenige wirklich mächtige Tools, mit denen sie die Regierung kontrollieren oder ihr zumindest ordentlich auf die Nerven gehen kann. Eines davon sind parlamentarische Anfragen. Abgeordnete haben das Recht, jeden Minister mit schriftlichen Fragen zu Vorgängen in seinem Ressort einzudecken. Binnen zwei Monaten müssen Antworten folgen.
Über diese Fragenkataloge wurden bereits Ministeriums-Aufträge für Parteifreunde öffentlich, Kosten für Charterflüge und die Summen, die in die Eigen-PR der Regierung flossen. Knapp über 1000 parlamentarische Anfragen richteten die Abgeordneten seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode an die Mitglieder der türkis-grünen Bundesregierung.
Ex-Regierungspartei kämpft für Oppositionsrechte
Es gibt nur ein Problem: Wenn Kanzler und Minister gar nicht oder nur unvollständig antworten, gibt es – anders als vor Gericht – keine zweite Instanz, bei der sich Parlamentarier beschweren könnten. Allzu oft schieben die Regierenden Ausreden wie den Datenschutz vor, um eine Anfrage nicht beantworten zu müssen.
Damit dürfte bald Schluss sein. Ausgerechnet die SPÖ, die in den vergangenen Jahrzehnten öfter in der Regierung als in der Opposition saß, setzt sich nun für eine Stärkung des Parlaments – und damit vor allem der oppositionellen Parteien – ein.
Offensichtlich haben die vergangenen fünf Oppositionsjahre der „strukturellen Regierungspartei“ (Copyright Doris Bures) eine neue Perspektive eröffnet.
Ein Wechsel von der Regierung in die Opposition – oder umgekehrt – ist in Österreich ein ärgerer Schock für die Parteien.
Konkret haben die Sozialdemokraten ihre Zustimmung zum geplanten Informationsfreiheitsgesetz daran geknüpft, dass die Amtsverschwiegenheit bei parlamentarischen Anfragen abgeschafft wird. Minister können sich in Zukunft nur noch auf wenige besonders schwerwiegende Geheimhaltungsgründe – wie nachrichtendienstliche Informationen – berufen.
Man könnte sagen: Die SPÖ hat dazugelernt. Oder aber: Sie hat die Mühen der Oppositionsbank zu spüren bekommen.
„Ein Wechsel von der Regierung in die Opposition – oder umgekehrt – ist in Österreich ein ärgerer Schock für die Parteien“, sagt der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik von der Uni Wien. Das Wechselerlebnis fällt heftiger aus, weil es seltener vorkommt als in anderen Ländern. Von den rund 150 Landtagswahlen in der Zweiten Republik kam es nur nach neun zu einem Machtwechsel, rechnet Ennser-Jedenastik vor. Wiewohl die Juniorpartner sehr viel öfter durchwechselten.
ÖVP-Meinungsschwenk
Einen Meinungsschwenk vollzog kürzlich auch ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker: Seit Ende des Vorjahres tritt die Volkspartei, nach jahrelanger Blockade, plötzlich für Liveübertragungen von Untersuchungsausschüssen ein. Offiziell würde die Partei das zwar nie zugeben, doch es wird wohl eine Rolle gespielt haben, dass der U-Ausschuss zur Untersuchung mutmaßlicher ÖVP-Korruption abgeschlossen ist – und die Partei eine Untersuchung zu den früheren Regierungsmitgliedern von SPÖ und FPÖ plant. Videos von roten und blauen Granden, wie sie sich bei unangenehmen Fragen winden, bieten jede Menge Wahlkampfmunition.
„Parteien sind an sich extrem stabil in ihren Positionen. Sie ändern ihre Meinung nicht so oft. Und wenn sie sie doch ändern, dann oft aus sehr pragmatischen Gründen. Mit einer anderen Wirklichkeit konfrontiert zu werden, ist ein gesunder Effekt – von dem man hoffen sollte, er tritt öfter ein“, sagt Politikwissenschafter Ennser-Jedenastik.
Die Motive von ÖVP und SPÖ mögen zwar opportunistisch sein, sie haben aber dennoch einen Impact auf die demokratische Kultur im Land. Denn sowohl für Liveübertragungen als auch für Antwortpflichten von Ministern gilt: Wenn sie einmal beschlossen sind, lassen sie sich schwerlich wieder abschaffen, nur weil sie einem später doch nicht mehr in den Kram passen.
Früher habe ich mir gedacht: Die Regierung sollte die Opposition stärker einbinden. Aber sobald du das machst, verbreiten sie das Narrativ, die Regierung würde streiten.
Das Aha-Erlebnis der Grünen beim erstmaligen Sprung in eine Bundesregierung im Jahr 2019 kann man sich gar nicht groß genug vorstellen. Einst wetterte die Partei gegen jedes Regierungsinserat, gegen aufgeblähte Ministerkabinette und gegen die Generalsekretäre in den Ministerien. Die vergangenen Jahre in den Regierungsbüros hat den Grünen neue Perspektiven eröffnet: „Früher habe ich mir gedacht: Die Regierung sollte die Opposition stärker einbinden. Das stellt uns aber vor dem Problem, dass der Parlamentarismus in Österreich nicht besonders ausgeprägt ist. Bei Gesetzesverhandlungen zwischen Regierungsparteien ist es schwer, die Opposition vor einer Einigung der Regierungsparteien einzubinden. Sobald du das machst, verbreiten sie das Narrativ, die Regierung würde streiten“, sagt Grünen-Nationalrat David Stögmüller. Er habe inzwischen auch „mehr Verständnis dafür, dass manche Sachen länger dauern.“
Standort bestimmt Standpunkt
Ähnliche Erfahrungen dürften die Wiener Neos gemacht haben, die seit 2020 als Juniorpartner der SPÖ die Stadt regieren.
Selbst bei der rechtspopulistischen FPÖ kann ein Wechsel ins Regierungsamt die Bereitschaft dafür erhöhen, die Politikergehälter anzuheben, wie das Beispiel der Salzburger Parteiobfrau Marlene Svazek zeigt – die damit die Position von Bundesparteichef Herbert Kickl konterkarierte.
Der Standort bestimmt den Standpunkt, das gilt eben auch in der Politik: Parteien erkennen den Wert von Beschuldigtenrechten, in dem Moment, wo Parteifreunde vor Gericht stehen. Sie erkennen die Nützlichkeit von Ressourcen in den Kabinetten, in dem Moment, wo sie selbst in die Regierung eintreten.
Das heißt freilich nicht, dass sie neu erworbene Blickwinkel nach einem neuerlichen Rollenwechsel nicht auch wieder vergessen können.