Murtaza Tahiri: Wie wir die Mindestsicherung nützen sollten
Als mir Österreich zum ersten Mal 840 Euro gab, dachte ich nur: Wow! Meine Eltern stammen aus Afghanistan und sind in den Iran gegangen. Ich bin vor 1,5 Jahren aus dem Iran nach Österreich geflüchtet, weil ich dort nicht mehr leben durfte. Im steirischen Flüchtlingsheim lebte ich anfangs von 150 Euro. Wohnen war umsonst. Und einmal am Tag Kochen ging sich mit dem Geld aus. Dann erhielt ich subsidiären Schutz. Ich zog nach Wien, weil ich hier studieren möchte, und bekam 840 Euro Mindestsicherung.
Damit begann ein neues Leben für mich. Ich konnte mir ein Zimmer bei einem Freund leisten, einen Wintermantel und eine für meine Augen passende Brille vom Optiker. Trotzdem war das Konto sofort im Minus. Ich musste meinem Freund die Miete für drei Monate nachzahlen. Dazu kamen Strom, Gas, U-Bahn, Handy, Putzmittel, 500 Euro pro Semester für den Vorstudienlehrgang. Wenn man nicht aufpasst, ist das Geld schon am 20. des Monats weg. Man muss ja erst lernen, wo man billig einkauft. Es ist gar nicht so leicht, wenn man noch nicht so gut Deutsch kann, die besten Preise zu finden.
Flüchtlinge sind am Anfang wie Kinder. Wir können nicht reden, nicht verstehen, nicht zurechtkommen. Die Mindestsicherung kann uns helfen, schnell erwachsen zu werden, Deutsch zu lernen, eine Ausbildung zu machen, einen Job zu finden.
Eltern können Kinder streicheln, aber sie können auch streng sein. Wir sollten wissen: Wenn wir uns nicht anstrengen und schnell lernen, könnte es weniger Unterstützung vom Staat geben. Denn wenn ein Kind erwachsen ist, muss es einen Weg eingeschlagen haben. Das sehen Afghanen, die integriert sind, auch so.
Manche Österreicher, die ich zu Beginn kennenlernte, waren enttäuscht, dass ich nicht sofort einen Job gesucht habe. Sie dachten wohl, ich sei faul. Aber ich wollte so schnell wie möglich Deutsch lernen. Das konnte ich ihnen nicht erklären. Dafür war mein Deutsch zu schlecht. Ein Afghane, der seit acht Jahren in Österreich lebt, hat mir immer gesagt: Lern Deutsch, Deutsch, Deutsch, damit du einen echten Job bekommst - als Angestellter mit Versicherung und so weiter. Er hat immer gearbeitet und nie Mindestsicherung bezogen, weiß aber, wie schwer es ohne Ausbildung sein kann auf dem österreichischen Arbeitsmarkt.
Gas geben müssen wir selber, damit wir die Mindestsicherung bald hinter uns lassen.
Natürlich könnten wir alle sofort als Tellerwäscher arbeiten. Aber wer braucht 30.000 Tellerwäscher? Besonders die Analphabeten unter den Flüchtlingen müssten sofort jeden Tag intensiv lernen, damit sie überhaupt jemals eine Chance haben. Das Problem dabei: Die Flüchtlinge, die ich kennengelernt habe, bekamen den ersten Platz im Deutschkurs erst nach acht Monaten - wenn überhaupt.
Viele Österreicher denken, wir sind wegen dem guten Sozialsystem gekommen. Bei der Fahrt über das Meer nach Griechenland denkt man nicht daran. Das war echt gefährlich. Wir denken aber immer daran, dass wir in ein menschliches System wollen. Die Mindestsicherung ist für uns ein Teil davon. Wir sollten sie aber nur als Starthilfe sehen.
Wir sind vielleicht Ausländer, aber wir alle wohnen gemeinsam in einem System. Sobald wir arbeiten, ist jeder ein Teil davon. Ich kann nicht für alle sprechen. Aber viele Afghanen, die ich kenne, haben auch Angst, dass das Sozialsystem zusammenbricht, wenn zu viele Leute von der Mindestsicherung leben. Sie sind schon länger hier, arbeiten, haben Steuern gezahlt und wollen auch einmal eine Pension. Glauben Sie mir, Flüchtlinge, die auch nach vielen Jahren noch in der Mindestsicherung sind, haben bei integrierten Afghanen nicht den besten Ruf. Da gibt es böse Blicke.
Das Geld vom Staat ist eine wichtige Starthilfe. Dazu bräuchte es schnelle Deutschkurse, damit wir die Verkehrszeichen verstehen. Aber Gas geben müssen wir selber, damit wir die Mindestsicherung bald hinter uns lassen.
Murtaza Tahiri ist seit 1,5 Jahren in Österreich und absolviert im Juli ein Praktikum bei profil. Er entwickelt seine Texte gemeinsam mit profil-Redakteur Clemens Neuhold.