Muss man seine Grenzen überschreiten, wenn man gewinnen will, Frau Mayer?
In der Serie „Therapiestunde“ befragt profil Menschen nach den Lehren, die sie der Politik mitgeben können. Teil 1: Marathon-Rekordlerin Julia Mayer, 31, über das Durchhalten am Limit und die Frage, ob ein Marathon am Anfang oder am Ende gewonnen wird.
Sie bereiten sich gerade auf den Olympia-Marathon am 11. August vor. Das könnte eine heiße Angelegenheit werden.
Mayer
Das wird einer der härtesten Olympia-Marathons der Geschichte. Wir laufen in Paris nicht auf einer flachen Strecke, sondern absolvieren insgesamt 460 Höhenmeter, das ist in der Sommerhitze schon recht gewaltig. Das wird nicht nur eine Hitzeschlacht, sondern eine Schlacht, Punkt. Marathon ist immer hart, aber mit 460 Höhenmetern ist es definitiv weniger lustig.
Wir wollen in diesem Interview über jene Dinge sprechen, die Sie aus Ihrer Erfahrung und Ihrem Spezialgebiet der Politik mitgeben können. Ein Nationalratswahlkampf ist, bildlich gesprochen, ein Dauerlauf unter verschärften Bedingungen. Wie bereitet man sich auf eine solche Extremsituation vor?
Mayer
Man trainiert sehr, sehr viel und sehr, sehr hart dafür. In meinem Fall bedeutet das: Zwei Mal täglich laufen, darunter drei bis vier sehr intensive Einheiten, insgesamt etwa 200 bis maximal 240 Kilometer pro Woche. Um mich auf die Hitze vorzubereiten, warte ich mit dem Vormittagstraining, bis es richtig heiß wird. Ich starte oft erst um 11, halb 12 Uhr, damit ich richtig in die Mittagshitze hineinkomme und sich der Körper daran gewöhnen kann.
Ein Marathon geht immer an körperliche und mentale Grenzen. Muss man solche Grenzen auch überschreiten, wenn man gewinnen will? Oder ist es besser, immer noch eine kleine Reserve zu bewahren?
In der Serie „Therapiestunde“ befragt profil Menschen nach den Lehren, die sie der Politik mitgeben können.
Mayer
Wenn ich im Jahr drei Rennen habe, die wirklich wichtig sind, muss ich in diesen dreien tatsächlich über meine Grenzen hinausgehen. Dann schalte ich die körperlichen Schmerzen aus. Das funktioniert aber nur, wenn ich mir meine Reserven genau für diese bestimmten Rennen aufhebe.
Wie schaltet man körperliche Schmerzen aus? Kopfsache?
Mayer
Ab einem gewissen Level, egal ob sportlich oder beruflich, ist Gewinnen nur noch Kopfsache. Es ist jeder sehr gut, es trainiert jeder sehr viel, aber nicht jeder will es am Ende genauso sehr wie der andere. Das war schon immer eine Stärke von mir: Ich habe mir konkrete Ziele gesetzt, konkrete Zeiten, die ich mit allem, was ich habe, angestrebt habe.
Aber diese Ziele dürfen auch nicht unrealistisch sein, richtig? Wir fragen für die Bierpartei.
Mayer
Sie müssen sogar extrem realistisch sein. Gleichzeitig haben sie aber auch einen Hang zum Absurden. Dass ich das Olympialimit beim Marathon von Valencia im Dezember geschafft habe, war im Grunde nicht realistisch. Aber es basierte trotzdem auf einem Realismus, den ich mir im Training erarbeitet habe: Ich weiß, dass es möglich ist, auch wenn es unwahrscheinlich aussieht.
Julia Mayer, 31,
hat sich innerhalb weniger Jahre an die absolute Spitze des österreichischen Langstrecken-Laufsports gearbeitet. Bis zum Jahr 2017 war die karenzierte Sportlehrerin – sie verdient ihr Geld inzwischen als Heeresleistungssportlerin – als Fußballspielerin aktiv (unter anderem in der zweiten Bundesliga beim SV Gloggnitz). Aktuell hält sie die österreichischen Rekorde im Marathon (2:26:43 Stunden), Halbmarathon (1:11:09 Stunden) sowie im Straßenlauf über 10 Kilometer (32:28 Minuten) und 5 Kilometer (15:45 Minuten). Mayer ist 20-fache österreichische Staatsmeisterin und zweifache Wiener Sportlerin des Jahres. Beim Marathon von Valencia im Dezember 2023 knackte sie das Limit für die Olympischen Spiele von Paris und wird Österreich am 11. August beim olympischen Marathon vertreten.
Wie teilt man sich einen Marathon ein? Verfolgt man einen fixen Plan oder muss man im Rennen flexibel bleiben? Zum Beispiel für den Fall, dass sich die geplante Tempomacherin verstolpert, siehe den grünen EU-Wahlkampf.
Mayer
Es gibt viele Varianten, die das Rennen schon vor dem Start prägen: Die Wetter- und Windverhältnisse bestimmen den Rennplan. Grundsätzlich laufe ich die ersten zehn Kilometer verhalten los und versuche, nach hinten hin schneller zu werden. Ich merke ab einem gewissen Punkt, ob es an dem Tag rollt oder nicht. Wenn nicht, switche ich in den Kampfmodus. Aufgeben ist keine Option. Dann hantle ich mich von Kilometer zu Kilometer weiter und versuche, mich möglichst abzulenken.
Ablenkung funktioniert?
Mayer
Ja, man trainiert das auch. Man versucht, im Rennen den Kopf so gut wie möglich auszuschalten. Damit keine Gedanken aufkommen – an die Schmerzen, ans Aufhören.
Aber wenn man verhalten losläuft: Bereut man nicht am Ende die Zeit, die man am Anfang verschenkt hat? Mit anderen Worten: Wird sich Karl Nehammer hinterher ärgern, dass er erst im August voll durchgestartet ist?
Mayer
Früher habe ich auch so gedacht. Aber das muss man überwinden. Einen Marathon gewinnt man nicht auf den ersten zehn Kilometern. Man sagt, dass der Marathon erst ab Kilometer 30 wirklich beginnt. Erst in dieser Phase gewinnst du das Rennen.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Konkurrenz? Hadern Sie mit der Ungerechtigkeit, dass andere Läuferinnen vielleicht längere Beine und deshalb einen Vorteil haben – so wie sich die SPÖ vielleicht ärgern mag, dass sie die Freiheitlichen beim Migrationsthema beim besten Willen nicht mehr einholen wird?
Mayer
Ich laufe für mich und gegen die Uhr, nicht gegen die anderen. Und ich drehe es mental für mich um: Ich bin in diesem Sport ja eine echte Quereinsteigerin und war bis zu meinem 24. Lebensjahr aktive Fußballspielerin. Das muss mir erst einmal wer nachmachen: Nach vier Jahren Marathon-Training eine Zeit von 2:26 Stunden zu laufen. Insofern bin ich denen sogar voraus, die vielleicht momentan noch schneller sind als ich, aber eben auch schon seit ihrer Jugend Lauftraining machen.
Lässt sich dieser Rückstand je aufholen?
Mayer
Man muss das vermeintliche Defizit ins Positive drehen: Es ist für mich gut, dass ich technisch noch so viel zu verbessern habe, weil ich dadurch auch noch immer schneller werden kann. Das macht Lust auf mehr, weil ich weiß: Ich kann mein Ausdauersystem weiter trainieren, und ich kann mich auch technisch weiter verbessern.
Noch eine Frage mit Blick auf die Spitzenkandidat:innen: Was bedeutet die Umstellung vom Mannschaftssport Fußball auf die Einzeldisziplin Langstreckenlauf?
Mayer
Du hast niemanden um dich, der dich schützt, du stehst allein da und bist allein verantwortlich. Aber du kannst deinen Erfolg selbst steuern. Du wirst selbstbewusster, du lernst, nur auf dich zu schauen. Du bist unabhängig. Eigentlich ist das schon sehr cool.